"Feiern ist etwas Positives"
Sie wollen das Bewusstsein in der Stadt ändern. Nach einem Jahr im Amt ziehen Daniel Adler und Jimmy Kneipp Bilanz.

Von Anica Edinger
Heidelberg. Am 15. März 2021 bezogen sie ihr Büro am Fischmarkt in der Altstadt – Heidelbergs erste Nachtbürgermeister Daniel Adler und Jimmy Kneipp. Und die beiden 32-Jährigen bleiben ein weiteres Jahr im Amt, ihre Stelle bei Heidelberg-Marketing wurde verlängert (wir berichteten). Wieso sie weitermachen wollen, was die Nachtbürgermeister in ihrem ersten Jahr die meiste Kraft gekostet hat – und was sich die beiden für ihre zweite Amtszeit vorgenommen haben, darüber sprechen Kneipp und Adler im Interview.
Herr Kneipp, Herr Adler, jugendliche Randale auf der Neckarwiese, Exzesse an der Alten Brücke, ein mehrmonatiger Kampf um die Winter-Edition des "Feierbads" – und Sie wollen dennoch ein weiteres Jahr dranhängen als Nachtbürgermeister. Wieso tun Sie sich das an?
Kneipp: Weil es in Sachen Nachtkultur schlicht noch extrem viel zu tun gibt in Heidelberg – und wir dafür gebraucht werden.
Adler: Wir haben im vergangenen Jahr viele Projekte angefangen, die wollen wir nun auch zu Ende bringen – das Projekt "Feierbad" etwa oder auch die Awareness-Kampagne, die gerade startet. Wir haben uns nach unserem ersten Jahr richtig gut eingespielt, sind angekommen, werden als feste Ansprechpartner bei der Verwaltung und in der Stadtgesellschaft wahrgenommen – darauf möchten wir aufbauen.
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Und das war nicht immer so?
Adler: Wir mussten, wie das bei so ziemlich jedem neuen Job ist, unseren Platz finden. Das hat seine Zeit gebraucht.
Kneipp: Wir mussten auch mal die Ellenbogen ausfahren, aber haben mittlerweile bewiesen, dass die Nachtbürgermeister-Stelle notwendig ist und wir die Richtigen für diesen Job sind. Unter anderem der Erfolg des "Feierbads" hat das gezeigt. Das Projekt hat dazu geführt, dass die Besuchermassen auf der Neckarwiese entzerrt wurden und so auch die Anwohner deutlich entlastet werden konnten. Das haben auch der Kommunale Ordnungsdienst und die Polizei bestätigt.
Und trotzdem sah es im Herbst zunächst danach aus, als wollte die Stadt wegen der hohen Kosten keine Winter-Edition des Projekts. Erst nach zähem Kampf hat es geklappt.
Kneipp: Ja, es war ein zäher Kampf, insbesondere in den Ausschüssen und innerhalb des Gemeinderats. Aber erfreulicherweise standen letztlich die Stadtspitze sowie der Großteil der Gemeinderäte hinter dem Projekt und es geklappt.
Herr Kneipp, Sie haben öfter auch mal in Interviews die Position der Stadt kritisiert. Hat Ihnen das auch Ärger eingebracht?
Kneipp: Ja, natürlich gab es da Kritik von verschiedenen Stellen. Aber wir sind meiner Meinung nach dafür da, auch mal den Finger in die Wunde zu legen, uns kritisch zu äußern und neue Wege aufzuzeigen. Das kommt natürlich nicht immer gut an. Aber da muss man drüber stehen.
Adler: Das Wichtigste ist in unserem Job, dass wir felsenfest hinter unserer Meinung stehen und für unsere Projekte und Position kämpfen – auch bei Gegenwind.
Also muss man als Nachtbürgermeister auch ein bisschen rebellisch sein ...
Kneipp: Definitiv. Aber gleichzeitig muss man auch Brückenbauer sein.
Öffentlich sind Sie, Herr Adler, in der letzten Amtszeit nicht so sehr in Erscheinung getreten. Wie haben Sie die Arbeit denn untereinander aufgeteilt?
Adler: Das stimmt, Jimmy war öffentlich präsenter. Wir sprechen uns dennoch bei allen Projekten, Ideen und Aufgaben gemeinsam ab und sind beide gleichermaßen in alle Themen involviert – eine strikte Aufgabenteilung gibt es nicht.
Nun steht Ihr nächstes Großprojekt in den Startlöchern: die Awareness-Kampagne für die Altstadt, durch die Feiernde für die Bedürfnisse der Anwohner sensibilisiert werden sollen. Es sollen Flyer verteilt und Plakate aufgehängt werden. Glauben Sie, dass Sie so die Altstadt befrieden können?
Adler: Es wäre eine Illusion zu glauben, dass wir durch die Awareness-Kampagne, im Speziellen durch Flyer oder Plakate, alle Probleme lösen können. Doch die Kampagne ist mehr als das. Wir werden Konfliktmanager auf die Straße bringen, die aktiv und präventiv auf Feiernde eingehen, wir sind ständig im Gespräch mit dem Kommunalen Ordnungsdienst und der Polizei, um Maßnahmen schnittstellenübergreifend vorzubereiten. Flyer und Plakate sind nur ein kleiner Baustein von vielen.
Kneipp: Es gibt immer Kritiker, das war beim "Feierbad" genauso. Da gab es auch genügend Personen, die gesagt haben: "Das bringt eh nichts." Und dann wurde das Projekt zum Riesenerfolg. Man muss verschiedene Dinge auch einfach mal angehen und ausprobieren. Außerdem sind solche Awareness-Kampagnen keine neue Erfindung, in vielen anderen Städten – in Regensburg oder München etwa – hat sich das Konzept bewährt.
Für die Kampagne werden nun auch Konfliktmanager gesucht, die nachts auf der Straße sind und potenzielle Randalierer frühzeitig ansprechen. Nicht gerade ein attraktiver Job ...
Kneipp: Ich würde sagen, es ist ein herausfordernder Job.
Gingen schon Bewerbungen ein?
Adler: Stand heute: eine. Wir haben die Stellenausschreibung noch nicht breit gestreut und sie ist erst wenige Tage online. Gezielt ansprechen werden wir Studierende im sozialen und pädagogischen Bereich. Diese sollen vor Antritt der Stelle eine Schulung erhalten, die sie als Referenz für ihren Lebenslauf nutzen können. Möchte man sich der Herausforderung stellen und aktiv dabei unterstützen, Heidelbergs Nachtleben positiv zu prägen, ist die Stelle attraktiv.
Die Awareness-Kampagne war eigentlich eines der ersten Projekte, die Sie angegangen sind. Nun ist sie erst ein Jahr nach Ihrem Antritt fertig. Wieso hat das denn so lange gedauert?
Adler: So eine Kampagne startet nicht von heute auf morgen. Es gab einige Abstimmungs- und Feinjustierungsrunden, um so auch alle Anspruchsgruppen mitnehmen zu können. Die Kampagne selbst wurde bereits in den Wintermonaten vorbereitet. Zudem ist erst jetzt der richtige Zeitpunkt, um damit rauszugehen – wo Corona-Maßnahmen potenziell gelockert werden, ein wenig Normalität in Reichweite ist und der Frühling die Feiernden wieder in die Altstadt lockt. Dann wird auch das Thema Lärm wieder aktuell und dann sind wir da.
Welche Projekte wollen Sie in Ihrer zweiten Amtszeit ansonsten noch auf den Weg bringen?
Kneipp: Ein wichtiges Anliegen ist uns, das "Feierbad" langfristig zu etablieren. Aktuell läuft das Projekt bis zum 30. April, wenn es dann wärmer wird, wollen wir wieder ein Open-Air-Angebot auf die Beine stellen.
Trotz der Lärmbeschwerden von Wieblinger Anwohnern im Sommer?
Kneipp: Bei der Winter-Edition ist Stand heute keine einzige Beschwerde eingegangen. Wir haben den Lärmschutz definitiv auf dem Schirm. Im Gespräch ist aktuell, zusätzlich feste Lärmschutzwände aufzubauen. Das könnte den Lärm weiter massiv reduzieren.
Adler: Die nächste Frage wird sein, wie man das Angebot wirklich verstetigen kann, eventuell sogar in einem eigenen Objekt.
Also das "Feierbad" als ständiger Club?
Kneipp: Wir haben uns natürlich über diese Option unterhalten und einige konkrete Ideen dazu. Denn die Jugend hat meiner Meinung nach Anspruch auf so einen festen Ort.
Aber ist es wirklich Aufgabe der Stadt oder der Nachtbürgermeister, als Clubbetreiber zu agieren?
Kneipp: Nein, das nicht. Aber es liegt in unserer Verantwortung, entsprechende Projekte weiter zu subventionieren und zu unterstützen. Insbesondere für die Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen. Als Club wirtschaftlich für diese Gruppe ein Angebot auf die Beine zu stellen, ist nicht möglich. Deshalb müssen wir da als jüngste Stadt Deutschlands aushelfen. Andernfalls gibt es für diese Gruppe keinen Ort zum Ausgehen und gemeinsamen Feiern. Und gerade das ist wichtig, auch wegen der sozialen Kontrolle. Im "Feierbad" gibt es kaum Zwischenfälle – und wenn mal einer aus der Reihe tanzt, wird er von der Security direkt herausgezogen. An der Alten Brücke etwa oder an der Neckarwiese gibt es diese soziale Kontrolle nicht.
Adler: Die Stadt sollte deshalb Ermöglicherin sein. Wir können als Schnittstelle die richtigen Leute miteinander in Verbindung bringen, Prozesse unterstützen, beschleunigen und eine neue Sicht ermöglichen.
Woran scheitert es denn in Heidelberg im Hinblick auf die Ansiedlung neuer Clubs?
Adler: Das Hauptthema ist, geeignete und vor allem leistbare Mietobjekte zu finden und das dann in Einklang mit allen Anspruchsgruppen zu bringen. Daran scheitert es bei vielen willigen Clubbetreibern in der Stadt.
Kneipp: Außerdem ist Feiern in Heidelberg eher negativ behaftet. Wir möchten hier das Bewusstsein ändern, dass Weggehen und Feiern etwas Positives und Wichtiges ist für die Menschen. Wir müssen eine Stimmung schaffen, die zeigt, dass Heidelberg offen ist für Clubs und möglichen Betreibern Tür und Tor öffnen.
Was wünschen Sie sich für Ihre zweite Amtszeit von der Stadt?
Kneipp: Grundsätzlich wünsche ich mir von allen politischen Akteuren, sich wieder mehr auf die Sache zu besinnen und beim Thema Feiern und Jugend auf Parteipolitik zu verzichten. Von der Stadt wünsche ich mir, dass man weiterhin offen für neue Projekte ist und diese schnell und vor allem unbürokratisch begleitet. Der Riesenverwaltungsapparat, der nun einmal existiert, die vielen Abstimmungsrunden und Meetings, dass jeder bei allem mitreden will und es besser weiß, das hat uns das eine oder andere Mal wirklich viel Kraft gekostet. Dass die Arbeit so politisch wird, das hatte ich anfangs nicht gedacht, es hat aber auch viel Spaß gemacht.
Adler: Ich wünsche mir, dass die Stadt weiterhin den Mut hat, neue und innovative Wege zu gehen. Es ist nicht immer wichtig, alles perfekt zu machen. Wir sollten in Heidelberg Dinge auch einfach mal ausprobieren – auch wenn diese dann eventuell scheitern.