Heidelbergs Ex-OB Carl Neinhaus: Treuer Diener eines jeden Systems

Carl Neinhaus stand in der Weimarer Republik, dem Dritten Reich und der jungen Bundesrepublik an der Spitze der Stadt

29.03.2017 UPDATE: 30.03.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden

Carl Neinhaus (l.) 1955 im Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (Mitte) und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Eduard Wahl.

Von Micha Hörnle

Heidelberg. An Carl Neinhaus, dem Heidelberger Oberbürgermeister von 1929 bis 1945 und dann wieder von 1952 bis 1958, scheiden sich die Geister: Für die einen war er ein tüchtiger Verwaltungsfachmann, der in schwieriger Zeit für die Stadt das Beste herausholte; für die anderen war er das Abbild eines gewissenlosen Trittbrettfahrers, der in jedem politischen System Karriere machte. In seinem Vortrag im voll besetzten Saal des Ebert-Hauses neigte der Historiker Reinhard Riese eher der kritischen Sicht auf den Langzeit-OB zu - und konnte das mit etlichen Zitaten belegen: In der Weimarer Republik bekannte sich Neinhaus, der als 40-Jähriger im Februar 1929 zum OB gewählt worden war, zur Demokratie. Noch 1933 wandelte er sich zum glühenden Nationalsozialisten. Und als einziger OB in ganz Baden blieb er nach der Machtübernahme der Nazis im Amt, so schrieb 1941 in einer Beurteilung sein langjähriger Konkurrent, der NS-Kreisleiter Wilhelm Seiler. Später, in der jungen Bundesrepublik, war er wieder zu einem Demokraten geworden und stilisierte sich zum Widerstandskämpfer - nur weil er sich ab und an im Amt mit Nazi-Größen gestritten hatte.

Hintergrund

"Er bleibt ein Faszinosum": Historiker Reinhard Riese über den Ex-OB Carl Neinhaus

hö. Reinhard Riese, einst Lehrer am Heidelberger Bunsen-Gymnasium und Mitglied des Heidelberger Geschichtsvereins, erforschte das Leben von Carl

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"Er bleibt ein Faszinosum": Historiker Reinhard Riese über den Ex-OB Carl Neinhaus

hö. Reinhard Riese, einst Lehrer am Heidelberger Bunsen-Gymnasium und Mitglied des Heidelberger Geschichtsvereins, erforschte das Leben von Carl Neinhaus.

Herr Riese, wie würden Sie Carl Neinhaus in einem Satz beschreiben?

Er war ein Mann, der sich selbst und das Wohl der Stadt an die erste Stelle gesetzt hat - und dafür bereit war, sich dem jeweiligen politischen System anzupassen.

Aber Sie verurteilen ihn ja nicht nur.

Das wäre auch zu einseitig. Zunächst gab es die Verherrlichung in den fünfziger Jahren, später neigte man einer sehr negativen Sichtweise zu. Ich versuche da einen Mittelweg, auch wenn die kritische Sichtweise überwiegt. Er bleibt aber schon ein Faszinosum.

Würden Sie sagen, dass er ein großer OB, wie zum Beispiel Zundel, war?

Das Wort "groß" möchte ich nicht verwenden. Aber Neinhaus stand lange Zeit an der Spitze der Stadt - und hat Heidelberg sehr geprägt. Da Sie Zundel erwähnen: Beiden war es sehr wichtig, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen.

Hermann Maas hat Neinhaus bei der Beerdigung als Widerstandskämpfer dargestellt. Was ritt ausgerechnet Maas da?

Darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Offenbar schätzte er das Christlich-Mitmenschliche höher ein als ein scharfes politisches Urteil.

Hat Neinhaus in der NS-Zeit denn aktiv Verfolgte geschützt?

Wohl nur sehr wenige. Er scheute offenbar den Konflikt mit den NS-Machthabern.

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Ihm kam nicht nur seine ideologische Wandlungsfähigkeit zugute, er versicherte sich auch ständig nach allen Seiten, ob sein Vorgehen in Ordnung sei - und wahrte so im Grunde den Nimbus des unparteiischen Experten. Zu Beginn der NS-Herrschaft richtete er ein wohl eher taktisch gemeintes Rücktrittsgesuch an den Reichsstatthalter Robert Wagner, das der - wohl zu Neinhaus’ großer Erleichterung - dann auch ablehnte. Zudem war er nie darum verlegen, dem jeweiligen politischen System seine Loyalität zu bekunden, am wortreichsten tat er das bei den Nazis. Schon früh rühmte er die neue Ordnung, die seinem Amtsverständnis entgegenkam. Im NS-Staat galt generell das Führerprinzip - auch in der Stadtverwaltung. So beschied er selbst NSDAP-Stadträten, sie sollten ihm als "Rathausführer" im Grunde nichts zu sagen haben. Und schließlich übte sich Neinhaus schon früh im vorauseilenden Gehorsam. Ohne dass es ausdrücklich jemand von ihm verlangte, ließ er bereits vor der Bücherverbrennung vom Mai 1933 die Stadtbücherei von unerwünschter Literatur säubern; und noch vor dem Boykott jüdischer Geschäfte verfügte er, dass die Stadt ihre Aufträge nur noch an Christen (und nicht etwa an Juden) zu erteilen habe.

Und schließlich halfen ihm seine engen Verbindungen zu Gauleiter Robert Wagner in Karlsruhe und nach Berlin zu Propagandaminister Joseph Goebbels und Hitlers Hofarchitekt Albert Speer. Goebbels brachte ab 1934 die Reichsfestspiele aufs Heidelberger Schloss, und Speer plante noch bis 1943 für Heidelberg eine neue repräsentative Achse vom neuen Hauptbahnhof bis zum Seegarten - mit neuem Rathaus und Kongresshalle im monumentalen NS-Stil. Neinhaus architektonisches Erbe in der Stadt ist allerdings übersichtlich: Ehrenfriedhof (1933), Zoo (1934), Thingstätte (1935) und Thermalbad (1939).

Eine aktive Mitwirkung an NS-Verbrechen ist Neinhaus nicht nachzuweisen, aber seine Stadtverwaltung setzte die NS-Rassengesetze haarfein um - in keinem Fall ist eine öffentliche Distanzierung Neinhaus vom NS-Regime bekannt. Dass ihn doch möglicherweise ein "schlechtes Gewissen plagte", so Ebert-Gedenkstättenleiter Walter Mühlhausen, zeigt die große Aktenverbrennung am 25. März 1945, fünf Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner - für Riese eine "Vernichtung von Beweismitteln". Dafür war Neinhaus nicht untalentiert, an der langlebigen Legende des "Retters von Heidelberg" zu stricken - was ihm die Wahlerfolge der fünfziger Jahre sicherte. Nur: Daran, so Referent Riese, ist wenig dran: "Es gab so viele Akteure, auf deutscher wie auf amerikanischer Seite, die sich im Großen und Ganzen vernünftig verhalten haben." Einmal abgesehen davon, dass vor allem Sanitätsoffiziere des Uniklinikums die Verhandlungen mit der bei Dossenheim stehenden US-Armee führten.

In jedem Fall war Neinhaus "zutiefst schockiert" (Riese), als ihn die Besatzungsmacht absetzte. Er ging ins Exil auf den Kohlhof und arbeitete an seiner Verteidigungsschrift, die 62 Seiten lang werden sollte. Dennoch erklärte ihn die Spruchkammer erst zum Mitläufer, er ging in Revision und wurde 1949 zum "Entlasteten" erklärt. Im Landtagswahlkampf 1950 machte er sich als CDU-Kandidat für die Wiedergutmachung der "entrechteten Beamten" - also im Grunde sich selbst - stark. Der NS-Mitläufer war zum Opfer der ungerechten Nachkriegszeit geworden. Für Riese nicht nur ein Unding, sondern auch sein Hauptvorwurf an Neinhaus: Nie reflektierte er auch nur ansatzweise kritisch, dass er Teil des Nazi-Systems war, von einer Entschuldigung mal ganz abgesehen.

1952 kandidierte er erneut in Heidelberg, gewann auch mit 51 Prozent im ersten Wahlgang: "Die Heidelberger hatten ihren OB wieder", so Riese. Nur diese sechs Jahre im Amt endeten unglücklich: Neinhaus hoffte, überparteilicher Kandidat zu werden, was ihm die CDU zunächst versagte - die SPD hatte Robert Weber nominiert. Im zweiten Wahlgang - die CDU hatte ihren Kandidaten wieder fallen gelassen - wollte es Neinhaus als "Retter Heidelbergs" noch einmal wissen, unterlag aber. Riese: "Diese zweite Niederlage nach 1945 konnte er nicht begreifen." Man kann es auch so sagen: Neinhaus’ Zeit - er war mittlerweile 70 Jahre - war endgültig abgelaufen, Heidelbergs große Liebe zum noch größeren Opportunisten war endgültig erloschen.

Neinhaus - immer noch Landtagsabgeordneter - war so verbittert, dass er nach Stuttgart zog. Nicht einmal die Ehrenbürgerwürde 1963, zwei Jahre vor seinem Tod, konnte ihn mit Heidelberg versöhnen. Mittlerweile, so berichtete Hans-Martin Mumm vom Geschichtsverein, hängt noch nicht mal mehr im Rathaus ein Porträt von ihm.

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