Jamaika-Koalition

Ein Angebot, das sie nicht ablehnen können

2022 wird der nächste Bundespräsident gewählt. Könnte das eine Rolle bei der Koalitionsbildung spielen?

29.09.2021 UPDATE: 30.09.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 12 Sekunden
Mögliche neue Schlossherren in Bellevue? Katrin Göring-Eckardt und Winfried Kretschmann. Archiv-Foto: dpa

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Zu den Argumenten, warum es doch zum Jamaika-Bündnis kommen könnte, zählt auch dieses Gerücht: Die Union könnte die Grünen mit der Aussicht auf ihre Seite ziehen, den nächsten Bundespräsidenten zu stellen. Dabei fällt auch der Name Winfried Kretschmann. Wie plausibel ist diese Überlegung?

> Die Zahlen: 735 Sitze hat der neue Bundestag, die Bundesversammlung doppelt so viele. Ihre zweite Hälfte bestücken die Landtage nach ihren Sitzverhältnissen. Bis Februar 2022 stehen aktuell keine weiteren Landtagswahlen an. Nach Berechnungen des Portals election.de hätte derzeit eine Jamaika-Koalition 830 bis 832 Wahlleute. Damit ließe sich ein eigener Kandidat nach Bellevue bringen – selbst wenn die Länder einige Prominente entsenden, die sich einer "Fraktionsdisziplin" entziehen. Auch alle anderen möglichen Koalitionen hätten eine Mehrheit: Eine rot-schwarze Koalition wäre noch etwas stärker als Jamaika, die "Ampel" (rund 775 Vertreter) hätte nur 40 Sitze über den Durst.

> Der Präzedenzfall: Präsidentenwahlen sind seit jeher ein Indikator für die politische Großwetterlage – und auch Gegenstand von Absprachen: 1949 war die Wahl Theodor Heuss’ (FDP) mit der Union Konrad Adenauers vereinbart, der im Gegenzug Kanzler wurde. Aber nur noch einmal war das höchste Staatsamt die Morgengabe für den Juniorpartner (1974 bei Walter Scheel, FDP). Meist drückten sich in Bundesversammlungen Mehrheiten aus, die ohnehin zueinander strebten. 1969 brachte die FDP Gustav Heinemann (SPD) ins Amt ("ein Stück Machtwechsel"), ein halbes Jahr später folgte die sozialliberale Koalition. In jüngerer Zeit setzte Angela Merkel 2004 mit ihrem damaligen Wunschpartner FDP Horst Köhler durch (zur Koalition kam es erst 2009). Doch nicht immer sind die Reihen so geschlossen: 1994 wählte ein Drittel der FDP den unterlegenen Johannes Rau (SPD), nicht Roman Herzog (CDU).

> Die Interessen: Tatsächlich sind sich Union und FDP näher und wollen "Jamaika" stärker als die Grünen. Der umgekehrte Fall gilt für die "Ampel" aus SPD und Grünen mit der FDP. Das macht es plausibel, einem unwilligen dritten Partner etwas Großes anzubieten.

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> Das Problem: In Normalzeiten ist der Präsident ohne direkten Einfluss; seine Stunde schlägt in unvorhersehbaren Ausnahmesituationen. Bei der Durchsetzung klimapolitischer Vorstellungen, die im Grünen-Wahlkampf im Fokus standen, kann er kaum helfen. Es wäre womöglich ein Verzicht auf Inhalte zugunsten des Prestiges. Und: Kretschmann ist als einziger Ministerpräsident ein Star der Grünen, aber auch ein Exot. Würde da die gesamte Partei mitziehen: Den ungeliebten Laschet zum Kanzler machen und einem Parteisenior zuliebe im Bund die bevorzugte Ampel aufgeben, der sie in Baden-Württemberg schon nicht wollte?

> Die Ambitionen: Schon 2016 gefiel es Kretschmann, für die Nachfolge von Joachim Gauck gehandelt zu werden. Führende Grüne bezweifeln aber, dass der 73-Jährige, der fast sein ganzes politisches Leben in der Heimat verbracht hat, überhaupt Lust hätte, nach Berlin zu gehen. Und: Gerade hat er seine dritte Amtszeit angetreten – nach eigenem Bekunden für volle fünf Jahre, wenn es die Gesundheit zulässt. Der grün-schwarzen Landesregierung ginge nach nicht einmal einem Jahr die zentrale Person verloren, mit unabsehbaren Folgen auch für die eigene Partei.

> Die Alternativen: Als mögliche Kandidatin gilt auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (55). Als frühere Bundestagsvize, Präses der EKD-Synode und Kirchentagspräsidentin hätte sie wohl präsidiales Format. Und die Aussicht, die erste Frau in der Geschichte an die Staatsspitze zu bringen, hätte für die Grünen sicher mehr Reiz als ein Präsident Kretschmann. Andererseits: Gerade bei einer Regierungsbeteiligung könnte ihre Erfahrung gebraucht werden und "KGE" ihren jetzigen Posten behalten.

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