Ehrenamtlich den Kopf hinhalten

"Plötzlich hatte ich seine Faust im Gesicht"

Auch die Feuerwehren der Region kämpfen zusehends mit mangelndem Respekt gegenüber den Einsatzkräften - Beleidigungen, Provokationen und sogar Schläge

08.08.2019 UPDATE: 09.08.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 57 Sekunden

Nur ein Beispiel, wie sich Feuerwehrmänner für die Allgemeinheit einsetzen: In Schriesheim wurde 2016 ein Wohnhaus nach einem Unwetter überflutet. Die Einsatzkräfte versuchten, das Haus mit Sandsäcken zu sichern.

Von Stefan Hagen, Armin Rößler und Nicolas Lewe

Rhein-Neckar. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr braucht man ein richtig dickes Fell. Einsätze unter Gefahr für Leib und Leben, enorme psychische Belastungen - etwa beim Bergen von Unfallopfern - dazu die Familie, die daheim stets angespannt darauf wartet, dass hoffentlich alles gut gegangen ist.

Als wäre das nicht schon genug, müssen sich die Einsatzkräfte - die wohlgemerkt ehrenamtlich ihren Kopf hinhalten - immer öfter auch noch provozieren, beschimpfen und beleidigen lassen. Und sie müssen mitunter während des Einsatzes sogar Schläge einstecken. Wie ist die Gemütslage der Kameraden im Rhein-Neckar-Kreis?

*

Diesen Tag werden die Einsatzkräfte der Schriesheimer Feuerwehr so schnell nicht vergessen - auch wenn das Ereignis jetzt schon einige Zeit zurückliegt. Eigentlich war es ein Routine-Einsatz, erzählt Kommandant Oliver Scherer. Ein Auto hatte sich überschlagen und die Branichstraße blockiert. Die Feuerwehr rückte aus, sperrte die Unfallstelle ab - dann begann der Ärger.

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"Einige Autofahrer wollten sich mit aller Gewalt durchquetschen", kann Scherer diese Unverfrorenheit noch immer nicht fassen. "Die hatten einfach kein Verständnis." Und dann war er plötzlich da: der Stinkefinger. Aus dem Fenster der Beifahrerseite eines Fahrzeugs wurde er den Floriansjüngern - als Symbol mangelnden Respekts - entgegengereckt. "Wir waren wirklich schockiert", sagt Scherer. So etwas habe man zuvor noch nicht erlebt. Und natürlich habe man Anzeige erstattet.

Aber Scherer will nichts dramatisieren: Die meisten Menschen seien der Feuerwehr gegenüber nett und dankbar. Ausnahmen gebe es aber immer wieder. Häufig sei Alkohol im Spiel. Wie bei einem Einsatz im Feld zwischen Schriesheim und Dossenheim. Dort hatten Jugendliche ein Lagerfeuer entfacht und die Einsatzkräfte bei deren Eintreffen beschimpft und provoziert. "Das hat dann die Polizei geregelt", sagt Scherer.

"Dass uns jemand völlig respektlos gegenübergetreten ist, habe ich noch nicht erlebt", sagt Wieslochs Stadtbrandmeister Peter Hecker. Allerdings hat er beobachtet, dass die Bereitschaft, für die Rettungskräfte anstandslos aus dem Weg zu gehen, ebenso abgenommen hat wie die Bereitschaft, selbst zu helfen. "Da könnten die Bürger oft beherzter zugreifen", sagt Hecker. Hinzu komme das immer mehr zunehmende "Phänomen", Unfallszenen und Ähnliches mit dem Handy zu filmen oder zu fotografieren. "Da wird die Hemmschwelle immer geringer, die Leute merken oft gar nicht, dass sie die Rettungskräfte stören und die Privatsphäre des Verunfallten verletzen", so Hecker.

Zum Thema Respekt gegenüber Einsatzkräften kann Leimens Feuerwehrkommandant Armin Nelius seine ganz persönliche Geschichte erzählen. So berichtet er von einem Einsatz "vor etwa zwei oder drei Jahren", bei dem er mal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Und zwar wortwörtlich. "Bei dem Einsatz war da ein Mann, der sich einfach auf das Trittbrett des Löschfahrzeugs gestellt hat", erinnert sich Nelius.

Auf seine wiederholte Aufforderung, dort herunterzukommen, habe der Mann nicht reagiert, weshalb er ihn schließlich mit sanfter Gewalt hinabbefördert habe.

"Plötzlich hatte ich seine Faust im Gesicht", sagt Nelius. Anschließend habe er einen Arzt aufsuchen müssen, und der Schläger sei in Polizeigewahrsam gekommen und später vor Gericht für die Tat verurteilt worden. Für ihn, so Nelius, sei der ganze Vorfall ein "absolutes No-Go" gewesen. Generell findet der Kommandant: "Das, was ich bei Einsätzen erlebe, hat mit Respekt oft nichts zu tun und spottet jeder Beschreibung." Unsäglich sei, dass heute schneller das Handy gezückt als geholfen werde.

In Weinheim - der größten Stadt im Rhein-Neckar-Kreis - gibt es laut Kommandant Ralf Mittelbach zwar verbale Angriffe auf "seine Männer", aber das Ganze halte sich in Grenzen. Was Mittelbach viel mehr gegen den Strich geht, sei der Trend "immer live dabei sein zu wollen". Als Beispiel nennt er ein fürchterliches Ereignis im Weinheimer Hauptbahnhof. Dort war Mitte Juli ein Jugendlicher von einem Zug erfasst und tödlich verletzt worden. "Wir haben den Bereich abgesperrt und die Leute freundlich, aber bestimmt, darauf hingewiesen, dass hier niemand mehr durch kann." Und dann hätten manche doch tatsächlich angefangen zu diskutieren. Schlimmer noch, einige Passanten seien einfach über die Absperrung gestiegen, schüttelt Mittelbach den Kopf. "Da sind wohl Tugenden, die man normalerweise in der Kinderstube mitbekommt, irgendwo verloren gegangen", zieht er sein ganz persönliches Fazit.

"Die Hemmschwelle Amtspersonen gegenüber aggressiv aufzutreten, sinkt immer mehr", hat auch der Kreisbrandmeister des Rhein-Neckar-Kreises, Udo Dentz, festgestellt. "Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir das wieder umkehren können", hat er die Zeichen der Zeit erkannt. Man müsse in Kindergärten und Schulen gehen, und dort aufzeigen, wie wichtig etwa die Feuerwehr für die Gesellschaft sei. Auch eine Art "Brandschutz-Erziehung" kann sich Dentz vorstellen. Und auch das sei sehr wichtig: "Wir müssen den Leuten klar machen, dass auch sie jederzeit von einem schweren Unfall oder einem Brand betroffen sein können."

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