Rheindamm-Sanierung Mannheim

"Altern von Dämmen wird oft ignoriert"

Interview mit Wasserbau-Ingenieur Ronald Haselsteiner über Hochwasserschutz.

19.07.2021 UPDATE: 20.07.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 26 Sekunden
Der Sommerdamm auf den Schwetzinger Wiesen bei Brühl ist erneut gebrochen, das Gelände überflutet worden. Foto: FFW

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Ronald Haselsteiner ist Ingenieur für Wasserbau. Er plant und baut Deiche in ganz Deutschland. Die Stadt Mannheim hat ihn beauftragt, ein Gutachten für den Rheindamm zu erstellen, dessen Neubau nach der bisherigen Planung des Regierungspräsidiums Karlsruhe Hunderte Bäume zum Opfer fallen könnten.

Herr Haselsteiner, die Unwetterkatastrophe hat vor allem ein besonders enges Tal der Ahr getroffen. Das Wasser konnte sich nach dem Starkregen schnell sammeln, anstatt sich auf größere Flächen gleichmäßig zu verteilen. Welche Konsequenzen müssen daraus für den Hochwasserschutz folgen?

Ronald Haselsteiner. Foto: zg

Das Thema Hochwasser und Starkregen wird schon seit einigen Jahren in vielen Bundesländern mit hoher Priorität verfolgt. Grundsätzlich sollte man aufgrund der verheerenden Ereignisse jedoch den Schluss ziehen, dass Maßnahmen, die Risiken mindern, konsequent und schnell umgesetzt werden. Das bedarf neben den dafür erforderlichen Finanzmitteln auch entsprechendes Personal bei den Behörden und eine Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren – ohne dabei die rechtlichen Anforderungen und den Schutz des Einzelnen sowie der Natur auszuhebeln. Auch die öffentliche Risikowahrnehmung muss dauerhaft geschärft und die aktive Mitarbeit des einzelnen Bürgers eingefordert werden. Das ist eine schwierige Aufgabe, der man sich langfristig widmen muss.

Die Rheinregion in der Kurpfalz kam glimpflich davon. Ist die Region auf Starkregenereignisse oder Jahrhunderthochwasser vorbereitet?

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Hier gilt es wieder zu unterscheiden, ob es sich um ein Rheinhochwasser oder lokale Starkniederschläge handelt. Im ersten Fall muss man teilweise darauf hoffen, dass vorhandene, ältere Dämme beziehungsweise Deiche den Lasten eines "Jahrhunderthochwassers" widerstehen werden. Der Zustand ist nicht so, wie man ihn gerne hätte, weil man ansonsten nicht in vielen Bereichen Sanierungs- beziehungsweise Ertüchtigungsmaßnahmen vorantreiben würde. Langfristiges Ziel ist es, den Schutz am Rhein im von Ihnen genannten Abschnitt auf Hochwasserereignisse mit einem Wiederkehrintervall von 200 Jahren zu bemessen.

Und beim Starkregen?

Auf derartige Ereignisse ist meines Erachtens praktisch niemand vorbereitet, wie dies aktuell in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu sehen ist. Um Vorbereitungen treffen zu können, müsste man auch Wasserstände und Abflüsse verlässlich prognostizieren können, was bei Starkregenereignissen immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Zielführend erscheint kurzfristig in jedem Fall, Vorsorgemaßnahmen zu verstärken, um vor allem Menschenleben und Sachwerte besser schützen zu können.

Bei Altrip ist der zweitgrößte Polder in Rheinland-Pfalz geplant. Das Projekt ist aber umstritten. Wie sehen Sie das?

Grundsätzlich ist gesteuerter Rückhalt an großen Gewässern eine gute Maßnahme und kann einen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten. Der Polder Altrip mit einem Rückhaltevolumen von neun Millionen Kubikmetern ist ein Bestandteil des Integrierten Rheinprogramms, das insgesamt über 500 Millionen Kubikmeter Rückhaltevolumen schaffen soll. Jedes Großprojekt ist umstritten, dies gilt auch für Flutpolder oder Hochwasserrückhaltebecken, welche als Ziel das Allgemeinwohl haben. In diesem Zusammenhang fällt mir der englische Spruch "Not in my backyard" ein, im Deutschen wird es auch Sankt-Florians-Prinzip genannt. Es gilt für den Einzelnen, Kompromisse zu finden, ohne das große Ziel aus den Augen zu verlieren.

Im Odenwald oder Neckartal schützen sich viele Kommunen mit Rückhaltebecken vor Hochwasser. Reicht das aus?

Hochwasserrückhaltebecken haben das Ziel, vor einem Bemessungshochwasser zu schützen. Dieses entspricht bei kritischer Infrastruktur und Siedlungsgebieten oft dem umgangssprachlich als "Jahrhunderthochwasser" bezeichneten Abfluss. Statistisch handelt es sich um ein Ereignis, das jedes Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent auftreten kann. Seit mehreren Jahren werden in der Wasserwirtschaft, auch in Baden-Württemberg, Sicherheitsfaktoren zur Berücksichtigung von Auswirkungen des Klimawandels auf Abflussgrößen angesetzt. Ob das ausreicht und die Bemessungshochwasser den Hochwasserschutz und die Anlagensicherheit garantieren können, wird sich zeigen. Besonders Hochwasserrückhaltebecken, in dessen Einzugsgebiet großflächige Starkregenereignisse sich über mehrere Tage, wie aktuell in Rheinland-Pfalz oder NRW "festsetzen", könnten nicht ausreichen.

Die Dämme am Rhein bei Mannheim sind veraltet. Ist das nur ein Einzelfall bei uns in der Region?

Alle Ingenieurbauwerke unterliegen einem Alterungsprozess. Bei Deichen und Dämmen wird dies aber oft nicht erkannt oder ignoriert, da sie nur bei Hochwasser funktionieren müssen. Sofern das nicht mehr der Fall ist, kommt es gegebenenfalls zu bösen Überraschungen. Ähnliches kann man derzeit tendenziell bei Straßenbrücken beobachten, wo Sperrungen keine Seltenheit mehr sind. Hier wie bei den Dämmen in Mannheim handelt es sich also nicht um einen Einzelfall. Im gesamten Bundesgebiet gibt es Dämme und Deiche, die nicht mehr den geltenden, technischen Standards entsprechen.

Sie untersuchen für die Stadt Mannheim die technischen Möglichkeiten eines neuen Damms und ob dadurch doch noch viele Bäume gerettet werden können. Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?

Derzeit liegen die Planfeststellungsunterlagen zur Überarbeitung beim Regierungspräsidium. Sobald die Unterlagen angepasst wurden, werden diese erneut von der Stadt geprüft. Erst danach werden wir tätig. Wann dies sein wird, kann derzeit nicht vorausgesagt werden.

Generell gefragt: Wie sicher sind Dämme, auf denen Bäume wachsen?

Im Normalzustand spielt die Sicherheit der Deiche und Dämme an Fließgewässern keine große Rolle. Im Hochwasserfall stellen Bäume auf und im Nahbereich von Schutzanlagen, die nicht eigens dafür bemessen wurden, aber ein nicht kalkulierbares Risiko dar. Besonders rein erdbaulich hergestellte Deiche und Dämme können sehr empfindlich bei Durchwurzelung und Durchströmung reagieren, sind also unsicher.

Welche Vorteile haben Spundwände, die in den Damm eingebaut werden, wie sie eine Bürgerinitiative fordert, gegenüber Erddämmen?

Die Spundwand wird so bemessen, dass sie im Hochwasserfall stehen bleibt, während Bäume und Damm versagen können. Sie stellt alleine den Hochwasserschutz sicher. Somit können in bestimmten Bereichen Bäume auf und an Dämmen zugelassen werden.

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