Sinsheim-Dühren

Wenn die Tankfüllung 145 Euro kostet

Über Frust, Angst und Galgenhumor an der Zapfpistole

08.03.2022 UPDATE: 09.03.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 28 Sekunden
Am Dienstag kletterte der Dieselpreis auf 2,20 Euro – vorerst. Dass der Diesel teurer als Super-Benzin ist, sorgt insbesondere für Verwunderung. Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim-Dühren. Der Frust entlädt sich an der Zapfsäule: "Was die mit uns treiben", ruft die ältere Frau und fährt auf einem Motorroller davon, an dessen Lenkerstummeln zwei volle Einkaufstüten hängen. "Bald kann ich mit dem Dreirad auf die Arbeit fahren." Ein anderer Kunde sagt, dass er sich jetzt "einen 450-Euro-Job für den Sprit für den Hauptberuf suchen" muss.

Dass der Benzinpreis noch am selben Tag auf 2,50 Euro klettern könnte, mutmaßte man an der Dührener Avia-Tankstelle schon am frühen Dienstagmorgen. Manche taten das als Rumoren ab. Da kostete der Liter Diesel gerade knapp unter zwei Euro. Drei Stunden später lag der Preis bei 2,21 Euro.

Das "Pingpongspiel" beobachten Geschäftsführer Ufuk Bozaci und seine Angestellten Jason Poser und Sadik Demirov schon seit Wochen – mit Auf- und Abwärtssprüngen an der digitalen Preisanzeige, teils im Minutentakt der Börsen. Die Sorge, in welche Höhe die Preise bis Ostern klettern könnten, will keiner der drei laut aussprechen: drei Euro? Als zu Beginn der Corona-Krise alle Angst ums Klopapier hatten, habe man an leerer und leerer wirkenden Regalen erlebt, welchen Effekt solche Prognosen haben können. Oder beim Heizöl: 3000 Liter kosteten am Dienstag rund 5000 Euro – je nach Hausgröße kommt man mit dieser Menge ein knappes Jahr lang aus. Grund des Preisanstiegs ist auch, dass die normalerweise gerade beim Heizöl mit jedem Cent kalkulierenden Deutschen zurzeit die Tanks füllen, aus Angst, es könnte noch teurer oder knapper werden, weil alles, und allen voran US-Außenminister Antony Blinken, über einen Importstopp von Öl aus Russland diskutiert. Durchaus ein "Klopapier"-Effekt, der wiederum den Preis für den Zapfsäulen-Diesel in die Höhe treibt.

Der Spritpreis sei bei jedem Gespräch, dass hier auf der Tankstelle geführt wird, das beherrschende Thema, sagt Demirov, der als studentische Aushilfe in Dühren arbeitet. Die Dachdecker-Trupps, die allmorgendlich hier tanken und viel durch die Lande fahren müssen, werden die Mehrausgaben nun auf ihre Arbeitskosten umlegen müssen.

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Auf dem Hof unterhält sich ein Kunde, der gerade 145 Euro für 66 Liter Diesel gezahlt hat, mit einem Mann, der mit Autos handelt. Ungläubig, hält der Kunde den Betrag an der Zapfsäule in einem Handyfoto fest und ruft: "Ein Toyota, kein Lamborghini!" Auf ein Elektroauto umzusteigen, kann sich der Mann nicht leisten, "auch nicht, wenn es 10.000 Euro kosten würde" – und außerdem glaubt er: "Kommen richtige Energieprobleme, kriegst Du das auch nicht aufgeladen." Ein anderer überlegt sich, "auf kleine sparsame Autos umzusteigen" – worauf der Autohändler ihm die Hoffnung bremst: "Polo, Lupo, Smart – findest Du kaum." Der Markt sei schon seit einer Weile ziemlich abgegrast. Als der Mann nun lacht, mit der Begründung, angesichts der Situation "nichts anderes als lachen zu können", sagt sein Gegenüber: "Du hast noch Ironie, dich hat’s noch nicht ins Mark getroffen." Ein Italiener kommt hinzu und berichtet aus seinem Land: Dort bunkerten die Leute Sprit, kuppelten aus, wenn’s bergab geht – "und machen den Tank nicht voll, weil das Auto dann leichter ist".

Solche und ähnliche Gespräche – Galgenhumor, Sarkasmus und immer mehr auch Wut – hören Bozaci, Poser und Demirov seit Tagen. Aus dem üblichen "Zehner", den viele schnell zwischendrin nachtanken, sind 20 und 25 Euro geworden. Das Verhalten im Shop habe sich nicht sonderlich verändert, allerdings kauften Raucher "mehr Zigaretten", sagt Poser – wohl um "sich einzudecken und Wege zu sparen".

Tankstellen-Chef Bozaci ist klar, "dass der Staat für Erleichterung sorgen muss". Angesichts von 19 Prozent Mehrwertsteuer, rund 66 Cent Energiesteuer auf den Nettoverkaufspreis pro Liter Benzin sowie der CO2-Bepreisung und der "Erdölbevorratungsabgabe" sieht er Spielräume, "gerade in einer so akuten Situation". Viel mehr als müde lächeln kann Bozaci deshalb nicht, wenn Wirtschaftsminister Habeck den Durchschnittshaushalt mithilfe einer reduzierten EEG-Umlage um durchschnittlich 300 Euro im Jahr entlasten will. "300 Euro" braucht Bozaci allein für seine Fahrten zur Tankstelle – "und zwar pro Monat".


"Wir verdienen damit nicht mehr als sonst"

Der Vorstandsvorsitzende der Agroa Raiffeisen-Genossenschaft zu Tankstellen, Pellets und Landwirten.

Kraichgau/Eppingen. (guz) "Eine Rationierung bei den Verbrauchern sehen wir schon", sagt Jürgen Freudenberger, Vorstandsvorsitzender der Agroa Raiffeisen-Genossenschaft mit Sitz in Eppingen. Die Genossenschaft betreibt im Kraichgau unter anderem sieben Tankstellen, sechs Tank- und zwei Pelletlager und liefert zahlreichen Kunden Heizöl. Derzeit sei dies aber ein "Klein-Klein-Geschäft"; die Kunden seien im Notversorgungsmodus und bestellen nur, was sie in den nächsten Wochen brauchen. Die großen Mengen von früher werden wegen der hohen Preise nicht umgesetzt. "Alle warten ab und setzen auf die Zeitachse", sagt Freudenberger, aber keiner weiß natürlich, wie lange es dauern wird, bis die Preise wieder fallen." Die Nachfrage nach Pellets sei "schon auf deutlich schlechterem Niveau" gewesen, allerdings konnten den ganzen Winter über weniger Holzpellets eingelagert werden, weil die Industrie mit der Produktion nicht hinterherkommt.

Lieferengpässe bei Sprit gebe es derzeit hingegen nicht; Freudenberger berichtet jedoch von "Tankstellengesprächen, die nicht die freundlichsten sind" und stellt dabei klar: "Wir verdienen daran nicht mehr als sonst."

Die extrem gestiegenen Dieselpreise treffen auch die Landwirte, für die es zwar noch die seit Jahren umstrittene Dieselölbeihilfe gibt, die jedoch auch sämtliche Arbeitsgeräte mit Diesel betreiben müssen. Kompensiert werden diese Mehrausgaben jedoch voraussichtlich durch höhere Einnahmen beim Getreideverkauf – denn auch für nahezu alle Korn-Sorten ist der Preis angesichts der Kriegsunsicherheiten und der großen Bedeutung der Ukraine als Getreideproduzent enorm gestiegen. "Wir können gerade keine Marktpreise mehr abbilden", sagt Freudenberger, der auch an der Preisbildung am Getreidemarkt mitwirkt – die Notierungen, die den Landwirten sonst eine Orientierungsmöglichkeit geben, seien derzeit ausgesetzt, "sonst müsste man sie stündlich neu festlegen".

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