Den "Posern" ist der Spaß vergangen
Wie ein kleines Team von Ermittlern den PS-Protzern in Mannheim das Handwerk legte - Beschwerden stark zurückgegangen

Die Mannheimer Verkehrspolizisten Ralf Mayer (l.) und Michael Schwenk wurden durch ihren Kampf gegen die "Poser" sogar berühmt. Es gab kaum einen Sender, der die beiden nicht auf ihren Touren durch die Innenstadt begleitete. Foto: Anspach
Von Alexander Albrecht
Mannheim. Als die Ermittler im Sommer 2016 den Kampf gegen PS-Protzer in Mannheim aufnahmen, hätten sie nicht zu träumen gewagt, dass sie einmal zu "Fernsehstars", Buchautoren, Vorbilder für Polizisten in anderen Städten und gefragten Referenten bei Fachtagungen werden. Die Aktionen habe es sogar ins Museum geschafft.
Die "Poser": Junge Männer, 20 bis 30 Jahre alt. Gestylt und selbstbewusst, meist südländischer Herkunft. Sie lassen ihre "Lieblinge" bei der Fahrt durch die Kunststraße oder Fressgasse in Mannheim ohrenbetäubend laut aufheulen. Und brausen mit quietschenden Reifen davon. Für die Fahrer ist das der "Kick", alkoholisiert oder von Drogen berauscht sind sie in der Regel nicht. Anwohner dagegen bringt der Höllenlärm aus dem Auspuffrohr zur Verzweiflung - und um den Schlaf. Die Kennzeichen LU, HD und HP zeigen, dass es in der Mannheimer Szene einen regelrechten Tourismus gibt.
Die Jagd: Für Verkehrspolizist Ralf Mayer ist im Sommer 2016 klar: "Wir müssen etwas tun." Und es werde nur über einen Weg gehen: "Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle" aller auffälligen oder krachmachenden Autos. Im August geht ein kleines eingeschworenes Team - die sechsköpfige Ermittlungsgruppe "Poser" - mit Unterstützung der Stadt an den Start. Mayer und sein Kollege Michael Schwenk begeben sich mittwochs bis zum "Saturday Night Fever" auf die Jagd. "Gefühlt 1000 lange Nächte" verbringen nur diese beiden Ermittler zwei Jahre lang im Zivil-Dienstwagen.
Die Technik: Einen Satz hören die Beamten hunderte Male: "Hab‘ ich so gekauft, ist alles original." Von wegen: Mitunter röhren die Luxuskarossen so laut, dass sich der Gutachter bei der Dienststelle in der Hochuferstraße neben einem startenden Düsenjet wähnt. Der Experte entdeckt manipulierte oder zusätzlich eingebaute Auspuffanlagen, zum Teil mit Klappensteuerung, Soundsystemen und "Dezibel-Killern". Oder mit Abgasrohren, die dreieckig oder quaderförmig ausgefräst worden sind.
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Die Strafen: Fahrer, die mindestens zweimal lärmend erwischt werden, erhalten zunächst eine "Gelbe Karte" in Form eines Schreibens, verbunden mit der Aufforderung "Stop Posing!" und der Androhung weitergehender Sanktionen. Wer danach immer noch auffällt, kassiert ein Zwangsgeld. "Wenn man 1000 Euro oder mehr bezahlen muss, setzt der Erziehungseffekt schnell ein", weiß der Mannheimer Verkehrspolizeichef Dieter Schäfer. In manchen Fällen erlischt sogar die Betriebserlaubnis. Zeitweise stehen wie bei einer Tuningmesse bis zu zehn aufgemotzte Schlitten auf dem Hof der Polizei.
Die Resonanz: Zahlreiche Zeitungen und Fernsehteams berichten über die Ermittlungsgruppe. "Es gab kaum einen Sender, der nicht bei uns im Auto saß", erinnert sich Ralf Mayer, der wie sein Kollege Michael Schwenk auf Youtube beinahe schon Promistatus genoss. Ein auf der Videoplattform veröffentlichter TV-Beitrag wurde über eine Million Mal angeschaut, ein anderer schaffte mehr als 500.000 Klicks. Es gab sogar "Poser", die das Polizisten-Duo um ein Autogramm baten. Die Aktionen gegen die Angeber waren so erfolgreich, dass sie es ins Museum schafften - als Teil einer Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn.
Die Lektüre: Im Dezember 2018 hat Ralf Mayer ein Buch über den Kampf gegen die PS-Protzer veröffentlicht. Das lesenswerte, auch für Laien verständliche und mit Humor gewürzte 160-Seiten-Werk "Die Poser-Jäger" gewährt tiefe Einblicke in die Arbeit der Ermittler. Erschienen ist es im Verkehrsverlag Fischer und kostet 16,50 Euro.
Die Bilanz: Nach zweieinhalb Jahren wird die Ermittlungsgruppe im September 2018 aufgelöst. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Waren 2016 innerhalb von zwei Monaten noch 553 Beschwerden von Anwohnern der "Poser-Meilen" bei der Polizei gelandet, erhöhte sich die Zahl 2017 auf 650. Im vergangenen Jahre gingen "nur" noch 328 Meldungen bei den Beamten ein, also lediglich die Hälfte. An 79 Tagen (Vorjahr: 101) wurden 1006 Fahrzeuge (2017: 1284) kontrolliert. In 163 Fällen erlosch die Betriebserlaubnis (Vorjahr: 223). 81 Autos (2017: 112) wurden vorläufig außer Betrieb gesetzt. Auch die Zahl der Ordnungswidrigkeiten sank von 294 in 2017 auf 253.
"Bei uns hat sich jetzt wieder ein Fernsehteam angemeldet", erzählt Dieter Schäfer. "Ich fürchte jedoch, dass wir denen nicht viel bieten können", ergänzt der Verkehrspolizeichef und freut sich. Denn die Zahl der Beschwerden in der Stadt sei weiter rückläufig. Wobei sich Schäfer nicht auf den Lorbeeren ausruhen will. Nach wie vor meldeten sich Anwohner über die Sozialen Netzwerke bei der Polizei mit der Bitte, an der Szene "dran zu bleiben".
Die Fachtagung: In dieser Woche hat Schäfer einen viel beachteten Vortrag bei der Veranstaltung "Krach oder Klang? - Laute Fahrzeuge im Straßenverkehr" im Umweltbundesamt gehalten. Beeindruckt hat die Verkehrsexperten vor allem ein juristischer Kniff. Inzwischen stehen bei den "Posern" ab Werk getunte AMG-Mercedes hoch im Kurs. Kopfzerbrechen bereitete Ermittlern bundesweit, dass die Soundanlagen zwar sehr laut, aber zulässig sind. Hier konnte Schäfer mit dem "Mannheimer Modell" punkten. Dieses orientiert sich an einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1977. Danach kann ein Polizist frei entscheiden, ob der Krach unnötig ist. Und das ist er in den meisten Fällen - nicht nur in Mannheim.