"Gefühlt 1000 lange Nächte"

Die Poser-Szene hat Respekt vor ihren Jägern

Der Polizist Ralf Mayer hat ein Buch über den Kampf gegen Autoposer in Mannheim geschrieben

09.12.2018 UPDATE: 10.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 17 Sekunden

"Höllenlärm aus dem Auspuff": Die Beamten bei einer Kontrolle von "Autoposern" in Mannheim im Sommer 2016. Foto: Gerold

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Cordon bleu mit Pommes auf dem Teller, doch statt Besteck den Kugelschreiber und das Notizbuch in der Hand. Ein warmer Sommertag 2016: Die Polizisten Ralf Mayer und Michael Schwenk sitzen vor einem Lokal an der Mannheimer Kunststraße. Das Essen wird kalt. "Bin ich nur von Verrückten umgeben?", fragt sich Mayer damals und kommt wie sein Kollege mit dem Schreiben kaum noch hinterher.

Die Beamten erhalten zum ersten Mal einen unverstellten Blick auf die sogenannte Autoposer-Szene. Junge Männer, 20 bis 30 Jahre alt, gestylt und selbstbewusst, meist südländischer Herkunft, die ihre Daimler oder BMW ohrenbetäubend laut aufheulen lassen und mit quietschenden Reifen davonbrausen.

Polizist und Autor Ralf Mayer. Foto: Gerold

Für die Fahrer ist es der "Kick", Anwohner dagegen bringt der Höllenlärm aus dem Auspuffrohr zur Verzweiflung - und um den Schlaf. Für Mayer und Schwenk ist danach klar: "Wir müssen etwas tun", und es wird nur über einen Weg gehen: "Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle" aller auffälligen oder krachmachenden Autos.

Zweieinhalb Jahre später hat Ralf Mayer ein Buch über den Kampf gegen die PS-Protzer geschrieben. Das lesenswerte, auch für Laien verständliche und mit Humor gewürzte 160-Seiten-Werk "Die Poser-Jäger" ist ab sofort im Handel erhältlich und gewährt tiefe Einblicke in die Arbeit der Ermittler.

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Mayer beschreibt zudem anschaulich und mit vielen Einsatzbildern, wie die "Poser" ihre Autos technisch manipulieren, schildert Gespräche mit Vertretern der Szene, Anwohnern und einem Sachverständigen.

Hintergrund

Bilanz der "Poser-Jäger": Nach zweieinhalb Jahren ist die Ermittlungsgruppe Ende September dieses Jahres aufgelöst worden. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Waren 2016 innerhalb von zwei Monaten noch 553 Beschwerden von Anwohnern der "Poser-Meilen" -

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Bilanz der "Poser-Jäger": Nach zweieinhalb Jahren ist die Ermittlungsgruppe Ende September dieses Jahres aufgelöst worden. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Waren 2016 innerhalb von zwei Monaten noch 553 Beschwerden von Anwohnern der "Poser-Meilen" - Kunststraße und Fressgasse - bei der Polizei gelandet, erhöhte sich die Zahl 2017 auf 650. In diesem Jahr gingen "nur" noch 328 Meldungen bei den Beamten ein. An 79 Tagen (Vorjahr: 101) wurden 1006 Fahrzeuge (1284) kontrolliert. In 163 Fällen erlosch die Betriebserlaubnis (Vorjahr: 223). 81 Autos (112) wurden vorläufig außer Betrieb gesetzt. Auch die Zahl der Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten sank: von 294 in 2017 auf 253 in diesem Jahr. Wie die Polizei 2019 agiert? Da hält es Autor Ralf Mayer mit "Kaiser" Franz Beckenbauer: "Schau’n mer mal."

Die Resonanz in den Medien: Zahlreiche Zeitungen und Fernsehteams haben über die "Poser-Jäger" berichtet. "Es gab kaum einen Sender, der nicht bei uns im Auto saß", sagt Mayer, der wie sein Kollege und Vorgesetzter Michael Schwenk auf Youtube beinahe schon Kult- und Promistatus genießt. Ein auf der Videoplattform veröffentlichter TV-Beitrag wurde über eine Million mal angeschaut, ein anderer schaffte mehr als 500.000 Klicks. Die Kehrseite des "Ruhms": Die Szene wusste recht schnell Bescheid, wenn Mayer und Schwenk zum nächsten Einsatz aufbrachen. Keine zehn Minuten später habe ein "Poser" seine Kumpels via Facebook informiert.

Die Reaktionen in der Szene: Mit ihrer hemdsärmeligen Art schafften es Mayer und Schwenk, sich Respekt bei ihrer Klientel zu verschaffen. In dem Buch findet sich das "Poser"-Zitat: "Herr Mayer, Sie haben mir gerade mein Liebstes weggenommen, Sie haben aber korrekt gehandelt. Cooler Bulle!" Widerstand oder Beleidigungen hätten beide nicht erlebt, erklären Mayer und Schwenk unisono. Einen Satz haben die Polizisten nach eigenen Angaben "tausendmal" gehört: "Hab’ ich so gekauft, ist alles original." alb

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Und er skizziert die Erfolgsgeschichte eines kleinen eingeschworenen Teams. Die 2016 entstandene, sechsköpfige "Ermittlungsgruppe Poser", zu jener der Autor als Mitglied und Schwenk in der Führungsrolle gehören, begibt sich mittwochs bis bis zum "Saturday Night Fever" auf die Jagd. "Gefühlt 1000 lange Nächte" haben Mayer und Schwenk bis zum Spätsommer dieses Jahres gemeinsam im Zivil-Dienstwagen verbracht.

Regelmäßig gehen den beiden "Poser" ins Netz, deren Autos die zulässigen Dezibel-Grenzen überschreiten. Und die dann bei der Dienststelle in der Hochuferstraße vorfahren müssen, wo ein Gutachter die Gefährte untersucht. Mitunter röhren die Luxuskarossen so laut, dass sich der Experte und die Beamten neben einem startenden Düsenjet wähnen. Der Sachverständige bekommt es zu tun mit manipulierten oder zusätzlich eingebauten Auspuffanlagen, teilweise mit Klappensteuerung, mit Soundsystemen und "Dezibel-Killern". Oder mit Abgasrohren, die dreiecks- oder quaderförmig ausgefräst worden sind.

Einige Fahrer werden wegen Ordnungswidrigkeiten belangt, für andere wird es richtig teuer. Bei diesen Autos wird das Auto außer Betrieb gesetzt oder die Betriebserlaubnis erlischt sogar ganz. Zeitweise stehen wie bei einer Tuningmesse bis zu zehn aufgemotzte Wagen auf dem Hof der Polizei.

"Als ich 1981 als junger Polizeibeamter meinen Streifendienst versah, gab mir mein damaliger Schichtführer folgenden Satz auf den Weg: ,Lieber Ralf, merke Dir Folgendes: Immer wenn Du polizeiliche Maßnahmen gegenüber dem Bürger ergreifst, muss er sich am Schluss dafür bedanken. Wenn Du das schaffst, hast Du alles richtig gemacht", schreibt Mayer in seinem Buch. Und es gibt sie tatsächlich: dankbare "Poser". Ein bestrafter Dezibel-Protzer trifft den Autor später wieder in der Stadt und meint: "Vier Monate war mein Auto weg, es hat mich eine Menge Geld gekostet und meine Freundin war auch nicht immer rücksichtsvoll zu mir. Glaubens Sie mir, es war schon eine Lehre für mich." Die Leiden eines Geläuterten. Dann fragt er Mayer noch nach einem Selfie.

Andere kontrollierte junge Männer bitten um ein Autogramm. Sie haben im Internet alle Videos der Streifenfahrten von Mayer und Schwenk gesehen. "Das passiert einem Polizisten vielleicht ein Mal im Leben. Ich war echt sprachlos in dem Moment, und das kommt bei mir höchstselten vor", sagt Mayer.

Info: Ralf Mayer: "Die Poser-Jäger", Verkehrsverlag Fischer, 160 Seiten, ISBN978-3-87841-837-5, 16,50 Euro.

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