Kernkraftwerk Obrigheim

Konkrete Pläne für das "Danach" gibt es noch nicht

Heute vor 70 Jahren produzierte erstmals ein Kernkraftwerk Strom. In Deutschland ist das Thema Kernenergie abgeschlossen. In Obrigheim nähert sich der Rückbau des KWO seinem Abschluss.

19.12.2021 UPDATE: 20.12.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
90 Milliarden Kilowattstunden Strom hat das Kernkraftwerk Obrigheim in 37 Betriebsjahren produziert. Inzwischen ist es längst stillgelegt, der Abbau weit fortgeschritten. Foto: schat

Von Heiko Schattauer

Obrigheim. Es ist schon lange – 16 Jahre sind es inzwischen – stillgelegt. Und es ist auch vergleichsweise still geworden um das einst dienstälteste Kernkraftwerk Deutschlands, das KWO. Der Obrigheimer Atommeiler a. D. befindet sich seit 13 Jahren im Rückbau. Heute vor 70 Jahren startete unterdessen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Vor diesem Hintergrund hat die RNZ das Gespräch mit der KWO-Betreibergesellschaft, der EnBW, gesucht.

Heute vor 70 Jahren erzeugte das erste Kernkraftwerk der Welt (in den USA) Strom. Das KWO ging 1968 ans Netz, produzierte bis 2005 Strom. Welche Strommenge ist in diesen 37 Betriebsjahren zusammengekommen? Und wie lässt die sich einordnen?

Zwischen 1968 und 2005 erzeugte das KWO mehr als 90 Milliarden Kilowattstunden Strom und versorgte jährlich etwa 850.000 Haushalte. Jene 90 Milliarden Kilowattstunden Strom entsprechen der zweifachen Stromproduktion ganz Baden-Württembergs. Der aktuelle Wert aus 2020 liegt bei rund 44 Milliarden Kilowattstunden. In öffentlich zugänglichen Quellen sind übrigens zahlreiche Beispiele zu finden, was mit einer Kilowattstunde Strom gemacht werden kann. Diese ließen sich dann je nach Belieben auf Gegenwerte zu 90 Milliarden Kilowattstunden hochrechnen.

Hintergrund

Was mit einer Kilowattstunde (KWh) Strom gemacht werden kann:

> 1 Maschine Wäsche waschen

> 15 Hemden bügeln

> 17 Stunden Licht einer Glühlampe (60 Watt) – 90 Stunden Licht einer Stromsparlampe (11 Watt)

> 60 Minuten Staubsaugen auf

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Was mit einer Kilowattstunde (KWh) Strom gemacht werden kann:

> 1 Maschine Wäsche waschen

> 15 Hemden bügeln

> 17 Stunden Licht einer Glühlampe (60 Watt) – 90 Stunden Licht einer Stromsparlampe (11 Watt)

> 60 Minuten Staubsaugen auf mittlerer Stufe (1000 Watt-Staubsauger)

> 10 Stunden Fernsehen (LED/107 cm) oder 10 Stunden PC nutzen

>1 Hefekuchen backen oder 1 Mittagessen für vier Personen auf dem Elektroherd kochen

> 70 Tassen Kaffee kochen

> 133 Scheiben Brot toasten

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2005 stillgelegt befindet sich das KWO seit 2008 im Rückbau. Der ist inzwischen sehr weit fortgeschritten. Geben Sie uns doch bitte einen kleinen Einblick in den aktuellen Stand, zu den jüngsten Arbeiten und zu anstehenden Maßnahmen …

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Räumlich gesehen sind seither das Maschinenhaus und das Reaktorgebäude die beiden Haupt-"Schauplätze" des Rückbaus. Im konventionellen Maschinenhaus sind die Abbauarbeiten weitgehend abgeschlossen. Das bedeutet, dass nicht nur große Komponenten wie der Generator und die Turbinen, sondern auch praktisch alle weiteren Systeme/Komponenten demontiert und entfernt sind.

Ein vergleichbarer Stand wurde inzwischen auch im Reaktorgebäude erreicht: Die Dampferzeuger sind entfernt. Der Reaktordruckbehälter (RDB) – das frühere Herzstück der Anlage – wurde vollständig zerlegt. Ebenso beendet sind im Reaktorgebäude die Abbauarbeiten am "Biologischen Schild", das waren massive Betonstrukturen, die den RDB an seinem früheren Einsatzort umgeben haben. Abgeschlossen sind auch die Abbauarbeiten am Reaktorbecken, am früheren Brennelement-Lagerbecken sowie am Nasslagerbecken für Brennelemente im Nebengebäude. Ein großes Vorhaben, das im laufenden Jahr 2021 beendet werden konnte, war die Demontage des großen Krans im Reaktorgebäude.

Und welche Arbeiten stehen als Nächstes an?

Es stehen nun noch letzte, jeweils kleinere Abbautätigkeiten von Systemen, Komponenten und Anlagenteilen an. In den Räumen der Kontrollbereiche wurde darüber hinaus damit begonnen, die verbliebenen Gebäudestrukturen auszumessen und bei Bedarf Oberflächen abzutragen.

Wann werden die Rückbauarbeiten denn abgeschlossen sein? Gibt es schon einen Stichtag?

Die Autos verraten es: Dieses Archiv-Bild stammt aus den ersten Betriebsjahren des KWO. Foto: zg

Wir gehen davon aus, die Rückbauarbeiten in Obrigheim bis Mitte der 2020er-Jahre soweit erledigt zu haben, dass das KWO aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen werden kann.

Und gibt es eventuell schon Überlegungen für eine Nachnutzung von Teilen der Liegenschaft/der Gebäude?

Nein, es gibt noch keine konkreten Überlegungen oder Planungen für die zukünftige Nutzung des Standorts.

Das Zwischenlager für schwach- bis mittelradioaktiven Abfall wird ja vor Ort auch noch nach Abschluss des Anlagenrückbaus betrieben werden. Wie sehen hier die Planungen aus? Wie lange soll der Betrieb laufen bzw. wie lange ist das Zwischenlager genehmigt?

Das sogenannte Abfallzwischenlager Obrigheim (AZO) wird infolge der gesetzlichen Neuordnung der kerntechnischen Entsorgung von der staatlichen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) betrieben, die hier auch für Fragen zuständig ist.

Wie viele Tonnen Reststoffe sind dort eingelagert und aus welchen Anlagenteilen stammen diese?

Zum Inventar des Abfallzwischenlagers Obrigheim (AZO) müsste ebenfalls die BGZ befragt werden. Wir können jedoch sagen, dass sich dort beispielsweise die ordnungsgemäß verpackten Einzelteile des von uns zerlegten ehemaligen Reaktordruckbehälters des KWO befinden.

In anderen Ländern baut man – u. a. mit Verweis auf den Klimawandel – weiter auf die Nutzung der Kernkraft zur Stromgewinnung. Mitunter sind auch neue Kernkraftwerke geplant. Hat sich Deutschland zu früh aus der Kernkraft verabschiedet?

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist im Jahr 2011 im politischen und gesellschaftlichen Konsens beschlossen worden und gesetzlich klar geregelt. Die Nutzung der Kernenergie für die Stromproduktion hat sich damit in Deutschland erledigt. Die EnBW hat nach dem damaligen Ausstiegsbeschluss eine langfristige Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke ausgearbeitet, die sie seither konsequent umsetzt. Die Frage nach der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke sowie weitere hypothetische Fragestellungen in diesem Kontext stellen sich deshalb für die EnBW nicht.

Die EnBW hat den aus dem Atomausstieg resultierenden gesellschaftlichen Auftrag nicht nur angenommen, sondern die Energiewende und die Umsetzung des Ausstiegsbeschlusses aktiv weiter vorangetrieben. Von den fünf seitens EnBW betriebenen Kernkraftwerken ist heute nur noch der Block II in Neckarwestheim in Betrieb. Aber auch diese Anlage wird nach Atomgesetz spätestens Ende 2022 endgültig abgeschaltet. Die anderen vier Anlagen befinden sich im teils weit fortgeschrittenen Rückbau. Auch für Neckarwestheim Block II ist die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung bereits seit 2016 beantragt, der Genehmigungsprozess ist weit fortgeschritten. Die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung wird noch vor der endgültigen Abschaltung erwartet.

Noch mal zurück nach Obrigheim. Mit Abschluss des Rückbaus steht ja auch immer das Bild der grünen Wiese und der Abrissbirne, die auf die charakteristische Kuppel des Kraftwerks schwingt, im Raum. Sind diese Bilder denn überhaupt realistisch?

Die Entlassung aus der atomrechtlichen Überwachung markiert das Ende des nuklearspezifischen Rückbaus der technischen Anlagen in Obrigheim. Ein bereits durchgeführter Abbruch von Gebäuden ist dafür jedoch nicht erforderlich. Dennoch gehen wir derzeit davon aus, dass wir nach Ende der atomrechtlichen Überwachung einen Teil der Gebäude – z. B. das charakteristische Reaktorgebäude – abbrechen werden, dass aber andere Gebäude – wie z. B. Bürogebäude – vorerst erhalten bleiben. Eine abschließende Entscheidung über den Umgang mit einzelnen Gebäuden ist jedoch noch nicht gefallen.

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