DAI Heidelberg

"Die Auswirkungen werden enorm sein"

DAI-Direktor Jakob Köllhofer sieht das Coronavirus als Inkubator für Veränderungen - Auch sein Haus wird sich wandeln

11.05.2020 UPDATE: 12.05.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden
„Wir haben eingesehen, dass wir dringend technisch aufrüsten müssen“: Ab Donnerstag startet das DAI-Home-Programm –und Direktor Jakob Köllhofer will das auch nach der Corona-Krise beibehalten. Foto: Hentschel

Von Anica Edinger

Heidelberg. Hunderte Veranstaltungen wurden abgesagt, Bibliothek, Sprachschulen und Kindergärten geschlossen: Mitte März wurden die Türen des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen. Jetzt wird das "Haus der Kultur" nach vielen Wochen wieder mit Leben gefüllt – jedenfalls auf dem digitalen Weg (siehe Hintergrund). Denn ab Donnerstag bringt das DAI Kultur direkt ins Wohnzimmer. Direktor Jakob Köllhofer berichtet im RNZ-Gespräch über die Zeit im Lockdown, über seine Einschätzung zu den nachhaltigen Folgen der Pandemie – und über die Chancen, die das Virus mit sich bringen könnte.

Herr Köllhofer, es war sehr lange sehr still ums DAI. Wie geht es Ihnen denn in diesen Tagen?

Natürlich leidet man unter den Bedingungen. Zumal es um die Seele des DAI geht: den wachsamen Schutz der Demokratie. Aber wir haben die Zeit genutzt – und ab Donnerstag wird es einen zusätzlichen Service für unsere Freunde geben. Mir persönlich aber geht es gut. Ich habe bereits Ende Januar Symptome, wie sie das Covid-19 bringt, durchlebt.

Sie meinen, Sie waren bereits an Covid-19 erkrankt?

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Ich weiß es nicht. Allerdings geisterte der Begriff von "Kreuzimmunität" durch die öffentliche Diskussion, der möglicherweise mein Husten-Fieber-Erlebnis beschreibt und meine Robustheit in der ganzen Krise erklären würde. Einen Test habe ich nicht gemacht.

Wie schätzen Sie denn die aktuelle Lage in Bezug auf das Coronavirus ein?

Ich hatte erst kürzlich ein Online-Treffen mit einigen Wissenschaftlern, bei dem wir ebenfalls über dieses Thema gesprochen haben. Für mich hat sich da kein völlig klares Bild ergeben. Mir sind allerdings Zurückhaltung und ein bekennendes Nichtwissen lieber als die besserwisserische Erklärungslust. Fest steht, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen enorm und nachhaltig sein werden. Das Virus kann auch Inkubator für Veränderungen sein.

Sie glauben also, dass die Gesellschaft tatsächlich nachhaltige Lehren aus der Pandemie ziehen wird?

Das wäre zu wünschen. Die Solidarität in der Gesellschaft hat sich doch erstaunlich bewährt. Unsere staatliche Ordnung hat – wenn man so will – ihren ersten Test bestanden. Ebenso das Gesundheitssystem: Wenn Sie das in Deutschland mit dem der USA vergleichen, dann kann man in diesem Land stolz sein. Doch es folgen weitere Tests. Wofür werden die Unsummen an Geldern fließen? In eine zukunftsträchtige Ausrichtung unserer Wirtschaft, Beschäftigung, Bildung, oder wird man sich mit dem Vorkrisenmodus begnügen? Wir haben da jedenfalls verschiedentlich Bereiche, in denen viel auf der Kippe steht – vielleicht ist die Krise der entscheidende Tropfen für Zukunft! Das DAI hat sich unterdessen vom Boot zum Katamaran erweitert. Wir werden von nun an auf zwei Rümpfen um die Welt reisen.

Hintergrund

DAI startet Online-Programm

Seit fast zwei Monaten gibt es im DAI keine Kulturveranstaltungen mehr. Jetzt hat die Durststrecke ein Ende. Denn das DAI geht ab Donnerstag, 14. Mai, mit einem Online-Programm an den Start. Vorträge und moderierte Gespräche

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DAI startet Online-Programm

Seit fast zwei Monaten gibt es im DAI keine Kulturveranstaltungen mehr. Jetzt hat die Durststrecke ein Ende. Denn das DAI geht ab Donnerstag, 14. Mai, mit einem Online-Programm an den Start. Vorträge und moderierte Gespräche wechseln sich dann mit Lesungen und Podien ab – zu erleben jeweils um 20.15 Uhr als Webinare und Live-Streams unter www.dai-heidelberg.de. Den Auftakt macht am Donnerstag Schriftstellerin Nele Pollatschek mit ihrem Roman "Dear Oxbridge" und einer Kombination aus Lesung und Gespräch.

Das sind die weiteren Veranstaltungen:

> Sonntag, 17. Mai: Michael Blume: "Verschwörungsmythen in Zeiten von Corona", Vortrag und Gespräch.

> Mittwoch, 20. Mai: Heinz Bude: "Solidarität – in der Krise?", Vortrag und Gespräch.

> Sonntag, 24. Mai: Peter Sloterdijk: "Corona als Inkubator wovon?", moderiertes Gespräch mit Jakob Köllhofer.

> Dienstag, 26. Mai: Dimitrij Kapitelman: "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters", Lesung und Gespräch.

> Samstag, 30. Mai, ab 12 Uhr: World Ocean’s Day – Online-Familien-Aktionstag.

> Donnerstag, 4. Juni: Luisa Neubauer: "Vom Ende der Klimakrise? Wie gelingt der Wandel?", Vortrag und Gespräch.

> Samstag, 6. Juni, 10 Uhr: Guilia Silberberger, Rüdiger Reinhardt, Alia Pagin "Verschwörungstheorien und Schwurbel: Erkennen, analysieren, entlarven", Workshop.

> Mittwoch, 10. Juni: Bärbel Wardetzki: "Loslassen und dranbleiben. Wie wir Veränderungen mutig begegnen", Vortrag und Gespräch.

> Sonntag, 14. Juni, 10.30 Uhr: Xifan Yang: "Bericht aus Peking. Was will China im 21. Jahrhundert?", Vortrag und Gespräch.

Auch die Sprachschule des DAI bietet nun Onlinekurse an. Die Bibliothek ist wieder für den Publikumsverkehr geöffnet. (ani)

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Sie meinen das DAI-Programm – das gibt es nun ab Donnerstag zum Teil digital. Soll das auch nach einer Wiederöffnung von Kulturhäusern erhalten bleiben?

Ganz sicherlich ja. Wir bauen das DAI aus. Für unsere Mitglieder, die abends nicht zu uns kommen können, oder die bei ausverkauften Sälen dennoch dabei sein wollen, die sich interaktiv mit unseren Gästen auseinandersetzen wollen: Sie werden mehr Möglichkeiten bekommen, an den geistigen Prozessen mitwirken zu können. Wir wollen durch diese Entfaltung den Mitgliederbereich, die Formate unserer Themen und die Mitgestaltung der Öffentlichkeit an der Arbeit des DAI intensivieren.

Vermissen Sie denn nicht die persönliche Interaktion bei den Veranstaltungen in Ihrem Haus?

Doch, ich vermisse unsere Freunde sehr. Ihre unmittelbare Freude und Leidenschaft. Das lebendige Gespräch ist nicht zu überbieten. Digitale Veranstaltungen werden also unter normalen Bedingungen analoge nie ersetzen – aber doch ergänzen.

Was ist denn in den vergangenen Wochen und Monaten passiert im DAI?

Zunächst haben wir eingesehen, dass wir dringend technisch aufrüsten müssen. Dann haben wir den Bestand an Youtube-Schätzen für die Öffentlichkeit neu bearbeitet. Wir haben notwendige Instandhaltungsarbeiten in den Räumen durchgeführt. Der Makerspace hat für viele Menschen in Heidelberg "Face-Shields" gefertigt. Unsere 3D-Drucker arbeiten rund um die Uhr. Und auch die Bibliothek lieferte non-stop ein "Storytime"-Programm für Heidelberger Kinder und vieles mehr.

Sind Sie bereits vorbereitet auf eine etwaige Wiedereröffnung?

Wir sind bereit – und was immer man uns erlaubt, werden wir versuchen in gewohnter Intensität umzusetzen. Aber die Begrenzung durch die Versammlungsverbote trifft uns ins Herz. Wissenschaftler aus den USA zu holen, wenn wir dann nur 18 Leute in unseren Großen Saal lassen dürfen, lohnt sich nicht. Das müssen wir dann online versuchen, zu kompensieren.

Fast ein ganzes Jahr ohne Kultur, ohne Konzerte, Lesungen, Diskussionen. Hält das eine Gesellschaft ohne Folgen aus?

Das Gute daran ist, dass durch das ganze Land doch zu spüren war, dass die Menschen etwas vermissen. Ich gestehe Ihnen gern, dass mich in dieser Frage zwei Erfahrungen besonders berührten: Zum einen, wie biologisch die Menschen sind. Zum anderen, wie sehr sie sich kulturell definieren. Zum Letzteren muss man an dieser Stelle herausstellen, was unser aller besondere Achtung verdient: Das überaus mutige Leben, das Künstler führen. Ihnen muss man jetzt ganz besonders unter die Arme greifen! Viele, die ohne öffentlichen Gelder auskommen, werden in existenzielle Not geraten. Ich appelliere an all die großen Gönner und Förderer – unterstützt sie!

Im DAI selbst entstanden noch keine finanziellen Probleme?

Der Verlust ist immens, aber wir klagen nicht. Wir haben im Moment jedenfalls alles im Griff. Warum? Wir haben unseren Freundeskreis. Ein unschätzbarer Kreis von treuen engagierten Menschen. Sie sind unser Segen. Ihnen gehört mein täglicher Dank.

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