Tafeln gehen die Lebensmittel aus
"Noch zwei Wochen, dann sind wir blank". Die Zahl der Bedürftigen ist durch Flüchtlinge aus der Ukraine gestiegen.

Von Sabrina Lehr
Leimen/Neckargemünd. Seit auch in der Region rund um Heidelberg mehr und mehr Geflüchtete aus der Ukraine ankommen, herrscht Alarmstimmung bei den Tafeln: "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir nächste Woche ein massives Versorgungsproblem haben", sagt Sabine Kuhn. Was das bedeutet, schiebt die Leiterin der Leimener Tafel gleich nach: "Dann müssen wir in die Rationierung gehen." An diesem Punkt ist ihre Neckargemünder Kollegin Rita Hütter mit der dortigen Tafel längst angelangt: Seit Kurzem müssten sich die Kunden dort etwa entscheiden, ob sie ein Päckchen Nudeln oder ein Päckchen Reis, Tomaten oder Gurke haben wollen. Beides geht nicht. Den Tafeln gehen die Lebensmittel aus.

> Der Grund dafür ist die durch Geflüchtete aus dem Ukraine-Krieg stark gestiegene Zahl an zu versorgenden Bedürftigen: "Wir versorgen normalerweise zwischen 1400 und 1600 Menschen", rechnet Sabine Kuhn vor. Dabei handele es sich um Ausweisinhaber und deren Familien. Zuletzt seien 55 Kunden dazu gekommen, hinter denen wiederum zu versorgende Familienmitglieder stehen. Auch bei der Neckargemünder Tafel mit ihren beiden Außenstellen in Bammental und Schönau sind nach Schätzungen Hütters seit Kurzem zwischen 80 und 90 Menschen mehr zu versorgen. Zusätzlich zu den 300 Menschen, für die die Tafel schon zuvor Lebensmittel bereitstellte.
> Die Auswirkungen sind vor und in den Tafel-Läden zu sehen: "Es haben sich Menschentrauben vor dem Laden gebildet", berichtet Rita Hütter vom Tafel-Öffnungstag am Dienstag. Die Wartenden seien unruhig geworden, hätten gefragt, wann sie an der Reihe seien. "Dann musste man beruhigen", so die Gründerin des seit 2007 bestehenden Hilfsangebots. Sie befürchtet, dass es "böses Blut" zwischen den bisherigen Kunden der Tafel und den ukrainischen Neuankömmlingen gebe.
Im Laden würden Lebensmittel wie Mehl, Zucker und Öl, aber auch Kaffee oder Nudeln – speziell Spaghetti – knapp. Ähnliches berichtet auch Sabine Kuhn in Leimen: "Es sind immer die haltbaren Sachen, die ausgehen." In Neckargemünd mangelt es zudem an Lebensmitteln wie Joghurt und Käse, außerdem an Hygieneprodukten. In Leimen sei Schulausrüstung für die zahlreichen geflüchteten ukrainischen Kinder – etwa Stifte, Radiergummis oder Wasserfarben – stark nachgefragt und entsprechend knapp. Was Rita Hütter betont: "Kleidung haben wir genug."
Auch interessant
Hintergrund
> Zugang zu den Tafeln erhalten Menschen, die bedürftig sind. "Die Bedürftigkeit muss nachgewiesen werden, zum Beispiel durch einen Rentenbescheid oder eine Bescheinigung, dass man Empfänger von Arbeitslosengeld II ist", erklärt die Leimener Tafel-Leiterin Sabine Kuhn. Mit
> Zugang zu den Tafeln erhalten Menschen, die bedürftig sind. "Die Bedürftigkeit muss nachgewiesen werden, zum Beispiel durch einen Rentenbescheid oder eine Bescheinigung, dass man Empfänger von Arbeitslosengeld II ist", erklärt die Leimener Tafel-Leiterin Sabine Kuhn. Mit dem amtlichen Nachweis, wie ihn etwa das Jobcenter ausstellt, können Bedürftige – also sowohl Geflüchtete als auch vor Ort Beheimatete – zu den Tafeln gehen. Dort wird ihnen ein Ausweis ausgehändigt, der zum Einkauf bei der Tafel berechtigt.
> "Dieser wird halbjährlich geprüft", so Sabine Kuhn. Wer vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen ist, muss dieses Prozedere aber aktuell nicht durchlaufen: Hier genügt die Vorlage eines ukrainischen Ausweisdokuments, um Zugang zur Tafel zu bekommen. Bedürftige können in den Tafel-Läden zu einem deutlich verringerten Preis Lebensmittel einkaufen – in Leimen für etwa zehn bis 30 Prozent des Ladenverkaufspreises.
> Sowohl in Neckargemünd als auch in Leimen können Ausweisinhaber zweimal pro Woche im Tafel-Laden einkaufen. Die Lebensmittel beziehen die Tafeln selbst hauptsächlich aus Spenden. lesa
> Die Knappheit liege nicht nur am Ansturm auf die ehrenamtlich agierenden Tafeln, sondern auch an der Lage auf dem Lebensmittelmarkt: "Die Supermärkte haben ja selbst Probleme", sagt Sabine Kuhn mit Blick auf leere Regale und beschränkte Abgabemengen begehrter Lebensmittel wie Weizenmehl oder Speiseöl. Dabei seien die Märkte wichtiger Lieferant der Tafeln. "Wir fahren viermal die Woche alle Supermärkte in Leimen an und kriegen dort Sachen." Was der Markt aber selbst nicht hat, könne im Umkehrschluss auch nicht an die Tafel ausgegeben werden. Auch Rita Hütter vermutet, dass die Einkaufsmärkte, von denen die Neckargemünder Tafel Lebensmittel bezieht, aufgrund der gestiegenen Preise selbst weniger Ware bekommen oder einkaufen.
> Die Perspektive ist wohl noch eine weitere Verschärfung der Lage: "Wir hatten heute wieder massig Anmeldungen", sagt Sabine Kuhn nach dem jüngsten Öffnungstag. Sie erinnert an die Lage im Zuge der Flüchtlingswelle 2015, als die Leute "zu Massen" vor den Tafeln standen. Was die prekäre Situation angeht, zeichnet Rita Hütter bei Ausbleiben von Spenden ein düsteres Bild: "Noch zwei Wochen, dann sind wir blank."
> Die Hoffnungen der beiden Tafel-Leiterinnen liegen nun auf Spenden: "Wir brauchen Lebensmittel, Lebensmittel, Lebensmittel", betont Sabine Kuhn. "Wenn jeder nur drei Päckchen abgibt und das machen 300, sind es schon 900", hofft sie auf Unterstützung aus der Bevölkerung. Und auch Rita Hütter appelliert: "Ich hoffe auf Lebensmittel." So einig, wie sich die beiden ehrenamtlich engagierten Frauen dahingehend sind, so übereinstimmend betonen sie aber auch: "Bei uns wird keiner weggeschickt!"
Info: Wer Lebensmittel, Hygieneprodukte oder ähnliches spenden möchte, kann dies in Leimen montags bis donnerstags von 8 bis 12 Uhr im St. Ilgener Mörikeweg 1 tun. In Neckargemünd nimmt die Tafel dienstags und freitags ab 8 Uhr Spenden Im Spitzerfeld 44-46 entgegen.