Eppelheim

Kurdische Familie darf nach Abschiebung zurückkommen

Einreisesperre für die Gürels nach Abschiebung verkürzt - Im August wollen sie Istanbul verlassen - Hierzulande haben sie bereits Arbeit

25.05.2021 UPDATE: 26.05.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
Ersoy (v.r.), Ataberk, Gülay und Alieren Gürel freuen sich auf Eppelheim. Foto: privat

Von Lukas Werthenbach

Eppelheim/Istanbul. Mit Freudentränen reagierten die Gürels auf diese Nachricht: Die vierköpfige kurdische Familie darf nach ihrer Abschiebung im September 2020 nun doch wieder zurück nach Deutschland. Die 2018 aus der Türkei geflüchteten Gürels galten in Eppelheim als gut integriert, beide Eltern hatten eine feste Arbeit, bezahlten ihre Miete selbst; die sechs- und siebenjährigen Söhne sprechen fließend Deutsch. Doch ungeachtet der politischen Verfolgung in der Türkei aufgrund ihres alevitischen Glaubens, musste die Familie zurück nach Istanbul. Nun aber die für alle Beteiligten große Überraschung: Die Gürels dürfen im August wieder einreisen. Zu verdanken haben sie das wohl insbesondere dem Engagement der Eppelheimer Flüchtlingshilfe – und den hiesigen Arbeitgebern der Eltern.

Die Vorgeschichte

"Um 4 Uhr kam die Polizei" titelte die RNZ im September, nachdem die Gürels in ihrer Eppelheimer Wohnung plötzlich aus dem Schlaf gerissen und ins Flugzeug nach Istanbul gesetzt worden waren. Zahlreiche Politiker verschiedener Couleur kritisierten die Entscheidung der deutschen Behörden daraufhin scharf, die wiederum durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe bestätigt worden war.

Laut Hildegard Lacroix von der Flüchtlingshilfe wurden die Gürels bis zu ihrer Flucht 2018 aufgrund ihres Glaubens in der Türkei "sehr drangsaliert". Etwa seien die beiden Söhne damals im Kindergarten misshandelt worden. Und Mutter Gülay sei auf der Straße an den Haaren gezogen worden, weil sie kein Kopftuch trug.

Auch interessant
Eppelheimer Familie Gürel: Innenminister Strobl verteidigt Abschiebung bei Nacht
Eppelheimer Familie Gürel: "Versuchen unser Glück, bis wir sterben"
Eppelheim: Um 4 Uhr kam die Polizei und die kurdische Familie wurde abgeschoben

In Eppelheim fühlte sich die Familie dagegen heimisch. Der 42-jährige Ersoy spielte wie seine Söhne bei der DJK Fußball. Er arbeitete in Vollzeit als Spülkraft im Heidelberger Restaurant Grenzhof, wo die Abschiebung übrigens ebenfalls "Empörung" auslöste. Gülay hatte kurz vor der Abschiebung – und damit gerade zu spät – eine Ausbildungsstelle zur Einzelhandelskauffrau in Heidelberg zugesagt bekommen. Und der kleine Alieren sollte wenige Tage nach der Abschiebung in der Friedrich-Ebert-Schule eingeschult werden, sein Bruder Ataberk wird seither im Fröbel-Kindergarten schmerzlich vermisst.

Hintergrund

> Aleviten bilden mit geschätzten 15 Prozent der Bevölkerung die zweitgrößte Religionsgruppe der Türkei. Umstritten ist in der Forschung, ob es sich beim Alevitentum um einen Teil des schiitischen Islam, um eine separate islamische Glaubensrichtung oder um eine

[+] Lesen Sie mehr

> Aleviten bilden mit geschätzten 15 Prozent der Bevölkerung die zweitgrößte Religionsgruppe der Türkei. Umstritten ist in der Forschung, ob es sich beim Alevitentum um einen Teil des schiitischen Islam, um eine separate islamische Glaubensrichtung oder um eine eigenständige Religion handelt. Bereits im Osmanischen Reich wurden Aleviten verfolgt; dies setzte sich seit der Ausrufung der türkischen Republik 1923 fort. So fielen 1937/38 im "Massaker von Dersim" mutmaßlich mehr als 10.000 kurdische Aleviten der türkischen Armee zum Opfer. Der heutige türkische Staat ordnet die Religion den islamischen Glaubensrichtungen unter und verweigert ihre Anerkennung als konfessionelle Minderheit. Berichte über Anschläge auf Angehörige des alevitischen Glaubens in der Türkei häufen sich seit rund 20 Jahren; eine Diskriminierung von Aleviten durch den türkischen Staat belegte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2016. Eine Hauptforderung der Aleviten ist die Anerkennung sogenannter Cem-Stätten als Orte der Religionsausübung, also eine Gleichstellung mit Moscheen. luw

[-] Weniger anzeigen

Der Kampf um die Rückkehr

"Die Einreisesperre der Gürels galt ab dem Tag der Abschiebung für bis zu 36 Monate", berichtete Wolfram Schmittel von der Flüchtlingshilfe nun im Gespräch mit der RNZ. "Unsere Absicht war, mit einem Antrag diese Sperre zeitlich zu beschränken." Doch die zuständige Rechtsanwältin sei hierbei "sehr, sehr skeptisch" gewesen, ergänzt Lacroix. Erfahrungsgemäß hätten derartige Versuche nur äußerst selten Erfolg. "Aber das Ausländeramt des Rhein-Neckar-Kreises hat einen Ermessensspielraum", so Schmittel. "Und bevor wir den Antrag stellten, haben wir versucht, die Umstände für die Familie so gut wie möglich zu gestalten." Denn um die geringe Chance auf eine Rückkehr etwas zu vergrößern, habe die Rechtsanwältin den Ehrenamtlichen geraten: "Zahlt die noch offenen Abschiebungskosten!" Die Gürels hatten damals 1000 Euro ihres Bargeldes den Polizisten gegeben – bis vor Kurzem waren weitere 1300 Euro offen. "Die hat eine anonyme Spenderin aus Eppelheim übernommen", so Lacroix.

Eine weitere Voraussetzung, um überhaupt eine Chance zu haben, waren Bescheinigungen über – für den Fall einer Rückkehr – feste Arbeitsstellen der Eltern in Deutschland. "Ihre beiden früheren Chefs haben offiziell bestätigt, dass sie hier dringend gebraucht werden", erklärt Lacroix. So sei bereits garantiert, dass Ersoy wieder in Vollzeit im Grenzhof arbeiten kann, während Gülay ihre zugesagte Ausbildung in einem türkischen Lebensmittelladen beginnt. Kürzlich sei dann die überraschende Nachricht aus dem Landratsamt gekommen: "Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für Familie Gürel wird auf elf Monate befristet, sodass sie ab dem 14. August wieder einreisen kann", erzählt Schmittel voller Freude.

Das Leben in der ungeliebten Heimat

"Ich gebe Frau Gürel auf ihren Wunsch schon länger zweimal pro Woche Deutschunterricht per Videokonferenz", berichtet Lacroix. "Jetzt hatten wir wieder eine Sitzung vereinbart – dabei haben wir fünf Flüchtlingshelfer sie mit der Nachricht über die Entscheidung des Landratsamts überrascht." Alle hätten daraufhin vor Freude "ein bisschen geheult", sagt Schmittel. Denn in Istanbul gehe es der Familie nicht gut. "Die Corona-Situation ist sehr schlimm", so Lacroix. "Es herrscht Ausgangssperre, man darf nur für zwei Stunden täglich aus dem Haus." Den viel zu überfüllten Spielplatz würden die Eltern mit den Kindern aber nicht besuchen. Kindergarten und Schule würden nur per Internet stattfinden. "Die sitzen rund um die Uhr zu Hause", sagt Lacroix. Zudem sei in der Türkei inzwischen "alles irrsinnig teuer" – und Impfungen gebe es quasi nicht. So hofft man nun nur noch, dass bei der Ausreise im August alles gut geht ...

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.