Wilhelmsfeld

Aus für den "Schriesheimer Hof"

Der Landgasthof ist geschlossen: Finanzielle und personelle Probleme durch die Corona-Krise sorgten für das endgültig Aus.

16.02.2022 UPDATE: 17.02.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Der Schriesheimer Hof galt über viele Jahrzehnte lang als beliebtes Ausflugslokal in der Region rund um Heidelberg. Fotos: Alex/privat

Von Benjamin Miltner

Wilhelmsfeld. Lockdowns und Sperrstunden, strenge und immer wieder wechselnde Zutrittsregeln mit 3G und 2G sowie weniger Plätze in Folge der Hygienekonzepte: Das sind einige, aber bei Weitem nicht alle Schwierigkeiten, mit denen die Gastronomie in der Pandemie zu kämpfen hat. Zuletzt sind explodierende Preise bei Energie und Lebensmitteln hinzugekommen. Kurzum: Eine ganze Branche leidet, Corona wird landauf, landab zum Sargnagel für Gaststätten. Auch für den "Schriesheimer Hof" in Wilhelmsfeld.

Wann immer es zuletzt im Luftkurort um das Thema "Schriesheimer Hof" ging, war der gleichnamige Bebauungsplan gemeint. Um den Landgasthof "Schriesheimer Hof" ist es dagegen still geworden. Das traditionelle Lokal ist mittlerweile geschlossen. Dauerhaft. Die RNZ hat beim Verein "Hestia", Eigentümer und Betreiber der Gaststätte, nach den Gründen der Aufgabe gefragt.

Sabine Hoffmann von „Hestia“.

Die Kurzversion kennt ein Wort: Corona. "Schon der erste Lockdown war für uns sehr schwierig gewesen", erinnert sich Sabine Hoffmann von Hestia im RNZ-Gespräch an die schwierige Zeit im Frühjahr 2020 samt Schließung und Kurzarbeit. "Danach haben wir Probleme gehabt, mit dem Landgasthof wieder vollends auf die Beine zu kommen", berichtet die pädagogische Leitung des Betreibervereins.

Versucht habe man so einiges: Etwa Außer-Haus-Essen, das in Wilhelmsfeld aber nicht in dem benötigten Ausmaß angenommen wurde. Auch Aktionen wie ein Spanferkelessen brachten keine nachhaltige Belebung. Die Öffnungszeiten auszuweiten, häufiger abends zu öffnen um so mehr Einnahmen zu erwirtschaften, war eine weitere Überlegung. Das Problem hier: der auch in der Gastronomie vorherrschende Fachkräftemangel. "Wir haben trotz mehrfacher Ausschreibungen keine Servicekräfte gefunden", betont die 39-Jährige. Weitere Problematik: Da die Familienarbeit und nicht der Landgasthof Haupteinnahmequelle des Vereins sind, konnte dieser für das Restaurant auch keine Corona-Hilfen in Anspruch nehmen.

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Hintergrund

> "Hestia" ist ein rund um Heidelberg tätiger Verein für pädagogische Familienarbeit. Er hat zum Ziel, Väter und Mütter, die aufgrund ihrer Lebenslage Unterstützung benötigen, mit ihren Kindern auf einen Weg zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung

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> "Hestia" ist ein rund um Heidelberg tätiger Verein für pädagogische Familienarbeit. Er hat zum Ziel, Väter und Mütter, die aufgrund ihrer Lebenslage Unterstützung benötigen, mit ihren Kindern auf einen Weg zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung zu begleiten. Der Verein wurde 1991 unter dem Namen "Orthos" in Heidelberg gegründet und hat seinen Vereinssitz mittlerweile in Schriesheim. "Hestia" – benannt nach der griechischen Göttin der Familie – betreibt im Wilhelmsfelder Anwesen "Schriesheimer Hof" zwei stationäre Wohngruppen mit Platz für insgesamt 15 Mütter oder Väter und 17 Kinder. Als Folgeangebot stehen für die jungen Familien von "Hestia" angemietete Wohnung in Wilhelmsfeld und Schriesheim bereit. Der Verein betreibt zudem eine Kinderkrippe in Schriesheim und hat über viele Jahre eine Jugendwohngruppe in Wilhelmsfeld betreut. Diese wurde 2020 mangels Personal eingestellt und der Verein konzeptionell wie personell neu strukturiert.

> Der Schriesheimer Hof ist eine bekannte Ausflugsstätte im Luftkurort, die im Jahre 1799 erstmals als Straußenwirtschaft erwähnt und ab 1866 bis zur Gebietsreform 1977 als Schriesheimer Gasthaus geführt wurde. Er liegt an der zentralen Kreuzung des heutigen Luftkurorts von Johann-Wilhelm-, Schriesheimer und Altenbacher Straße. Das Anwesen befand sich über viele Jahrzehnte im Familienbetrieb, ehe es 2003 vom Verein Hestia – damals noch "Orthos" übernommen wurde. Der Landgasthof diente dem Verein bis vor Kurzem als Ausbildungsbetrieb und war gleichzeitig ein öffentliches Restaurant. bmi

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Im Gebäudekomplex Schriesheimer Hof sind auch zwei Wohngruppen für Mutter oder Vater mit Kind angesiedelt. Der Gasthof diente "Hestia" über Jahrzehnte als Ausbildungsbetrieb und wurde gleichzeitig als öffentliches Restaurant geführt. "Wir konnten immer den hier betreuten Müttern und schwer erziehbaren Jugendlichen eine Ausbildung bieten, die für sie auf dem freien Markt schwierig zu finden gewesen wäre", erklärt die 39-Jährige. Vor rund zwei Jahren gab der Verein seine Jugendwohngruppe im Ort auf, gleichzeitig ging das Interesse an den Ausbildungsberufen Koch oder Fachkraft im Gastgewerbe merklich zurück. "Das war für Jugendliche deutlich reizvoller als für alleinerziehende Mütter", weiß Hoffmann. Zuletzt waren es nur noch zwei Auszubildende im Schriesheimer Hof, wovon eine aus persönlichen Gründen die Ausbildung beendet hat. "Der Ausbildungsberuf ist unattraktiv geworden, auch wegen der Unsicherheit rund um Corona in der Gastronomie", meint die gelernte Erzieherin.

Schon vor der Pandemie habe der Landgasthof keine Gewinne ausgeschüttet. Dabei war das Restaurant laut Hoffmann gut besucht, die freitäglichen Schnitzel-Abende beliebt und beim Mittagstisch unter der Woche meist jeder Tisch belegt. "Unser Tagesessen war aber super günstig und wir haben leider keinen großen Getränkeumsatz erlebt", so Hoffmann. Den monatlichen Verlust in der Gastronomie habe der Verein vor der Pandemie dank der Vollauslastung der Betreuungsgruppen besser kompensieren können. "Seit Corona läuft aber auch das sehr schleppend", erklärt die pädagogische Leitung.

Sechs Mitarbeiter verlieren nun in Folge ihren Arbeitsplatz, darunter drei Köche, eine Servicefachkraft und zwei Aushilfen. Der Rest des Restaurantbetriebs war durch Mithilfe des rund 30-köpfigen Betreuungsteams gestemmt worden. Was passiert nun mit den Räumlichkeiten? "Die weitere Nutzung ist noch offen", berichtet die pädagogische Leitung. Der Verein hat sein Gewerbe abgemeldet und strebt eine Verpachtung an, weiß aber auch: "Mit einer Mutter-Kind-Einrichtung über der Gaststätte gelten wir nicht als attraktivster Standort, da gibt es viele Vorurteile."

Kurzfristig bahnt sich ein Mieter an: Wie der Verein berichtet, sind zwei Anfragen zur Nutzung des Schriesheimer Hofs als Testzentrum eingegangen. Nachdem die Pandemie das Aus für den Restaurantbetrieb besiegelt hat, könnte sie nun indirekt zumindest für etwas Abhilfe sorgen...

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