Peter Kurz im Interview

"Bauprojekte noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts"

Der Oberbürgermeister spricht im RNZ-Sommerinterview über Kunst, Kommunalwahl, Koalitionen, Klinik, Krach durch Güterzüge und Kritik am Turley-Deal

01.08.2019 UPDATE: 02.08.2019 06:00 Uhr 7 Minuten, 15 Sekunden

Stolz der Stadt: der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz in der Jugendstilanlage am Wasserturm. Foto: Kreutzer

Von Olivia Kaiser und Alexander Albrecht

Mannheim. Peter Kurz ist seit 2007 Mannheimer Oberbürgermeister. Im Interview spricht der 56-jährige SPD-Mann über große und kleinere politische Themen.

Herr Kurz, Sie haben sich für unser Sommerinterview das Café an der Kunsthalle ausgesucht. Gab es dafür einen besonderen Grund?

Ja, natürlich. Zum einen ist die Kunsthalle ein Beispiel für Veränderungen der Stadt in den vergangenen Jahren. Und zugleich ist hier ein Begegnungsort entstanden, was mir wichtig ist. Es ist ein sehr offenes Haus geworden, das die verschiedensten Gruppen anspricht und auch einen pädagogischen Auftrag hat.

Wie kann man sich den Kunstfreund Peter Kurz vorstellen?

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Das ist nicht so schwer. Wenn ich in anderen Städten unterwegs bin, führt mich oft auch ein Weg ins Museum. Weil das Orte sind, die inspirierend sind und häufig etwas über die Atmosphäre und das Selbstverständnis einer Stadt aussagen.

Sind das auch Orte, an denen Sie wieder runterkommen können?

Dafür habe ich meist zu wenig Zeit, als dass ein Museumsbesuch so kontemplativ wäre, dass ich mich eine halbe Stunde vor ein Kunstwerk stellen würde. Da bin ich eher im Mainstream der Museumsbesucher.

Ein weiterer kultureller Leuchtturm ist das Nationaltheater, das ja bald saniert wird. Was die Ersatzspielstätten angeht, haben sich die Verhandlungen mit dem Pfalzbau in Ludwigshafen als schwierig herausgestellt. Gibt es einen neuen Stand?

Wir sind in guten und konstruktiven Gesprächen. Es ist im Vergleich zum Schauspiel deutlich schwieriger, während der langen Schließzeit Neuproduktionen und das Repertoire der Oper zu zeigen. Da ist der Pfalzbau ein ganz wichtiger Ort für das Repertoire - nicht der einzige, denn das ist für beide Häuser nicht machbar. Wenn wir das aber nicht schaffen, würde das einen ganz bitteren Einbruch bei den Abonnentenzahlen bedeuten.

Sie rechnen noch in diesem Jahr mit einer Einigung?

Ja.

Im Gemeinderat gibt es neue Mehrheitsverhältnisse, die Grünen sind zur stärksten Kraft geworden und stellen Ansprüche. Wie schwer wird für Sie die Arbeit in den nächsten fünf Jahren?

Ich glaube nicht, dass es auf jeden Fall schwerer wird. Abgesehen davon, dass die Führungsrolle gewechselt hat und keine Zweierbündnisse mehr eine Mehrheit bilden können, ist der Gemeinderat doch etwas übersichtlicher geworden. Wir hatten im alten Rat phasenweise elf verschiedene Positionen, aktuell sind es sieben. Ich hoffe, dass das im März verabschiedete Leitbild zur wichtigsten Grundlage für die Zusammenarbeit wird und zu produktiven Entscheidungen führt.

Rechnen Sie eher mit Sachkoalitionen oder bauen Sie auf das grün-rot-rote Lager als Mehrheitsbeschaffer?

Die Herausforderung ist vermutlich weniger, das Lager zusammenzuhalten, als bei den großen Weichenstellungen den Versuch zu unternehmen, die Mehrheiten noch breiter zu machen. Allerdings sind gerade Fragestellungen der Ökologie, wo wir große und dringende Aufgaben zu meistern haben, auch potenziell dazu geeignet, um gesellschaftspolitisch zu spalten. Wir sehen das jetzt bei einer aus meiner Sicht zwingend nötigen Maßnahme: CO2 zu besteuern. Das wird dazu führen müssen, dass fossile Brennstoffe zu Hause oder im Auto teurer werden - was aber im Moment gesellschaftlich keine Mehrheit hat. Das wird eine der großen Herausforderungen insbesondere auch für die Partei der Grünen insgesamt sein. Die Erwartungshaltung ist: Macht jetzt endlich das, für was wir euch gewählt haben. Gleichzeitig gibt es für diese Entscheidungen, wenn es wehtut, keine Mehrheit. Die Welt soll ökologischer werden, aber bitteschön ohne Windräder und ohne Verteuerung von Benzin.

Die CDU war eine Verliererin der Gemeinderatswahl, die andere die SPD, was sicherlich dem Bundestrend geschuldet war. Fürchten Sie, dass sich Ihre Partei marginalisiert, dass sie irgendwann nicht mehr gebraucht wird?

Selbstverständlich wird sie weiterhin gebraucht, gerade wenn es darum geht, ökologische, soziale und wirtschaftliche Fragestellungen zusammen zu denken. Andererseits ist die Verunsicherung in der Partei ein Motor dafür, dass es noch schlechter wurde. Die Vereinfachung der Erklärungen in den immer gleichen Grundthesen, das Infragestellen von Führung als solcher oder der Richtungsstreit - all das verschärft die Situation noch mehr, anstatt zum Gegenteil zu kommen. Der Ausweg aus der Krise ist für die SPD noch nicht beschrieben. Wenn alle drei stellvertretenden Parteivorsitzenden nach dem Nahles-Rücktritt erklären "Wir nicht", dann ist da ja auch ein Ausdruck davon, dass man fast nicht mehr an die Funktion des Parteichefs glaubt. Ich kann das alles im Moment verstehen. Aber das Zurückspielen an die Basis nach dem Motto "Jetzt sagt ihr uns mal, wo’s langgeht", ist auch riskant, weil man nicht weiß, ob da ein Momentgefühl für irgendein Team auftritt, das keine Nachhaltigkeit hat.

Die Dauerfrage ist ja: Kann die SPD innerhalb der Großen Koalition wieder zu sich selbst finden?

Eine Koalition ist keine inhaltliche Frage, sondern eine taktische, wie ich meine Inhalte umsetzen kann. Selbst die Kritiker geben zu, dass in den vergangenen Jahren viel erreicht worden ist aus sozialdemokratischer Sicht. Gleichzeitig setzt man in der Dauerproblematisierung der Koalition die Botschaft, dass man uneins ist und dies die relevante Frage ist. Mittlerweile ist es wohl tatsächlich so, dass sich die SPD in Regierungsverantwortung nicht mehr finden kann.

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Angriff auf den Hockenheimer OB Dieter Gummer, also Gewalt an Politikern aus der zweiten Reihe. Macht Ihnen das Angst?

Persönlich beeinflusst das meinen Alltag nicht, aber es besorgt mich unter dem Aspekt, was das mit Menschen, mit der Bereitschaft macht, solche Ämter und Funktionen zu übernehmen. Die Angriffe stehen nicht im Zusammenhang mit realen Geschehnissen vor Ort, sondern mit allgemeinen Stimmungslagen, die sich konkretisieren. Das kann dann an einem einzelnen Satz festgemacht werden oder an etwas, das rational überhaupt nicht nachvollziehbar ist - wie zum Beispiel bei möglicherweise psychotischen Tätern, die meinen, eine allgemeine gesellschaftliche Mehrheit zu vertreten oder dass sie da einen Auftrag hätten.

Für viel Aufregung gesorgt hat in diesem Jahr der Verkauf von Baufeldern auf dem Konversionsgeländen Turley. Die Tom-Bock-Gruppe veräußerte diese zum sechsfachen Preis an private Investoren - die Stadt ging leer aus. Haben Sie unterschätzt, welche Wellen das schlagen würde mit Blick auf steigende Mieten und Wohnungsnot?

Der Verkauf an sich hätte wohl nicht diese Empörung hervorgerufen. Der kaum nachvollziehbare Preis hat allerdings berechtigte und verständliche Reaktionen ausgelöst. Das konkrete Miet- und Wohnungsangebot, das jetzt dort gemacht wird, ist interessanterweise aber gar keine negative Veränderung. Das aus einer anderen Zeit stammende Ursprungskonzept von Tom Bock sah außergewöhnlich große und teure Luxuslofts in historischem Stil vor. Die neuen Pläne sind deutlich konventioneller, beinhalten aber ein eher mittleres Mietpreisniveau. Und es soll insgesamt mehr Wohnungen geben. Aus heutiger Sicht ist also kein Schaden für die Quartierentwicklung vor Ort entstanden.

Der Immobilienentwickler Fortoon hat sich offen gezeigt für die 30-prozentige Sozialquote. Gibt es hier Neuigkeiten, beziehungsweise schon Bauanträge?

Die Gespräche laufen noch. Die Frage ist, ob sich die Sozialquote nur auf die neuen, zusätzlichen Wohnungen bezieht. Dann würden es am Ende eher wenige sein. Oder es gibt einen Kompromiss, der Wohnungsbauförderungsprogramme mit einbezieht. Von der äußeren Planung her ist das Projekt schon recht weit fortgeschritten. Ich rechne noch in diesem Jahr mit Bauanträgen.

Sie haben in Ihrer Neujahrsansprache ein Vorkaufsrecht für Kommunen auf dem Immobilienmarkt gefordert. Sind Sie schon vorangekommen?

Der Deutsche und auch der baden-württembergische Städtetag, dessen Vorsitzender ich bin, haben das in ihren Forderungskatalogen aufgenommen. Auf Mannheim bezogen: Wir haben ein allgemeines Vorkaufsrecht in der Neckarstadt. Sie kommen aber nur an Häuser ran, die einen städtebaulichen Missstand aufweisen. Bisher kann ein Erwerber das Vorkaufsrecht dadurch abwehren, dass er erklärt, unsere städtebaulichen Ziele zu verfolgen. Dazu gehört aber nicht, erhebliche Preissteigerungen zu unterbinden. Er muss sich nur für bestimmte Zeiträume binden, dann kann er nach der Sanierung Preise verlangen, bei denen man mit den Ohren schlackert. Es geht uns also um Preislimitierung und darum, dieses Abwehrrecht der Erwerber zu beenden, damit die Kommune zum Verkehrswert kaufen kann. Wenn das der Fall wäre, mindert sich die Spekulation deutlich, weil der Investor damit rechnen muss, dass der Verkaufsvorgang von der Stadt unterbunden wird. Dazu haben wir im Städtetag auf Landesebene einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet.

Peter Kurz im Gespräch mit den Redakteuren Olivia Kaiser und Alexander Albrecht. Foto: Kreutzer

Das Uniklinikum hat seit Anfang des Jahres eine neue Geschäftsführung. Die alte war dafür kritisiert worden, den Konsolidierungsprozess zu langsam vorangetrieben zu haben. Geht es nun schneller?

Ich glaube, dass die beiden neuen Geschäftsführer innerhalb des Hauses und auch nach außen eine überzeugende Figur abgeben. Projekte im Krankenhaus haben noch einmal Geschwindigkeit aufgenommen. Die Schwierigkeit ist der Personalmangel, insbesondere bei den Pflegekräften, und die gestiegene Zahl von Nachprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Das sind bundesweite Phänomene. Deshalb lassen sich positive Effekte am Ende in den Zahlen nicht so abbilden, wie wir uns das wünschen.

Kommen wir zum Rheindamm und zum möglichen Wegfall von Tausenden Bäumen. Sind Sie mit der Kooperation mit dem Regierungspräsidium zufrieden?

Es ist der Sache nicht angemessen, hier Kopfnoten zu verteilen. Ich setze darauf, dass wir zumindest für einige Abschnitte noch einmal über technische Varianten diskutieren können. Wir müssen uns positionieren, wenn dann der Planfeststellungsantrag vorliegt. Klar ist: Es muss getan werden, was für den Hochwasserschutz notwendig ist. Das ist der Maßstab. Die entscheidende Frage ist, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen absolut zwingend sind und minimiert werden können. Und: Kann man im zweiten Fall vertreten, dass dann in Teilen deutlich höhere Kosten entstehen.

Der Gemeinderat hat ein eigenes Gutachten eingefordert. Aber macht das zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt Sinn, wo noch nicht alle Informationen vorliegen?

Aktuell tatsächlich nicht. Es wäre auch dem Steuerzahler nicht zu vermitteln, ein offensichtlich nicht weiterführendes Gutachten zu beauftragen, nur um politisch bella figura zu machen.

Ein Thema, bei dem Sie einen noch längeren Atem brauchen werden, ist der Bahnlärm. Nach einem Gutachten soll ein zweites Gleis der Östlichen Riedbahn reaktiviert und täglich bis zu 250 Güterzüge durch sechs Stadtteile rollen. Haben Sie noch Hoffnung auf eine Ausweichstrecke oder auf einen Tunnel?

Da bin ich mittlerweile recht optimistisch. Der Bund hat beauftragt, ernsthafte Alternativen prüfen zu lassen. Für uns war wichtig, dass der Bahnknoten Mannheim ausgebaut wird. Das wird nun als zwingend erkannt, und immerhin reden wir hier von einem dreistelligen Millionenbetrag. Wir können aber nicht mehr wie früher Infrastrukturen ausbauen und die Anwohner sollen das dann irgendwie aushalten. Das gilt für die Straße wie für die Schiene. Mit den Kapazitätsberechnungen für die 2030er Jahre, also wenn das Projekt realisiert sein wird, endet ja nicht die Welt. Dafür braucht es Antworten, und die bestehen aus meiner Sicht nicht allein darin, ein zweites Gleis wiederherzustellen, dann im Mannheimer Norden die Zugzahlen zu erhöhen und danach zu schauen, wie die Güterzüge auf den Bestandsstrecken ihren Weg durch die Stadt finden. Es wird immer klarer, dass das nicht die nachhaltige Perspektive sein kann.

Neue Planken, Glückstein- und Kepler-Quartier, T 4/T 5 - entweder die Bauarbeiten sind beendet oder befinden sich auf der Zielgeraden. Können die Mannheimer jetzt etwas durchschnaufen?

Wenn man die Konversionsgelände mit einbezieht, werden uns die Bauprojekte noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, also die kommenden fünf bis sechs Jahre, sehr stark beschäftigen. Beim Glücksteinquartier ist das Baufeld zwei noch gar nicht verkauft, Baufeld drei beginnt jetzt, Baufeld eins in absehbarer Zeit. 2023 wird der Grünzug Nord-Ost hergestellt sein. Franklin wird 2025 zwar noch nicht fertig sein, man wird den neuen Stadtteil aber gut erkennen.

Zum Schluss noch eine sportliche Frage. Wo landet der SV Waldhof in seiner ersten Drittliga-Saison?

Ich traue dem SV Waldhof auf jeden Fall zu, dass er sich deutlich in der oberen Tabellenhälfte platziert.

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