Stadt bereitet Gutachten zur Neinhaus-Würdigung vor (Update)
Der Heidelberger Gemeinderat könnte die Ehrengrab-Würdigung des ehemaligen Oberbürgermeisters aufheben.

Heidelberg. (dns) Gebührt Carl Neinhaus, der Heidelberg als Oberbürgermeister vor, während und nach der Nazizeit regierte, weiterhin ein Ehrengrab? Um diese Frage zu klären, bringt die Stadtverwaltung gerade ein wissenschaftliches Gutachten auf den Weg. "Aktuell wird der Anforderungskatalog für die geplante wissenschaftliche Bewertung erstellt", so ein Stadtsprecher. Die Beauftragung des Experten oder der Expertin erfolge im Anschluss durch die Verwaltung, der Gemeinderat muss dem nicht zustimmen.
Die Debatte kam auf, weil sich mehrere RNZ-Leser über die Würdigung des ehemaligen OBs wunderten. Denn Neinhaus war nicht nur frühes NSDAP-Mitglied und ließ während seiner Amtszeit auch in Heidelberg Gräueltaten zu. Er entschuldigte sich auch nie öffentlich dafür – obwohl er nach 1945 noch einmal in der CDU Karriere machte.
Update: Freitag, 16. Juli 2021, 20 Uhr
Wird Oberbürgermeister Neinhaus das Ehrengrab entzogen?
Von Denis Schnur
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Heidelberg. Carl Neinhaus war ein politisches Chamäleon. Ob Weimarer Republik, NS-Diktatur oder Bonner Bundesrepublik: Der gebürtige Rheinländer war zwischen 1929 und 1958 insgesamt 22 Jahre lang Oberbürgermeister von Heidelberg. Mal parteilos, mal mit braunem NSDAP-Parteibuch, später mit dem schwarzen der CDU. Unterbrochen wurde seine Amtszeit nur von den Nachkriegsjahren, die US-Armee setzte ihn 1945 ab. Doch die Heidelberger wählten ihn 1952 zurück in das Amt, das ihm so wichtig war. Neinhaus steht damit prototypisch für viele Menschen, die sich dem Zeitgeist unterwarfen. Die sich den Nazis unterordneten. Die danach in der Bundesrepublik weiter Karriere machten.
Doch als einziger dieser Menschen wird Neinhaus in Heidelberg mit einem Ehrengrab auf dem Bergfriedhof gewürdigt. Das bedeutet, dass die Stadt für die Pflege seiner Begräbnisstätte aufkommt – genau wie bei fast allen anderen ehemaligen Oberbürgermeistern der vergangenen knapp 170 Jahre, aber auch bei Friedrich Ebert und seit einigen Wochen bei Maria Hübner. Die Mutter von Romani Rose rettete mehreren Sinti während der NS-Zeit das Leben.
Es waren aufmerksame RNZ-Leser, die in der Berichterstattung zu diesem jüngsten Ehrengrab darüber gestolpert sind, dass mit Neinhaus auch eine mehr als umstrittene Persönlichkeit in dieser Reihe steht. "Schockiert und mit absolutem Unverständnis" habe er das lesen müssen, schrieb etwa Franz Bär in einem Leserbrief. Und: "Die Verantwortlichen der Stadt sollten sich überlegen, ob man einer solchen Person nicht den Ehrengrabstatus aberkennen sollte."

Und als die RNZ bei der Stadtverwaltung nachhakte, erklärte die, dass man genau das nun tun wolle. "Der Status des Ehrengrabes für Carl Neinhaus wirft Fragen auf", räumt OB Eckart Würzner ein. Und ein Stadtsprecher fügt hinzu, dass sich die Stadt schon lange kritisch mit der Rolle von Neinhaus auseinandersetze.
Doch die Bewertung seiner Person sei komplex: "Bis heute ist ihm nach Recherchen des Stadtarchivs keine aktive Mitwirkung an NS-Verbrechen nachzuweisen." Zwar wurde er 1945 von den Amerikanern seines Amtes enthoben, 1947 jedoch zunächst als Mitläufer eingestuft und im Revisionsverfahren 1949 gar entlastet. Nach Kriegsende setzte er seine Karriere bei der Stadt und auch im Landtag von Baden-Württemberg fort, wo er sogar Landtagspräsident wurde. 1963 erhielt er die Ehrenbürgerwürde Heidelbergs.
Während diese jedoch zwei Jahre später mit seinem Tod automatisch erlosch, besteht der Ehrengrabstatus seit einer Gemeinderatsentscheidung 1973 fort. Damals wurde ihm diese Ehre gemeinsam mit einigen anderen zuteil. Das Stadtparlament würdigte so sein langes und herausragendes Engagement für Heidelberg.
Dabei war bereits damals klar, dass Neinhaus nicht der "Retter Heidelbergs" war, als der er sich nach dem Krieg inszeniert hatte. Neinhaus war wohl eher ein Opportunist, der stets schnell die Zeichen der Zeit erkannte – und sich gnadenlos anpasste. So dauerte es nach Hitlers Machtübernahme 1933 vier Monate, bis der Heidelberger OB öffentlichkeitswirksam seinen Eintritt in die NSDAP verkündete. Ohne dass es jemand ausdrücklich von ihm verlangt hatte, ließ er bereits vor der Bücherverbrennung vom Mai 1933 die Stadtbücherei von unerwünschter Literatur säubern. Noch vor dem Boykott jüdischer Geschäfte verfügte er, dass die Stadt ihre Aufträge nur noch an Christen vergab. Und wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner in die Stadt ließ er zahlreiche Akten verbrennen. Für den ehemaligen Lehrer und Historiker Reinhard Riese, der ein Buch über Neinhaus verfasst hat, eindeutig eine "Vernichtung von Beweismitteln". Im Interview mit der RNZ 2017 charakterisierte Riese Neinhaus als "Mann, der sich selbst und das Wohl der Stadt an die erste Stelle gesetzt hat – und dafür bereit war, sich dem jeweiligen politischen System anzupassen".

Während diese Eigenschaft ihm 1952 die Rückkehr an die Stadtspitze und den Einzug in den Landtag brachten, schaut man heute deutlich skeptischer auf Neinhaus – und ist sich offensichtlich auch bewusst, dass er unpassend wirkt in der Reihe der Ehrengrab-Inhaber: "Wir haben aktuell mit dem Ehrengrab von Maria Hübner ein klares Zeichen gegen Ausgrenzung gesetzt", betont Würzner. Bei Neinhaus blieben hingegen viele Fragen offen. "Ich bin dafür, dass wir diese fundiert klären und dazu eine wissenschaftliche Bewertung in Auftrag geben."
Wenn dann ein Gutachten zu dem umstrittenen ehemaligen OB vorliegt, könnte sich auch der Gemeinderat erneut mit dieser Angelegenheit befassen, wie ein Stadtsprecher auf RNZ-Anfrage erläutert: "Der Gemeinderat kann einen Ehrengrab-Status auch wieder entziehen."



