Heidelberg

Gegen queerfeindliche Vorfälle "klare Kante" zeigen

Sozialbürgermeisterin Jansen und Amtsleiter Cubelic rufen die Bürger dazu auf, alle Fälle zu melden.

28.06.2022 UPDATE: 29.06.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 47 Sekunden
Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen (SPD), und der Leiter des Amtes für Chancengleichheit, Danijel Cubelic, sehen Heidelbergs Weltoffenheit nicht infrage gestellt. „Die queerfeindlichen Vorfälle machen betroffen, haben uns aber nicht wirklich überrascht“, sagt Jansen. Foto: Philipp Rothe

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Eine abgerissene Regenbogenflagge, mit nationalsozialistischer Rhetorik beschmierte Wände und Plakate, Unbekannte, die queere Veranstaltungen stören und Organisatoren drohen: Die Liste an Vorfällen in der jüngsten Vergangenheit, die sich gegen die queere Community in Heidelberg richten, ist lang. Wie kann so etwas sein, in einer Stadt, die sich als liberal und weltoffen begreift? Und was kann diese Stadt eigentlich selbst dagegen tun? Ein Gespräch mit Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen und Danijel Cubelic, Leiter des Amtes für Chancengleichheit.

Frau Jansen, Herr Cubelic, in den vergangenen Wochen kam es in Heidelberg immer wieder zu queerfeindlichen Vorfällen. Ist die Stadt wirklich so weltoffen, wie gerne behauptet wird?

Jansen: Auch in einer weltoffenen Stadt kann es leider zu solchen Vorkommnissen kommen. Aber vom Grundsatz her stellen diese Vorfälle nicht die Weltoffenheit der Stadt infrage.

Haben Sie die Häufigkeit der Attacken und deren Dimension überrascht?

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Jansen: Die Vorfälle machen betroffen, haben uns aber nicht wirklich überrascht. Je mehr Vielfalt, Diversität und queeres Leben sichtbar wird, desto mehr wird auch Queerfeindlichkeit sichtbar. Wenn Sie keine queeren Plakate aufhängen, können diese auch nicht beschmiert werden. Wenn Sie keine Regenbogenflaggen aufhängen, können diese nicht beschädigt werden. Und wenn Sie keine queeren Veranstaltungen machen, können diese nicht gestört werden. Man muss aber klar sagen, dass es solche Vorfälle in dieser Häufigkeit bislang noch nicht gegeben hat.

Cubelic: An den Reaktionen der betroffenen Einrichtungen konnte man sehen, dass die Übergriffe teilweise ein bestimmtes Aggressionspotenzial hatten und eine rote Linie überschritten wurde.

Was kann die Stadt tun, um zur Aufklärung der Vorfälle beizutragen?

Cubelic: Als Verwaltung nehmen wir das sehr ernst und wollen klare Kante zeigen. Bei der Koordinationsstelle LSBTIQ+ des städtischen Amtes für Chancengleichheit sammeln wir alle Fälle von Queerfeindlichkeit, die uns gemeldet werden, und geben das anschließend an die Polizei weiter. Dazu rufen wir auch weiterhin auf, damit Hass und Diskriminierung in unserer Gesellschaft sichtbar werden und wir darüber sprechen können – und dass wir basierend darauf entsprechende Lösungsmöglichkeiten entwickeln können.

Wie sehen diese Lösungen aus?

Jansen: Uns ist es zunächst ein Anliegen, die Dinge nicht unter den Teppich zu kehren, sondern offen darüber zu reden, was in unserer Stadt passiert. Das haben wir etwa am 17. Mai gemacht, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, Biphobie, Interphobie und Transphobie, an dem auch ich als Bürgermeisterin klar Position gegen Queerfeindlichkeit bezogen habe. Neben der polizeilichen Aufklärung – dass man die Dinge zur Anzeige bringt – tun wir einiges im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention. Da haben wir ein Gremium bestehend aus mehreren Fachleuten, unter anderem vom städtischen Amt für Chancengleichheit und der Polizei, das dazu da ist, zu überlegen, wie wir den öffentlichen Raum für queere Menschen sicherer machen können.

Wie kann das gehen?

Jansen: Da geht es vor allem um Aufklärung der Bevölkerung – und da meine ich alle Altersgruppen. Das heißt zum Beispiel Aufklärungsarbeit an Schulen oder in Jugendzentren, Öffentlichkeitsarbeit über Diskussionsrunden oder Plakate. Aber es heißt auch, Betroffene und verunsicherte Menschen zu stärken durch Selbstbehauptungskurse oder die Schaffung sogenannter Safe Spaces (Schutzräume, Anm. d. Red), wo man sich in einem geschützten Rahmen austauschen kann.

Cubelic: Für queere Menschen geht es nicht nur darum, anderen zu sagen, unterstützt und helft uns, sondern auch darum, sich selbst zu fragen, wie ich mit queerfeindlichen Vorfällen, mit Hetze und Beleidigung umgehen kann. Deshalb spielen Selbststärkung und Selbstverteidigung eine wichtige Rolle.

Tut die Stadtverwaltung bereits genug für die queere Community?

Jansen: Als Teil des Rainbow Cities Network gehören wir zu einer Allianz von über 40 Städten, die sich dafür engagieren, dass sich Menschen ungeachtet ihrer sexuellen und geschlechtlichen Orientierung frei und sicher bewegen können und Wertschätzung erfahren. Seit 2009 feiern wir hier jedes Jahr das Queer Festival. Inzwischen gibt es in Heidelberg Beratungsstellen wie "Plus" und "Mosaik Deutschland", an die sich queere Menschen wenden können, wenn sie beschimpft worden sind, sich bedroht fühlen oder wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Wir sind also auf einem guten Weg. Aber klar ist auch: Man kann immer noch mehr tun.

Es gibt auch in Heidelberg Menschen, die sich schwertun mit diesem Thema – weil sie sich damit nicht auskennen, weil es ihnen zu viel ist oder damit zu schnell geht. Können Sie das verstehen?

Cubelic: Es geht hier nicht um ein Thema, sondern in erster Linie um Menschen. Eigentlich wollen wir Menschen doch alle das Gleiche: Respekt, Akzeptanz, Frieden, Sicherheit und Liebe. Menschen die Möglichkeit geben, zu verstehen, dass queere Menschen kein abstraktes Thema sind, zu dem man sich positiv oder negativ verhält, sondern dass es sich hierbei um Menschen handelt – darum geht es.

Jansen: Es ist ein normales menschliches Verhalten, Dinge abzulehnen, die man nicht kennt. Viele haben sich noch nie mit queeren Menschen auseinandergesetzt, auch weil diese nicht sichtbar waren. Daher ist solch ein Verhalten nachvollziehbar, aber das heißt nicht, dass ich dafür Verständnis habe, in dem Sinn, dass ich es gut finde. Von einer völligen Akzeptanz sind wir noch weit entfernt – aber daran arbeiten wir.

Cubelic: Geht man davon aus, dass etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen queer sind, dann sollte es auch eine entsprechende Sichtbarkeit für sie und ihre Belange geben. Wenn man sich anschaut, wie viel es an Heteronormativität im öffentlichen Raum gibt, in der Werbung oder in den Medien – das fällt heterosexuellen Menschen oft gar nicht auf. Was hingegen auffällt, ist, wenn es auf einmal um Queerness geht.

Lassen Sie uns abschließend in die Zukunft blicken: Wird Heidelberg in zehn Jahren weniger bunt, genauso bunt oder bunter sein als heute?

Jansen: Unsere Gesellschaft ist schon immer bunt und vielfältig. Der Anteil queerer Menschen an der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Was sich verändert hat, ist das Selbstbewusstsein queerer Menschen, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft und ihre Sichtbarkeit. Diese Vielfalt ist ein Schatz. Unser Ziel muss es sein, dass alle Menschen in der Stadt diese Vielfalt als Schatz begreifen – und irgendwann auch als Normalität.

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