Dracula - Feuer und Flamme für einen Blutsauger
Graf Dracula treibt bei den Heidelberger Schlossfestspielen sein Unwesen - Die Gagmaschine läuft dabei auf hohen Touren

Auf seiner Fledermaus-Kanzel an der Fassade des Bibliotheksbaus: Raphael Gehrmann als Dracula bei den Heidelberger Schlossfestspielen. Foto: Sebastian Bühler
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Irre kommen irre gut auf der Bühne oder der Leinwand. Das weiß man spätestens seit "Einer flog über das Kuckucksnest", Dürrenmatts "Physikern" oder Peter Weiss’ Revolutionsstück "Marat/Sade". Auch in Bram Stokers Schauerscharteke über den unverwüstlichen Graf Dracula ist irre was los und das wird jetzt bei den Heidelberger Schlossfestspielen lustvoll ausgeschlachtet. Gagatainment ist garantiert, zum Gruseln taugt die "Dracula"-Fassung des Heidelberger Chefdramaturgen Jürgen Popig aber weniger. Ihm kommt es auf kichernde Zwerchfellerschütterungen an, nicht auf Gänsehautgefühle.
Genauso sieht das auch Christian Brey. Der Regisseur hat schon des Öfteren den komödiantischen Sirup mit großer Kelle ausgeschenkt. Diesmal verköstigt er sein Publikum mit Blut, diesem schon von Mephisto geschätzten "ganz besondren Saft". Der mephistophelische Dracula hat ihn zum Süffeln gern. Und die bissbrünstigen Ladys sind ganz wild auf den sanguinischen Lüstling, weil der Flattermann die Mund-zu-Hals-Behandlung so verführerisch gut beherrscht. Beim ersten Mal, da tut’s noch weh, beim zweiten Mal schrei’n sie Juchhe.
Da behaupte noch einer, die Briten seien während des viktorianischen Zeitalters ganz schrecklich prüde gewesen. Von wegen! "Da war unverhüllte Wollust, gleichzeitig abstoßend und erregend", wie es in Bram Stokers Original heißt, nachzulesen im Programmheft. Wobei die Einschränkung erlaubt sei, dass sich die Ensemblemitglieder keineswegs unverhüllt zeigen. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Anette Hachmann hat allesamt adrett eingekleidet. Ihre nostalgischen Wallegewänder, Irrenhaus-Zwangsjacken, Zylinderhüte oder Fledermausflügel kämen bestimmt auch bei einer transsilvanischen Modenschau oder auf einem Catwalk in good old Brexitland ganz prima zur Geltung.
Raphael Gehrmann spielt den untoten Titelhelden, der sein heimisches Gruselgemäuer verlässt, um fortan in London sein Unwesen treiben zu können. Als Gepäck hat er sieben Särge voll Friedhofserde dabei. Doch die tagtägliche Grabesruhe darin sei ihm nicht gegönnt. Dafür steht der Vampirjäger Professor van Helsing mit den bewährten Utensilien: ganz viel Knoblauch, Weihwasser-Fläschchen und Kruzifixe. Sein holländischer Akzent kontrastiert hervorragend mit dem rollenden Balkan-R des Blutsaugers. Marco Albrecht mimt den Dracula-Töter wie einen zweiten Sherlock Holms. Immer eine Spur überdreht, immer ein bisschen überkandidelt. Er versteht sich auch auf Bluttransfusionen und den neuesten technischen Krimskrams der vorletzten Jahrhundertwende. Da kann Dracula (in Anspielung auf ein Buchcover) noch so geschickt die Schlossmauern herabklettern oder seine bärbeißige Dämonie entfalten, am Ende heizt ihm van Helsing dennoch effektvoll ein.
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Sophie Melbinger, Lisa Förster und Nicole Avercamp haben als Ladys und Vampirinnen den richtigen Biss, während Fabian Oehl und Benedict Fellmer ins bewährte Rollenfach der Trottelfraktion greifen dürfen. Olaf Weißenberg schließlich hat als Anstaltsinsasse Renfield seine Spinnen und Fliegen zum Fressen gerne, wobei er mit irrem Blick ganz wunderbar zu chargieren versteht. Dass in vielen Szenen dick aufgetragen und mit rollenden Augen gekalauert wird, ist den weiten Dimensionen im Schlosshof geschuldet. Die Gags müssen auch ganz hinten noch ankommen.
Die von Tobias Cosler geleiteten "Kinder der Nacht" sorgen für den adäquaten Sound mit Keyboard-Georgel, Klarinetten-Kieksern und Cello-Pizzicati. Die haben was drauf, die Jungs. Und weil alles so schön locker sein soll, wird zwischen den Reihen auch noch mit Wassermelonen gealbert, und obendrein gibt’s eine Lektion über das Schloss als "bedeutendstes Fledermausquartier Nordbadens". So schlägt man aus dem Lokalkolorit Funken. Da staunt sogar Graf Dracula, bevor er in seiner letzten Szene zum flambierten Blutsauger mutiert. Anschließend ist die Tausendschaft im Schlosshof ganz Feuer und Flamme.
Info: Weitere Vorstellungen am 5., 7., 11., 12., 14., 15., 23., 24. u. 30. Juli, jeweils 20.30 Uhr.