Mit dem Hochwasserschutz zurück zur Natur
Hochwasserschutz und Ökologie gehen bei der Renaturierung der Morre am Lohplatz Hand in Hand

Von Rüdiger Busch
Buchen. Eine Baustelle ist immer interessant: Passanten bleiben neugierig stehen, schauen und kommentieren den Fortgang der Arbeiten. Was sie hier an der Morrebrücke in der Amtsstraße zu sehen bekommen, ist aber auch wirklich spektakulär: Die Morre wird aus ihrem starren Bett befreit und bekommt ein völlig neues, natürliches und ökologisch wertvolles Gesicht. Auf einer Länge von knapp 200 Metern in Richtung "Alla-Hopp"-Anlage" wird hier am Lohplatz Hochwasserschutz und Naturschutz beispielhaft verknüpft. Doch nicht nur das: Auch der Naherholungswert wird gesteigert, denn das Gewässer soll – so die weitere Zielsetzung – durch die Maßnahme "erlebbar" gemacht werden.

Bei einem Vor-Ort-Termin stellten Technischer Dezernent Hubert Alois Kieser und Stefan Müller, der das Projekt für die Stadt als Bauleiter federführend mitbegleitet, diesen dritten Eckpfeiler des Hochwasserschutzes in der Kernstadt (siehe Kasten) gemeinsam mit Polier Jürgen Senftleben von der Firma August Mackmull (Muckental) vor. Auch dieser Abschnitt, der im Herbst fertiggestellt sein soll, wird ein elementarer Bestandteil des "Grünen Bandes", eines vom Land ausgezeichneten Naherholungsgebiet entlang der Morre, inmitten der Stadt.
Die Renaturierung der Morre ist eine Daueraufgabe, die bereits vor vielen Jahren in Angriff genommen worden ist. Das Ziel dahinter ist klar: eine ökologische Aufwertung und die Wiederherstellung der Durchgängigkeit für Fische und andere Lebewesen, verdeutlicht Müller.
"Hier ist keiner gern spazieren gegangen", sagt Kieser und zeigt auf die Reste des alten Wegs. In der Tat: Entlang der in ihrem "phantasielosen Gewässerbett" eingesperrten Morre entlang zu flanieren, war nun wirklich kein Erlebnis. Das soll sich ändern: Der neue Weg, der um ein gutes Stück tiefer gelegt wird, soll durch seine Nähe zum Bach ein Naturerlebnis an der Morre möglich machen. Und: Er schafft die Verbindung von der Stadt über die Hopp-Anlage ins Mühltal, von der Bebauung in die Natur, und das entlang einer wunderschönen Strecke. Zwei Brücken werden durch eine neue ersetzt, die bei Hochwasser oder Starkregen überflutbar ist. Auch der neue Weg, der nur etwa 50, 60 Zentimeter über dem Gewässerniveau liegen wird, kann ebenfalls überflutet werden, was aber gewollt ist, um der Morre möglichst viel Raum zu bieten. "Bei Hochwasser geht keiner spazieren", sagt Stefan Müller lächelnd.
"Das Ganze ist eine riesige Chance für Buchen", ist sich Hubert Kieser sicher, "doch die haben wir nur deshalb, weil bei der Bebauung in der Vergangenheit immer viel Abstand zum Gewässer gehalten wurde." Schon die Stadtmauer sei so gebaut worden, dass genügend Abstand blieb. "Dadurch haben wir jetzt die Möglichkeit, der Morre wieder mehr Freiraum zu geben."
Hintergrund
> Ursprünglich war 2011 der Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens im Hettinger Tal angedacht. Das galt damals als wirtschaftlichste Variante. Doch dann entwickelte sich eine Diskussion, an deren Ende das nun zum Tragen
> Ursprünglich war 2011 der Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens im Hettinger Tal angedacht. Das galt damals als wirtschaftlichste Variante. Doch dann entwickelte sich eine Diskussion, an deren Ende das nun zum Tragen kommende Konzept stand, das Hochwasserschutz und Naturschutz vereint. Und der Clou: Am Ende kommt diese Variante sogar noch günstiger.
> Die bisher umgesetzten Maßnahmen am Schulzentrum und in der Schüttstraße bestehen aus vielen kleinen Bestandteilen, die in der Summe eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen.
> Als dritten Abschnitt hat die Stadt nun den Bereich am Lohplatz in Angriff genommen. Von der Brücke Amtsstraße bis zum Zugangsweg zur Kneippanlage wird die Morre auf einer Länge von ca. 190 Metern renaturiert. Dabei werden Überflutungsflächen geschaffen, die das Wasser bei einem Hochwasser aufnehmen können.
> Die Gesamtkosten hierfür liegen – inklusive Planung, Bauleitung und Gutachten – bei rund 860.000 Euro. Der Hochwasserschutz wird mit 56 Prozent gefördert und die naturnahe Gestaltung mit 85 Prozent.
> Als letzter Abschnitt des Hochwasserschutzes steht die Einmündung des Hainsterbachs in die Morre an. Hierfür steht die Detailplanung noch aus.
> Der Schutz vor einem 100-jährlichen Hochwasser ist das Ziel. Eine Garantie, dass die Maßnahmen ausreichen, kann es aber nicht gebe. Zudem muss zwischen einem großräumigen Hochwasser und einem Starkregenereignis unterschieden werden. Letztere treten lokal auf und können dafür sorgen, dass ein kleines Gewässer wie der Morre in kürzester Zeit zu einem reißenden Fluss wird. rüb
Dafür wurde zunächst das aus den 1980er Jahren stammende Bachbett mit schwerem Gerät entfernt. Damals war das Ziel der Gewässerplanung, ein Hochwasser schnell aus der Stadt rauszuleiten. Jetzt steht die Ökologie ganz oben: Die Morre soll wieder mehr Leben bekommen. Wie das geschieht, ist in Buchen gerade zu beobachten. Baggerfahrer Manuel Pummer bugsiert einen großen Wasserbaustein in die Mitte des neuen Bachbetts. "Man sieht, dass da jemand arbeitet, der Ahnung vom Gewässerbau hat und auch das richtige Gefühl mitbringt", lobt Kieser. Denn im Gegensatz zum Bau von Straßen oder Gebäuden geht es hier gerade nicht um gerade Linien, sondern um eine möglichst naturnahe Gestaltung.
Die Bausteine finden in unterschiedlichen Größen- und Gewichtsklassen Verwendung, um dem Gewässer ein neues Bett zu geben und Strukturen zu schaffen. Unregelmäßige große Steine werden oft als sogenannte "Störsteine" eingesetzt. "Sie haben die Aufgabe, im Fließquerschnitt Energie rauszunehmen", erläutert Müller. Das Bachbett wird neu geformt, indem der Baggerfahrer Grobschotter verteilt und kleinere Steine setzt.
So entstehen Kurven und Inseln, Flachwasserzonen, Vertiefungen und Bereiche, in denen das Wasser unterschiedlich schnell läuft. Damit werden auch Ruhe- und Rückzugsbereiche für bestimmte Lebewesen geschaffen. Ganz so, wie es die Natur machen würde. In Stein gemeißelt ist dieser Bachlauf aber nicht: Die Natur selbst wird noch Änderungen vornehmen, einzelne Flussarme werden verlanden, neue Inseln werden sich bilden: "Aber das ist auch das Ziel", betont Kieser. Die Morre soll wieder eine eigene Dynamik entwickeln. Das Bachbett selbst wird nicht begrünt, nur einzelne Pflanzen werden gesetzt. Den Rest wird die Natur übernehmen und für eine vielfältige Begrünung sorgen.

Ein solches Konzept am Schreibtisch zu entwerfen, ist das eine. Zu sehen, wie es mit Leben erfüllt wird, lässt den beiden Bauexperten der Stadt das Herz aufgehen. "Man sieht bei jedem Arbeitsschritt, dass sich da jemand die richtigen Gedanken macht", sagt Müller. Neben dem Lob für die Baufirma hebt Kieser die Anwohner heraus. Es sei zwar anfangs Überzeugungsarbeit notwendig gewesen, doch letztlich seien alle bereit gewesen, Teilflächen ihrer Grundstücke abzugeben, so dass das Vorhaben verwirklicht werden kann. "Doch auch für die Anwohner wird es sich lohnen", erklärt Kieser beim Blick auf das in Ansätzen bereits zu erkennende Ergebnis.
Was hier entsteht, ist eine gelungene Symbiose aus Hochwasserschutz, Ökologie und der Steigerung des Naherholungswerts. Das ganze Gebiet wird in einen naturnahen Erlebnisbereich an der Morre verwandelt und stellt eine Aufwertung Buchens dar.
Wie bestellt, kommt mitten im Pressegespräch eine Passantin vorbei, blickt auf die Baustelle und und spricht Hubert Alois Kieser mit leicht vorwurfsvollem, aber freundlichem Unterton an: "Schade um die schöne Brücke, die haben wir immer gerne genutzt." Gewohnt schlagfertig kann der Technische Dezernent sie beruhigen: "Du bekommst eine schönere!"