Kolonialverbrecher-Namen sollen aus Mannheim verbannt werden
Die Mehrheit des Gemeinderats plädiert für die Umbenennung von vier Straßen in Rheinau-Süd

Von Olivia Kaiser
Mannheim. Die von der Stadtverwaltung angestrebte Namensänderung von vier Straßen in Rheinau-Süd wird immer wahrscheinlicher. Mittlerweile sprechen sich nicht nur die Gemeinderatsfraktionen von SPD, Grünen und Liparti (Linke, Die Partei und Tierschutzpartei) dafür aus, sondern auch die CDU und die Mannheimer Liste. Lediglich die Fraktionsgemeinschaft von FDP/Mittelstand für Mannheim (MfM) und die AfD sind dagegen. Vor Kurzem fand eine Bürgerinformationsveranstaltung für die Anwohner statt. Für Heinz Held, FDP-Bezirksbeirat und Vorsitzender der Siedlergemeinschaft, war es ein Etappensieg.
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Die Straßen des Anstoßes befinden sich in der BASF-Siedlung, die in den 1930er-Jahren entstand. Theodor Leutwein, Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal haben sich schwerer Verbrechen in den afrikanischen Kolonien des deutschen Kaiserreichs schuldig gemacht. Damals galten sie als Kolonialpioniere, heute ist klar: Sie waren Kolonialverbrecher. Das belegt nicht zuletzt ein Gutachten von Historikern der Universität Mainz, das die Stadtverwaltung in Auftrag gab. Sven Hedin, nach dem in den 1980er-Jahren ein Weg im Neubaugebiet benannt wurde, entpuppte sich als glühender Antisemit und Hitler-Verehrer.
Als die Anwohner vor knapp einem Jahr erfuhren, dass die Straßen umbenannt werden sollen, regte sich Widerstand. Einmal, weil die Entscheidung über ihre Köpfe hinweg gefällt werden sollte, aber auch weil sie die Kosten fürchteten, die solch eine Namensänderung mit sich bringt. Hinzu kam eine gewisse Nostalgie bei der älteren Generation. "Einige haben ihr ganzes Leben in der Siedlung verbracht", verdeutlicht Held. Für sie stelle das eine tiefgreifende Veränderung dar, die sie nicht ganz nachvollziehen können, da die Verbrechen der Paten ja nicht unter den Tisch gekehrt werden sollen. Deshalb plädierten viele Bewohner für die Beibehaltung der Namen und Plaketten an den Straßenschildern, die auf die Verbrechen hinweisen. Aufgrund des starken Protests ruderte die Stadtverwaltung zurück und versprach, die Bürger am Prozess zu beteiligen.
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Sie hat Wort gehalten. "Ich bin zufrieden mit der Infoveranstaltung", betont Hans Held. Baubürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD) und Marchivum-Direktor Ulrich Nieß sprachen mit den etwa 90 Teilnehmern der Veranstaltung und legten ihre Argumente dar. Eisenhauer habe zugesagt, dass die Bürger Vorschläge für die neuen Straßennamen machen können und dass die Auswahl im Bezirksbeirat vorgestellt wird, informierte der Siedlerchef im Gespräch mit der RNZ. Zudem versprach der Baubürgermeister, dass die finanziellen Ausgaben, die eine Namensänderung für Privatpersonen und Gewerbetreibende mit sich bringt, kompensiert werden könnten – wenn es der Gemeinderat so beschließt. "Das wurde zwar schon vorher gesagt, doch viele haben es nicht so recht geglaubt."
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Thorsten Riehle sind die Bürgerbeteiligung und die finanzielle Unterstützung ebenfalls wesentliche Punkte für die Namensänderung, die seine Fraktion ausdrücklich fordert: "Namensgebungen von Straßen sind eine hohe Ehre, die richtigerweise nur besonderen Persönlichkeiten zugestanden wird", so Riehle. "Aus dem Gutachten geht eindeutig hervor, dass diese Ehrung den Namensgebern nicht zustehen kann. Wir halten auch nichts davon, die Straßen nicht umzubenennen und nur mit einem Schild zu versehen. Die Ehrung und die Dokumentation des Unrechts würden bestehen bleiben."
Die Grünen hatten bereits 2019 einen Antrag zur Umbenennung von Straßennamen gestellt. "Bei der Neubenennung der Straßen sollte die Stadt ein klares Signal für Vielfalt und gegen Gewaltherrschaft und Rassismus setzen", betont der verkehrspolitische Sprecher Gerhard Fontagnier. "Die Anwohnerinnen und Anwohner müssen in den Prozess der Umbenennung mit eingebunden und, da wo es notwendig ist, finanziell auch unterstützt werden." Wie mit etwaigen entstehenden Kosten bei Gewerbetreibenden umgegangen wird, müsse aber diskutiert werden.
"Vertretbar", findet Achim Weizel, Fraktionschef der Mannheimer Liste, die Umbenennung. "Wobei die Fraktion der Meinung ist, dass der Sven-Hedin-Weg auf jeden Fall umbenannt werden sollte." Falls die Umbenennung vom Gemeinderat beschlossen werde, solle dem Bezirksbeirat Rheinau ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden, fordert Weizel. Zunächst skeptisch, spricht sich jetzt auch die CDU für die Umbenennung der vier Straßen aus. "Das Marchivum hat diese Änderung befürwortet und ausreichend begründet", erklärt CDU-Fraktionsführer Claudius Kranz. Es sei eine Entscheidung im Geist der Zeit, wie man auch an der Zusage zur Rückgabe der Benin-Bronzen sehen könne. "Aber es muss eine Kostenübernahme für Anwohner und Gewerbetreibende geben."
Die FDP/MfM-Fraktion ist gegen die Umbenennung, da es viele Betroffene in Rheinau-Süd gebe, die damit nicht einverstanden sind. Man sehe die Problematik dieser Namen aus Zeiten der Kolonialherrschaft, verherrlicht durch die Nationalsozialisten. Aber: "Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen", so die Fraktionsvorsitzende Birgit Reinemund. "Sie muss aufgearbeitet werden und darf nicht in Vergessenheit geraten. Wir fordern stattdessen Aufklärung in Form von Zusatzschildern und Hinweistafeln."
Hans Held ist Realist. Da sich mittlerweile eine große Mehrheit im Gemeinderat für die Umbenennung ausspricht, werde es wohl dazu kommen, sagt er. "Aber dann können wir wenigstens mitentscheiden, das werte ich als Erfolg." Zumal es äußerst unüblich sei, dass Bürgerinnen und Bürger so stark in den Prozess der Änderung von Straßennamen miteingebunden werden. Eine Kommune sei dazu nämlich nicht verpflichtet.