Mannheim

Erklärschilder sollen bis zum Namenswechsel angebracht werden

Der Gemeinderat stimmte dem Start des Umbenennungsprozesses für vier Straßen in der Rheinau zu.

08.02.2022 UPDATE: 09.02.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden
Diese vier Straßennamen in Rheinau-Süd sollen umbenannt werden, der Mannheimer Gemeinderat hat dafür in seiner jüngsten Sitzung die Weichen gestellt. Foto: Gerold/Bildcollage: RNZ Repro

Von Olivia Kaiser

Mannheim. Die Tage der Gustuav-Nachtigal-Straße, der Lüderitzstraße, der Leutweinstraße und des Sven-Hedin-Wegs sind gezählt: Am Dienstag hat der Mannheimer Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossen, den Weg der Umbenennung für die vier Straßen in Rheinau-Süd zu gehen. Der formale Umbenennungsbeschluss kommt, wenn fest steht, welche neuen Namen die Straßen tragen werden. Bis dahin werde wohl circa zwei Jahre ins Land gehen. In der Überbrückungszeit soll eine zusätzliche Beschilderung angebracht werden, die auf die Verbrechen der Namenspaten hinweist.

Nachtigal, Lüderitz und Leutwein hätten sich unmittelbar an schweren Menschenrechtsverletzungen in den damaligen deutschen Afrikakolonien beteiligt, so Oberbürgermeister Peter Kurz und verwies auf das in Auftrag gegebene Gutachten des Leibniz Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Die Straßen wurden 1935 im Rahmen des NS-Kolonialrevisionismus benannt. Der schwedische Naturforscher Sven Anders Hedin befürwortete das NS-Regime und machte aus seiner rassistischen und antisemitischen Haltung keinen Hehl. Er sei ein Propagandist gewesen, so Kurz, der "peinlicherweise" 1985 mit einem Weg geehrt worden sei.

Genau dieser Ehrungsgedanke ist es, der nach Auffassung der Verwaltung und der meisten Stadträtinnen und Stadträte die Umbenennung nötig macht. In diesem Fall gebe es keinen Raum für eine Abwägung, verdeutlichte der OB. Es gebe immer wieder Fälle von historischen Persönlichkeiten, die herausragende Leistungen vollbracht haben und dafür mit einem Straßennamen geehrt wurden, sich jedoch nach heutigem Werteverständnis eine "dunkle Seite" offenbare, so Peter Kurz. Dann gelte es abzuwägen, ob die Leistung es rechtfertigt, die Ehrung beizubehalten und vielleicht mit einer Erklärung zu versehen.

Das sei jedoch hier nicht der Fall. Es waren ja gerade – zumindest bei den Kolonialisten – die unrühmlichen Taten gewesen, die ihnen in der NS-Zeit diese Ehrung einbrachten. Auch bei Hedin überwiegt das verachtende Menschenbild. "Die Empfehlung des historischen Gutachtens ist eindeutig", betonte der Rathauschef. "Wir stellen zentrale Grundwerte zur Disposition, wenn wir die Ehrung aufrecht erhalten."

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Hintergrund

> Adolf Lüderitz: Der Bremer Kaufmann ist vor allem bekannt wegen seines betrügerischen Vorgehens beim Landerwerb (1883-1884) in Südwestafrika bekannt, das ist als "Meilenschwindel" in die Geschichte eingegangen ist. Die sich daraus ergebenden Konflikte um Land und

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> Adolf Lüderitz: Der Bremer Kaufmann ist vor allem bekannt wegen seines betrügerischen Vorgehens beim Landerwerb (1883-1884) in Südwestafrika bekannt, das ist als "Meilenschwindel" in die Geschichte eingegangen ist. Die sich daraus ergebenden Konflikte um Land und Ressourcen führten zu permanenten Konflikten, die schließlich im Völkermord an den Herrero im heutigen Namibia gipfelten.

> Theodor Leutwein: Er stammt aus Waldbrunn im Odenwald und war von 1895 bis 1905 Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika. Als Gouverneur war er ein "herausragender Repräsentant des kolonialen Unrechtssystems. Seine Person wurde im Zuge der nationalsozialistischen Vergegenwärtigung eines deutschen Expansionsanspruchs geehrt", heißt es in dem Gutachten.

> Gustav Nachtigal: Der Afrikaforscher vollzog als Reichskommissar die Gründung deutscher Kolonien in Westafrika (Togo und Kamerun) und zwang Einheimische, mitunter mit Gewalt und Geiselnahme, ihm ihr Land abzutreten. Dies hatte Aufstände zur Folge, die er blutig niederschlagen ließ. Nachtigal stellte zudem die von Adolf Lüderitz reklamierten Gebiete unter den Schutz des Deutschen Kaiserreichs.

> Sven Hedin: Der international bekannte schwedische Naturforscher (1865-1952) positionierte sich "politisch eindeutig für deutsche Expansionsinteressen und das nationalsozialistische Regime", heißt es in dem Mainzer Gutachten. Hedin vertrat ideologisch einen nordisch-germanischen Rassismus und pflegte antisemitische Einstellungen. (oka)

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"Es handelt sich um Personen, denen keine Ehre gebührt", stimmte Dennis Ulas, Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft Lipartie (Die Linke, Die Partei und Tierschutzpartei) zu. "Die Namen müssen aus dem öffentlichen Raum verschwinden." So sahen es auch SPD, Grüne und Mannheimer Liste. Deren Fraktionssprecher Achim Weizel betonte, man nehme jedoch den Oberbürgermeister beim Wort, dass betroffene Anwohner und Gewerbetreibende keine finanziellen Nachteile durch die Umbenennung tragen müssten. Eine Vorlage dazu werde die Verwaltung erarbeiten und dem Gemeinderat vorlegen, versprach Kurz.

Die gemeinsame Fraktion FDP/Mittelstand für Mannheim gab sich verhalten. Man stimme der Umbenennung zwar zu, schreie "aber nicht gerade Hurra", erklärte die Fraktionssprecherin Birgit Reinemund. "Eine Beschilderung hätte unserer Meinung nach ausgereicht."

Und wie sollen die Straßen künftig heißen? Einige Bewohnerinnen und Bewohner von Rheinau-Süd haben sich bereits für Blumennamen ausgesprochen – die sind historisch ungefährlich. Auch einen Vorstoß, afrikanische Freiheitskämpfer als Paten zu wählen, gab es bereits. Die neuen Namen werden im Rahmen einer Bürgerbeteiligung ermittelt. Der Prozess soll in drei Stufen verlaufen. Zunächst können Bürgerinnen und Bürger aus dem gesamten Stadtgebiet Namensvorschläge einzureichen. Die Verwaltung prüft die Vorschläge in der zweiten Stufe auf ihre Umsetzbarkeit. Bei der Prüfung geht es vor allem bei Personen um die jeweilige Biografie und ihre Ehrenwürdigkeit. Zum Abschluss der Bürgerbeteiligung plant die Verwaltung als dritte Stufe eine stadtweite Abstimmung über die geeignetsten Namensvorschläge. So hat der Gemeinderat die Möglichkeit, bei seiner Entscheidung über die neuen Namen das Meinungsbild der Mannheimerinnen und Mannheimer zu berücksichtigen.

Der Umgang mit kritischen Straßennamen sei ein Anliegen der gesamten Stadtgesellschaft, heißt es in der Verwaltungsvorlage. Deshalb dürfen auch alle an der Abstimmung teilnehmen. Eine Mehrheit des Gemeinderats sprach sich jedoch dafür aus, die Abstimmung so vorzunehmen, dass klar ersichtlich ist, wie die Bürgerinnen und Bürger in Rheinau-Süd abstimmen. Da sie betroffen sind, sei ihre Meinung besonders wichtig.

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