Franziska Brantner will die Ampel
Die Grünen-Abgeordnete beantwortete Fragen der Heidelberger Parteifreunde. "Die Union ist mehr als Laschet", sagt sie.

Von Steffen Blatt
Heidelberg/Berlin. "Hier jagt eine Sitzung die nächste", sagt Franziska Brantner. Sie ist in Berlin und hat nicht viel Zeit an diesem Dienstagabend. Gleich beginnt eine Abendveranstaltung ihrer Partei, später werden sich die Spitzen von Grünen und FDP zu ersten Vorsondierungen treffen. Trotzdem nimmt Brantner an der digitalen Mitgliederversammlung der Heidelberger Grünen teil – denn rund 80 zugeschaltete Mitglieder wollen wissen, wie es in Berlin nun weitergeht nach der Bundestagswahl.
Die 42-Jährige gibt bereitwillig Auskunft. Man merkt Brantner an, dass ihr der historische Sieg im Wahlkreis Heidelberg – sie holte mit 30,2 Prozent der Erststimmen zum ersten Mal das Direktmandat für die Grünen – Rückenwind gibt. Euphorie macht sich dennoch nicht breit, denn Brantner weiß, wie schwierig die Verhandlungen mit FDP, SPD – und vielleicht der Union? – werden.
Franziska Brantner über ...
... die Stimmung unter den Grünen in Berlin: "Die ist gemischt. Wir haben einige neue Direktmandate gewonnen, es sind aber auch Kolleginnen und Kollegen nicht mehr in den Bundestag gekommen, weil wir nicht so viel zugelegt haben wie erhofft."
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... die Vorsondierungen: "Es ist sehr gut, dass wir zuerst Gespräche mit der FDP führen. Das verhindert, dass die beiden Parteien in den Koalitionsverhandlungen gegeneinander ausgespielt werden. Für die Sondierungen haben wir ein kleines Team, in die Koalitionsverhandlungen gehen wir mit einer größeren Gruppe – und ich bin optimistisch, dass ich dabei sein werde."
... ihre Präferenz für eine Regierungsbildung: "Ganz klar die Ampel. In dieser Konstellation hoffen wir auf einen echten Modernisierungsschub für Deutschland. Allerdings brauchen wir ein gemeinsames Zielprojekt, nicht nur Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner."
... die Option einer Jamaika-Koalition: "Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir mit allen demokratischen Parteien sondieren. Aber aus dem Wahlergebnis einen Regierungsauftrag für Armin Laschet abzuleiten, halte ich für schwierig. Es ist nicht einmal sicher, ob er überhaupt in seiner Partei dafür den Rückhalt hat. Aber die Union ist mehr als Laschet."
... die Möglichkeit der Fortsetzung der Großen Koalition: "Das hält in Berlin niemand für ausgeschlossen, wenn alle anderen Konstellationen nicht klappen. Ich halte das aber für die schrecklichste Variante."
... die Strategie bei Koalitionsverhandlungen: "Wir müssen natürlich versuchen, beim Klimaschutz alles rauszuholen. Aber wir sollten dafür andere Inhalte nicht komplett aufgeben. Dann wären wir wieder nur das Öko-Korrektiv der SPD. Wir müssen auch in anderen Feldern etwas erreichen."
... die Diskussion um die angeblich vereinbarte Vizekanzlerschaft von Robert Habeck: "Ich bin froh, dass sie diese Dinge unter sich geklärt haben. Das Personaltableau wird aber zusammen mit den Inhalten abgestimmt."
... das im Vergleich zur Landtagswahl schwache Wahlergebnis der Grünen in Baden-Württemberg: "Wir sehen ein deutliches Stadt-Land-Gefälle, und zwar in ganz Deutschland. Da müssen wir schauen, wo wir Fehler in der Kampagne oder in der Ansprache gemacht haben. Denn bei der Landtagswahl waren in Baden-Württemberg auch viele ländliche Wahlkreise grün. In einer Ampelkoalition gibt es keine gottgegebene Kraft, die sich für den ländlichen Raum einsetzt, darum würde ich mir wünschen, wenn wir das sind."
... den Erfolg der FDP bei jungen Wählern (die Partei holte bei den Erstwählenden 23 Prozent): "Dass die FDP jetzt so hip ist, schmerzt mich ein wenig. Viele Influencerinnen und Influencer haben sich für die Partei stark gemacht. Wir haben es nicht geschafft, die Chancen zu betonen, die neue Technologien bieten, die zum Klimaschutz beitragen. Stattdessen wurde wieder diskutiert, was der Klimaschutz die Menschen kostet – und nicht, wie teuer es wird, wenn wir nichts machen. Die Themen Rente und zukünftiger Wohlstand waren vielen jungen Leuten wichtig. Gerade Rente war aber nicht unser Top-Thema im Wahlkampf – obwohl unser Konzept sich gar nicht so stark von dem der FDP unterscheidet."
... die Chancen einer Einigung mit der FDP bei finanzpolitischen Fragen: "Das wird der schwierigste Teil der Gespräche. Das FDP-Programm ist überhaupt nicht solide durchgerechnet. Ich hoffe, dass uns die Realität bei den Verhandlungen hilft."
Nach einer Dreiviertelstunde verabschiedet sich Brantner. Später in der Nacht twittern Annalena Baerbock und Robert Habeck, FDP-Chef Christian Lindner und sein Generalsekretär Volker Wissing nach den ersten Gesprächen ein Gruppenfoto. Darunter steht: "Spannende Zeiten."



