Vor 75 Jahren war der Zweite Weltkrieg hier zu Ende
Am 30. März 1945 rückten die Amerikaner kampflos in Heidelberg ein - Nächtliche Fahrt der Parlamentäre - Auch ein Roman trug zur Rettung der Stadt bei

Von Manfred Bechtel
Heidelberg. "Die Amis sind da!" Am 30. März 1945, einem Karfreitag, rückten sie in Heidelberg ein. Während in Teilen Deutschlands Naziterror und sinnloser Widerstand noch Wochen weitergingen, war in Heidelberg vor genau 75 Jahren der Krieg zu Ende. In der Brückenstraße rollten amerikanische Panzer; darauf lagen ganz ohne Deckung die Soldaten und lachten über die Verblüffung der Neuenheimer, die vor den Lebensmittelgeschäften anstanden.
Heidelberg war im Zweiten Weltkrieg fast ganz von Zerstörung verschont geblieben. Dass auch die Einnahme der Stadt glücklich verlief, hing an einem seidenen Faden. Frank Moraw hatte anlässlich früherer Jahrestage in der RNZ über seine Forschungsergebnisse berichtet: "Am Gründonnerstag, gegen Mittag, kam aus Mannheim-Käfertal über die Telefonleitung der Stadtwerke von amerikanischer Seite besagte Aufforderung zur Übergabe und zur Entsendung von Parlamentären im Heidelberger Rathaus an. Der Oberbürgermeister [Carl Neinhaus] (…) sagte eine Parlamentärskommission für 18 Uhr zu." Trotz schwieriger Zuständigkeiten erreichte man, dass die Wehrmacht einen Vertreter entsandte. Das Militär verpflichte sich ‚auf Gegenseitigkeit‘, im Umkreis von 200 Metern um das Lazarettviertel keine Waffen in Stellung zu bringen. Robert Wagner, Gauleiter in Baden, der zuvor einem "heroischem Untergang" das Wort geredet hatte, akzeptierte im Prinzip Verhandlungen. Allerdings: Nur Ärzte dürften sich beteiligen, kein Vertreter der Stadt. Daraufhin zogen sich Oberbürgermeister und Bürgermeister zurück.

Dennoch ist bemerkenswert, dass die Fahrt überhaupt erlaubt wurde. Noch Tage zuvor hatten radikale Durchhalteparolen geherrscht. "Ein Ausweichen oder Zurückgehen gibt es nicht", hatte der Gauleiter verkündet, die "Festung Heidelberg" wurde propagiert. Zwei junge Soldaten waren aufgegriffen und von einem sogenannten fliegenden Standgericht erschossen worden, um ein Exempel zu statuieren. Zur allgemeinen Abschreckung wurden ihre Leichen an der Dossenheimer Landstraße und an der Rohrbacher Straße öffentlich aufgehängt. Alle Brücken wurden gesprengt; Fürsprachen, wenigstens die Alte Brücke zu verschonen, blieben erfolglos.
Hintergrund
Marlene Dietrich: Mit Stahlhelm auf dem Schloss
(bec) Historische Fotos zeigen amerikanische Soldaten im Heidelberger Schlosshof und auf dem Altan mit Blick über die unzerstörte Stadt. Auf dem etwas unscharfen Schnappschuss lächelt ein Weltstar in die
Marlene Dietrich: Mit Stahlhelm auf dem Schloss
(bec) Historische Fotos zeigen amerikanische Soldaten im Heidelberger Schlosshof und auf dem Altan mit Blick über die unzerstörte Stadt. Auf dem etwas unscharfen Schnappschuss lächelt ein Weltstar in die Kamera: Marlene Dietrich, die mit den amerikanischen Truppen in Heidelberg angekommen war. In amerikanischer Uniform und mit Stahlhelm posiert sie auf dem Schlossaltan an der Seite von General McAuliffe.
Die Schauspielerin und Sängerin war damals schon ein internationaler Star. 1901 als Marie Magdalene Dietrich auf die Welt gekommen, machte sie ihre ersten Schritte in der Welt des Films im Berlin der 20er Jahre. Als in Deutschland das freie künstlerische Leben und Arbeiten zunehmend unmöglich wurden, ging sie Anfang der 1930er Jahre nach Hollywood. Die nationalsozialistische Propaganda hätte die Diva gerne für ihre Zwecke eingespannt, Hitler selbst versuchte vergeblich, die Schauspielerin anzuwerben. Sie engagierte sich jedoch als Fluchthelferin, nahm 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und meldete sich für die Truppenbetreuung der US-Army. Während der letzten Kriegsjahre begleitete sie die Truppen in ihren Einsatzgebieten von Afrika bis Europa. Bei der Ardennenoffensive im Winter 1944/45 entkam sie nur knapp einer Gefangennahme. Mit der US-Army rückte sie nach Deutschland vor und war bei der Besetzung Heidelbergs dabei.
Für ihren Einsatz bekam Marlene Dietrich zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem die "Medal of freedom", den höchsten Orden des amerikanischen Kriegsministeriums für Zivilisten. Ein Teil der deutschen Öffentlichkeit hingegen hatte nach dem Ende des Krieges Schwierigkeiten, zu dem Weltstar mit der klaren politischen Haltung ein positives Verhältnis zu entwickeln.
Gegen 22 Uhr brach am Gründonnerstag eine kleine Gruppe auf: zwei Militärärzte, verantwortlich für die Lazarette, ein Wehrmachtsvertreter, ein Vertreter der Universität sowie der Fahrer. Im Sanitätskraftwagen mit weißer Fahne ging es weit hinter die Linien des Gegners bis ins amerikanische Divisionshauptquartier in Lampertheim. Die Emissäre waren nicht befugt, die Stadt kampflos zu übergeben; ihr Auftrag war, die Anerkennung als Lazarettstadt zu erreichen. Aber die Amerikaner bestanden auf bedingungsloser Kapitulation. Artillerie-Kommandeur General William Arthur Beiderlinden beschrieb das Treffen mit den Parlamentären so: "Die deutsche Delegation legte eine Karte mit allen klinischen Einrichtungen Heidelbergs vor. Sie waren gekennzeichnet: Jede Einrichtung hatte einen roten Kreis. Nur wenige Gegenden waren ohne diese rote Markierung. Der deutsche Vertreter verlangte die Einhaltung der Genfer Konvention für diese Gebiete und ihr Umfeld."
Die Emissäre traten den Rückweg an, ohne – wie es schien – etwas erreicht zu haben. Als sie kurz nach 3 Uhr morgens in Neuenheim ankamen, führte keine intakte Brücke mehr über den Neckar. Trotz sporadischem deutschem Artilleriebeschuss paddelte sie ein 16-jähriges Mädchen in einem kleinen Boot sicher ans andere Ufer. Die Amerikaner erkannten sehr wohl den praktischen Vorteil, den der Heidelberger Vorschlag für einen raschen Vormarsch bot. Sie rückten vor, ohne die Stadt zu beschießen. Am Karfreitagmorgen standen die Vorausabteilungen am Neckar; bald war das Ufer voller Panzer. Um 14 Uhr hatte ein komplettes Bataillon den Fluss überquert.
Vor ihnen lag, was sie noch nicht gesehen hatten: eine unzerstörte deutsche Stadt. Im Army Report heißt es: "Die Leute scheinen wohlgenährt zu sein, und die Stadt ist in jeder Hinsicht normal. (…) Um sie vor Plünderungen zu schützen, wurden Wachen aufgestellt." Auch eine Ausgangssperre wurde angeordnet.
Moraw zieht ein Fazit: "Fragt man zum Schluss nach den ‚Rettern‘ Heidelbergs, so ist man versucht zu sagen, die Vernünftigen, die Pragmatiker auf amerikanischer und auf deutscher Seite hätten in stillschweigendem Arrangement diese für die Stadt so überaus günstige Lösung gefunden. Man würde dabei jedoch übersehen, dass erst die Härte und die Kampfkraft der amerikanischen Armee die Voraussetzung geschaffen hatten. (…) Aber kein Funktionsträger in Heidelberg hat sich mit persönlichem Risiko exponiert (…) Diese Tatsache hat Oberbürgermeister Neinhaus und seine Fürsprecher nicht daran gehindert, später die Legende von seinem Widerstand gegen das Regime (…) zu pflegen".
Am Karsamstag rückten amerikanische Truppen von Kirchheim her in Rohrbach ein. Auf der Heinrich-Fuchs-Straße marschierten sie im Gänsemarsch, das Gewehr in der Hand, rechts und links auf dem Trottoir. In der ganzen Stadt wussten die Kinder bald die Freigiebigkeit der GIs zu schätzen und sie lernten ihre ersten englischen Wörter: ‚chocolate‘ und ‚chewing gum‘.
Ein Fünkchen Wahrheit enthält die Geschichte, dass Meyer-Försters "Alt-Heidelberg" die Stadt gerettet hätte: In dem anrührenden Roman reist der Erbprinz Karl Heinrich zum Studieren nach Heidelberg und verliebt sich in die schöne Kellnerin Käthi. Die Adaption ‚The Student Prince‘ hatte als Theaterstück, Musical und Film großen Erfolg in den USA. Der an der Besetzung Heidelbergs maßgeblich beteiligte deutschstämmige Artilleriekommandeur Beiderlinden hatte die Geschichte in seiner Collegezeit übersetzt. "Zuneigung und Respekt" prägten seine Einstellung gegenüber Heidelberg, wie er später versicherte. Allerdings ließ er keinen Zweifel daran aufkommen, dass er bei Widerstand von der Feuerkraft der Artillerie – 288 Geschütze - vorbehaltlos Gebrauch gemacht hätte. Dennoch: Als Unbelehrbare beim Einmarsch verschiedentlich auf die Amerikaner schossen, war es auch der Zurückhaltung Beiderlindens zu verdanken, dass es nicht zu massiven Gegenschlägen kam.



