Stefanie Meier eröffnet einen "Unverpackt"-Laden
Sie wagt den Schritt mitten in der Corona-Krise. Weniger Müll, dafür mehr Entschleunigung, ist ihr Ziel.

Von Sebastian Lerche
St. Leon-Rot. Ein neues Geschäft eröffnen, mitten in der Corona-Krise? Stefanie Meier wagt den Schritt, einen besonderen dazu: Sie wird einen "Unverpackt"-Laden ins Leben rufen. Dazu hat sie sich 100 Quadratmeter in der ehemaligen Sparkasse in St. Leon gesichert, nachdem die Bank sich aus den Ortsteilen zurückgezogen und im Gewerbegebiet "Schiff" eine zentrale Filiale eröffnet hat.
"Seit 20 Jahren bin ich im Einzelhandel tätig", erzählt Stefanie Meier, ein "Roter Urgestein". Letztes Jahr habe sie die Qualifikation der kaufmännischen Fachwirtin erworben "und beschlossen, mich selbstständig zu machen". Die Krise stoppt sie nicht: Mal abgesehen davon, dass Lebensmittelgeschäfte immer offen bleiben dürfen, spürt die 39-Jährige, dass die Zeit reif ist für dieses außergewöhnliche Einkaufserlebnis. "Unverpackt" sei für sie "ein tolles Konzept", so Meier – und ein Gebot der Stunde.
"Über den Müll haben wir uns immer aufgeregt": Sie und ihre Familie – Stefanie Meier hat einen Mann und zwei Kinder – hätten sich gerade in letzter Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt. "Wir haben bewusster eingekauft", gerade wegen der Krise, und anderen Leuten sei es offenbar ebenso gegangen: Das "Schnell-schnell" des bisherigen Alltags sei schließlich durch die "Lockdowns" ausgebremst worden, da sei Zeit gewesen, sich konzentrierter mit Ernährung und Einkaufsverhalten zu befassen.
Doch auch davor war Familie Meier von der Absurdität, dass beispielsweise ausgerechnet "Bio"-Lebensmittel extra fest verpackt und eingeschweißt werden, frustriert. Mehr noch von Fertigmenüs, Schnellimbisspäckchen oder Instantsuppen: Das alles stehe für Hektik, als wäre das leibliche Wohl eine lästige Nebensache, die man schnell hinter sich bringen wolle. "Wo bleibt da der Genuss, die Wertschätzung für Lebensmittel?" Stefanie Meier betont: "Ich will Entschleunigung bieten." In ihrem Laden solle man sich die Zeit nehmen, um achtsam einzukaufen und tiefgehender darüber nachzudenken.
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Aktuell müsse man von St. Leon-Rot und Umgebung bis nach Hockenheim, Heidelberg oder Karlsruhe fahren, erzählt Stefanie Meier – lange Anreisen, die eigentlich dem umweltfreundlichen Gedanken der "Unverpackt"-Läden widersprechen. Auf der von ihr angemieteten Fläche der ehemaligen Sparkasse möchte sie künftig Nudeln, Reis, Mehl, Müsli und andere haltbare Lebensmittel in jeweils breiter Vielfalt, außerdem Hygieneartikel sowie Wasch- und Putzmittel anbieten. Obst und Gemüse plane sie derzeit nicht, sie wolle keine Konkurrenz zum Edeka nebenan werden. Aber dank eines sehr guten Freundes kann sie zur Selbstabfüllung schottische Whiskys in ihr Sortiment aufnehmen.
Die Waren werden in Schütten, sogenannten "Bins", in Gläsern und Edelstahlbehältern aufbewahrt. Angeliefert werden die Waren in Großgebinden. Die Kunden bringen ihre eigenen Behältnisse zum Befüllen mit, die sie immer wieder neu nutzen können. Apropos wiederverwenden: Falls doch Kunststoff benötigt wird, etwa um Gewicht zu sparen, legt Stefanie Meier Wert darauf, dass er aus recycelten Materialien gemacht ist. "Die Spender oder Dosierhilfen, beispielsweise für Flüssigseife, werden von der Lieferfirma zurückgenommen und wiederverwertet", erklärt Stefanie Meier.
Mit Blick auf die Pandemie ergänzt sie: "Unverpackt-Läden haben vorneweg immer ein sehr gutes Hygienekonzept" – "unverpackt" seien die Waren erst, wenn die Kundinnen und Kunden sie auch erwerben, ansonsten würden in ihrem Laden keine Lebensmittel einfach offen herumliegen.
Das Sparkassengebäude ist bereits weitgehend entkernt worden. Der Parkplatz dahinter und Stellflächen gegenüber können genutzt werden, wobei Stefanie Meier sich auf viel Kundschaft einstellt, die per Rad unterwegs ist – zumal die Gemeinde die Anschaffung von (Elektro-)Fahrrädern fördert (die RNZ berichtete). Jetzt soll ihr "Unverpackt"-Laden noch einen eigenen Eingang erhalten "und ein bisschen renovieren und einrichten muss ich noch." Stefanie Meier plant die Eröffnung für Juli, " ich hoffe, das haut hin".
In diesen Tagen möchte sie ein sogenanntes "Crowdfunding" starten, um zum Start finanzielle Unterstützung der Bevölkerung einzuwerben. Auch ist eine Gutscheinaktion denkbar. Und um zudem attraktiv für nicht so mobile Kundinnen und Kunden zu werden, überlegt Meier, sich ein E-Lastenrad anzuschaffen und einen kleinen Lieferdienst ins Leben zu rufen.
In ihrem Schritt zur Selbstständigkeit fühlt sie sich vielfach bestärkt: "Die große positive Resonanz hat mich überrascht", erzählt Meier. Ihr Auftritt auf Facebook (@einfach.ohne.unverpackt) habe bereits über 400 Abonnenten und eine Reichweite von mehreren Tausend Menschen. Auch von Freunden und Bekannten werde sie ermutigt: "Die warten alle schon gespannt darauf."
Und noch weitere Interessenten warten darauf, dass das Sparkassengebäude bezugsfertig wird: Investor Matthias Hofmann, der neue Besitzer, füllt es in Zusammenarbeit mit der Immobilienagentur Radmacher auf vielfältige Weise mit Leben. "Wir kaufen öfter Gewerbeimmobilien auf und peppen sie frisch auf", erzählt er. Neben dem "Unverpackt"-Laden kommen ins 267 Quadratmeter große Erdgeschoss noch ein Kiosk und ein Café-Bistro der "Laib und Leben"-Kette aus dem Karlsruher Raum. Angrenzend soll später eine Weinstube entstehen. Im 150 Quadratmeter großen Kellergeschoss wird Hofmann zufolge ein Ballett-Studio einziehen. Im Obergeschoss sind derzeit vier private Wohnungen, die "sukzessive in Gewerbeeinheiten umgewandelt werden sollen". Im Dachgeschoss befindet sich ein Steuerberaterbüro.
