Etwas Kerwegefühl trotz Corona-bedingtem Ausfall gab es dann doch
Stefan Royar gab beim ökumenischen Gottesdienst den Kerwepfarrer

Weinheim. (keke) Ganz neue dichterische Qualitäten an seinem Amtskollegen aus der evangelischen Johannisgemeinde, Stefan Royar, entdeckte am Wochenende der Leiter der katholischen Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg, Pfarrer Joachim Dauer. Rund 80 Angehörige beider Konfessionen, unter ihnen Oberbürgermeister Manuel Just und Alt-OB Heiner Bernhard, waren der Einladung zum ersten ökumenischen Kerwegottesdienst im Schulhof des Werner-Heisenberg-Gymnasiums gefolgt.
Der zweite Samstagabend im August steht in der Zweiburgenstadt im Zeichen der Kerwe, die an den Schutzpatron der Gemeinde und als Heiligen verehrten Laurentius erinnert. Doch Corona machte auch vor der Kerwe nicht Halt. Anstelle der Wimpel und Lichterketten über den Altstadtgassen sowie der "Nacht der 1000 Lichter" im Schlosspark sah sich lediglich der im Schulhof aufgebaute schlichte Altar mit Sonnenblumen und Lämpchen geschmückt.
Hintergrund
Schon der Freitagabend war komisch. Kein erstes Bier nach der Arbeit am Kerwehaus. Dafür im "Delano" am Waidsee ein "Kerwe-Light-Freitag" (der Titel sagt schon alles) mit Cocktails,
Schon der Freitagabend war komisch. Kein erstes Bier nach der Arbeit am Kerwehaus. Dafür im "Delano" am Waidsee ein "Kerwe-Light-Freitag" (der Titel sagt schon alles) mit Cocktails, Corona-Disziplin und gediegener Live-Musik. Schön soll’s gewesen sein, wie man hört. Aber nichts kann die echte Kerwe ersetzen.
Außerdem waren die Liegestühle zum See hin gedreht, sodass man nach Sonnenuntergang und bei Einbruch der Dunkelheit fast vergessen konnte, dass sich der Schlossturm nach Kräften müht, ein Leuchtturm zu sein. Das will man daheim nicht verpassen. Also setzt man sich vors Haus, ein Gläschen Wein dabei, und schaut rüber Richtung Schlosspark. Die stillen, hellen und am Ende doch etwas monotonen Lichtzeichen am dunklen Himmel sollen Hoffnung und Mut machen. Das ferne Grundrauschen aus Stimmen, Rummel und Musik, das sonst von der Kerwe samt einer Ahnung von Mandelduft herüberweht, wären einem lieber als Zeichen zum Aufbruch ins Getümmel.
Die Kirchen und die Stadt haben sich wirklich um Trost bemüht. Bilder gucken am Amtshausplatz statt Autoscooter und Buden. Eine steht einsam neben einem Karussell im Schlosspark, wo am Samstagabend keine 1000 Lichter leuchten. Nur ein paar Leute sitzen trotzdem auf der Wiese und picknicken sogar. Auch die Stadtkapelle hatte sich hier fürs Wochenende angekündigt. Wie man die Kerwe doch vermissen kann! (cab)
Für Stimmung und Kerwegefühle unter den Anwesenden war dennoch gesorgt. Der Posaunenchor der Johannisgemeinde unter der Leitung von Peter Pflästerer bereicherte den Gottesdienst mit instrumentalen Zwischentönen. Ein Dutzend Mitglieder des Heimat- und Kerwevereins "Alt Weinheim" ließ mit seinen Trachten auch ohne gewohnte Tanzeinlagen Kerwefeeling aufkommen, das der von Dauer spontan zum "Ker-wepfarrer honoris causa" ernannte Royar trotz der auch am Abend noch hohen Temperaturen weiter anheizte. "Illuminiert wird heute nicht, denn Abstand halten ist jetzt Pflicht", reimte der Geistliche. "Dennoch sind wir heiter, denn das Leben geht immer weiter. So bleibt nur kurz noch zu betonen, damit die Regeln sich auch lohnen, dass dennoch gilt, was ewig war: Vom Hutplatz bis zum Gunser bleibt die Kerwe unser." Wie das Karussell oder das Riesenrad auf dem Amtshausplatz drehe sich unser Leben auch ohne weiter, so Royar. Die Menschen hätten gelernt, mit den veränderten Gegebenheiten umzugehen. Jetzt sitze man am Kerwesamstag nicht wie gewohnt im Schlosspark zusammen, sondern im Schulhof. Und das, so der Geistliche, empfinde er "als ein Geschenk".
Was ihm in den zurückliegenden sechs Monaten deutlich wurde, sei die Erkenntnis, dass "wir als Gesellschaft trotz Abstandsregeln wieder enger zusammengerückt sind", so Royar. "Kerwe ist für uns in Weinheim ein Bild für unsere Stadtgemeinschaft. Wir zeigen unsere Fröhlichkeit, unsere Freundschaft und Gastfreundschaft." Weil dies so vielschichtig sei, "brauchen wir dafür vier Tage und vier Nächte". Wenn Jesus aber gepredigt habe, "Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden. Sammelt euch Schätze im Himmel. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz", so erinnert das alljährlich am 10. August gefeierte Kirchweihfest an den Heiligen Laurentius.
Pfarrer Joachim Dauer spann den Faden mit der Lebensgeschichte von Laurentius weiter. Laurentius war gebürtiger Spanier und Erzdiakon unter Papst Sixtus II. (257/258). Sixtus wurde unter Kaiser Valerian während dessen Christenverfolgungen hingerichtet. Vor seinem Tod, so die Legende, habe Sixtus das Kirchenvermögen an Laurentius übergeben. Valerian forderte es aber für sich. Worauf Laurentius die Kirchenschätze an die Armen Roms verteilte und diese Valerian gegenüber als die "Schätze der Kirche" präsentierte. Der darüber erboste Kaiser verurteilte ihn zum Feuertod. Laurentius wurde nicht nur zum Schutzpatron der Weinheimer katholischen Kirchengemeinde, sondern aller mit Feuer befassten Berufe und der Weinreben, die in der heißen Augustsonne braten.
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Das Wertvollste sei nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, so Dauer. Die wahren Kirchenschätze stellten die Armen und Kranken dar. Es müsse Anliegen aller Christen sein, auch diese zu beschützen und in sie zu investieren.
Mit "Der Mond ist aufgegangen" und dem "Badner Lied" klang der Gottesdienst aus. Der Erlös des anschließenden "Kerweumtrunks" fließt dem Kinderförderfonds Neckar-Bergstraße zu.