Die Bürger sollen bei der Umbenennung mitreden
Umbenennung von Straßen der "Kolonial-Pioniere": Arbeitskreis Kolonialgeschichte unterbreitet Vorschläge für neue Namenspaten

Von Olivia Kaiser
Mannheim. Wenn eine Straße umbenannt wird, dann ist das für Anwohner und ansässige Unternehmen mit Aufwand verbunden. Ausweisdokumente müssen geändert, Banken und Versicherungen informiert, neue Visitenkarten gedruckt, Homepages abgeändert werden und noch vieles mehr. Doch muss es nicht sein, wenn sich herausstellt, dass der Namenspate mächtig Dreck am Stecken hat? Im Fall von Theodor Leutwein, Adolf Lüderitz, Gustav Nachtigal und Sven Hedin ist das sogar noch untertrieben. Letzterer war glühender Hitler-Verehrer und Antisemit, die anderen haben sich schwerer Verbrechen in den afrikanischen Kolonien des deutschen Kaiserreichs schuldig gemacht. Nach ihnen sind in Rheinau-Süd vier Straßen benannt. Die Stadtverwaltung möchte eine Umbenennung erreichen.
Dieser Vorstoß sorgte im Oktober 2020 bei den Anwohnern für Wirbel. Sie fühlten sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Verwaltung nahm das Thema von der Tagesordnung des Gemeinderats. Oberbürgermeister Peter Kurz versprach in einem offenen Brief eine Bürgerbeteiligung bei der Findung neuer Straßennamen. Eine Informationsveranstaltung hat bisher aufgrund der Corona-Pandemie aber nicht stattgefunden.
Wie sensibel das Thema ist und wie groß die Befürchtung der Anwohner, am Ende doch mit Namen konfrontiert zu werden, die ihnen nicht gefallen, zeigt die Reaktion auf den kürzlichen Vorstoß des Arbeitskreises (AK) Kolonialgeschichte Mannheim. Die Gruppe gründete sich im Zuge der "Black Lifes Matter"-Demos wegen der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd vor gut einem Jahr.
Die Mitglieder wollen mit Recherche und Informationen zur kritischen Aufarbeitung und Diskussion in Mannheim beitragen. Im Fokus stehen dabei unter anderem auf fragwürdige Weise aus den Kolonien beschaffte Kunst- und Kulturgüter in den Reiss-Engelhorn-Museen – und die Diskussion um die kolonialistischen Straßennamen in Rheinau-Süd.
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Dazu hat die Gruppe jetzt Vorschläge für neue Namenspaten vorgestellt. Darunter befindet sich beispielsweise Rudolf Manga Bell (1873-1914). Das Oberhaupt der Duala in Kamerun wurde von der deutschen Kolonialmacht hingerichtet. Miriam Makeba (1932-2008) ist eine südafrikanische Sängerin und Komponistin. In vielsprachigen Songs prangerte sie die Apartheid Südafrikas an, die sie am eigenen Leib erfuhr. Die kenianische Biologin Wangari Muta Maathai (1940-2011) erhielt 2004 als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Frieden und Demokratie. "Diese Straßennamen gehen alle Mannheimerinnen und Mannheimer an", erklärt AK-Mitglied Gertrud Rettenmaier. Deshalb habe man sich damit befasst.
Obwohl es sich dabei in keiner Weise um offizielle Vorschläge handelt, hätten sich viele Anwohner erneut überrumpelt gefühlt, erzählt Hans Held. Der FDP-Bezirksbeirat ist auch Vorsitzender der Siedlergemeinschaft, in deren Gebiet sich die Straßen des Anstoßes befinden. Die BASF-Siedlung entstand in den 1930er-Jahren. Damals war es nicht ungewöhnlich, Straßen nach Persönlichkeiten aus der Kolonialzeit zu benennen. "Wir Siedler zeichnen uns durch eine große Verbundenheit zu unserem Viertel aus", erklärt Held. Die Namen seien identifikationsstiftend. Eine Ausnahme bildet der Sven-Hedin-Weg im Neubaugebiet. Viele Anwohner sprechen sich zumindest bei den drei "Kolonialpionieren" anstatt einer Namensänderung für einordnende Plaketten unter den Straßenschildern aus.
Ein Grund dafür ist laut Hans Held die Angst vor durch die Umbenennung entstehenden Kosten. Die Stadtverwaltung hat zwar zugesagt, diese zu übernehmen, doch viele Siedler wollen das nicht so recht glauben – vor allem die Gewerbetreibenden, auf die im Zweifelsfall viel höher Summen zukommen als auf Privatpersonen. Der unrühmlichen Taten der Namensgeber sei man sich sehr wohl bewusst, versichert der Siedler-Chef. "Wir erarbeiten gerade selbst Namensvorschläge, die dann bei einer Informationsveranstaltung vorgestellt werden sollen. Aber die Menschen müssen das mittragen können."
Damit liegt er auf Linie der Stadtverwaltung, die ebenfalls eine Präsenzveranstaltung plant, wie eine Rathaus-Sprecherin erklärt. "Eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist bei der Namensfindung vorgesehen", sagt sie. Einen konkreten Termin gibt es in Hinblick auf die Inzidenzahlen noch nicht. Hans Held könnte sich vorstellen, dass so ein Treffen im Restaurant Seeblick auf dem Gelände der Siedlergemeinschaft stattfinden könnte.
Im Vorfeld muss jedoch die grundsätzliche Entscheidung des Gemeinderats über eine Umbenennung stehen. Denn erst wenn der Gemeinderat grünes Licht gibt, kann die Namensänderung in Angriff genommen werden. Grüne und SPD sprechen sich dafür aus. Der Gemeinderat werde sich jedoch erst mit dem Thema beschäftigen, wenn ein Präsenztreffen mit dem Bezirksbeirat Rheinau stattgefunden hat, verdeutlichte die Sprecherin das Prozedere und erklärte: "Wir hoffen, dass die Präsenzveranstaltung mit dem Bezirksbeirat und die Bürgerinformation noch in diesem Sommer durchgeführt werden können."
Hans Held will derweil das Gespräch mit dem AK Kolonialgeschichte suchen. Die Siedlergemeinschaft plant nämlich auf die unrühmliche Rolle der "Kolonialpioniere" aufmerksam zu machen, beispielsweise mit einem Brunnen oder einer Gedenktafel. "Da könnte uns der Arbeitskreis unterstützen", schlägt der Siedler-Chef vor.