Wie das Bauhaus vor 100 Jahren Architektur und Gestaltung revolutionierte
Weiß, rechteckig und licht - Credo der Funktionalität und der Freiheit

Von Harald Raab
Berlin. Bauhaus ist mehr als eine Adresse für Do-it-yourself-Handwerker. Vor 100 Jahren wurde der Weltruhm eines ganz anderen Bauhauses in Weimar begründet. Ein großes Experiment in der deutschen Provinz, eine Inspirationsquelle für die gestalterische Moderne von Architektur, Städtebau, Möbeldesign, Lampen bis hin zu Stoffkreationen, Bühnengestaltung und auch Mode. Die faszinierenden Impulse entwickelten internationale Strahlkraft - bis heute.
Wer sich aktuelle Neubauviertel ansieht, findet das Bauhaus-Credo quicklebendig. Die vereinfachte Formel lautet: weiß, rechteckig, licht. Dieser Dreiklang wurde ein Synonym für die Architektur der Moderne. Nicht verschwiegen werden darf, dass die Funktionalität des industriellen, zweckrationalen, auf Rendite erpichten Wohnungsbaus mit preisoptimierter Serienherstellung auch ein Kind, wenn auch ein missratenes, der Bauhaus-Zielsetzung ist. Plattenbau unseligen DDR-Angedenkens inklusive.
Wer verstehen will, was das Bauhaus war und welche Bedeutung es für die Entwicklung der Moderne hatte, muss Staubablagerungen aus Mythos und Missverständnissen beiseite räumen. In erster Linie, dass es einen autonomen Bauhausstil gegeben habe oder noch gibt. Die Wahrheit ist: Bauhaus ist kein Stil, sondern eine Idee vom rationalen, sozialen und ästhetischen Bauen und Gestalten. Dahinter steht die Maxime einer Ausbildung als Selbstfindungsprozess hin zur Kreativität und zur Zusammenführung von Kunst und Handwerk, und später auch von Kunst und Technik.
Ein zweiter Mythos: Was die Institution Bauhaus ausgezeichnet hat, sind originäre Erfindungen des Gründungsdirektors Walter Gropius und seiner Mitstreiter der ersten Stunde. Richtig ist: Vieles ist bereits im Dunstkreis des Deutschen Werkbunds vor dem Ersten Weltkrieg gedacht und propagiert worden.
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Das bleibende Verdienst des Bauhauses ist jedoch, dass all das Neue konsequent erprobt und die Ideen mit viel Geschick als Initialzündung der Moderne in der öffentlichen Wahrnehmung, wie auch der Kunstgeschichtsschreibung platziert worden sind.
Um das Phänomen Bauhaus und seine Gründung begreifen zu können, darf man die Zeitumstände nicht außer Acht lassen. Frühjahr 1919. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, eben vorbei. Elend und Not in Deutschland. Die Republik, die man die Weimarer nannte, weil die Verfassung in der ehemaligen großherzoglichen Residenzstadt in Thüringen beschlossen worden ist, war alles andere als gefestigt. Von rechts wie links wurde sie bekämpft.
Das gesellschaftliche Klima war aufgeheizt. Politische Parteien und Verbände rangen brutal um Vorherrschaft. Sekten, Reformer, Weltverbesserer, Anthroposophen, Heilslehrer, Gesundbeter mischten eifrig mit. Alle wollten die Welt an ihrem Wesen genesen lassen.
In dieser geistig-sozialen Gemengelage bekam der 35-jährige Walter Gropius den Auftrag, das Staatliche Bauhaus in Weimar zu gründen. Als Nachfolgeeinrichtung der großherzoglichen Kunsthochschule und der Kunstgewerbeschule, die Henry van de Velde geleitet hatte.
Gropius (1883-1969) stammte aus einer großbürgerlichen Architektendynastie, hat aber sein Architekturstudium nie abgeschlossen. Er sagte selbst, dass er gar nicht in der Lage sei, eine gerade Linie aufs Papier zu bringen. Er ließ seine Entwurfsideen, die er oft in Rede und Gegenrede entwickelte, von anderen zeichnen. Trotzdem oder gerade deswegen wurde er früh ein begnadeter, visionärer Architekt.
Gropius hatte Charisma. Er trat überzeugend auf und war beliebt bei den Frauen. Die Femme fatale dieser Zeit, Alma Mahler, die ihn später geheiratet hat, offenbarte frivol: "Er gefiel mir nicht übel. Ich wurde gewaltsam die Beute dieses Mannes."
Gropius arbeitete zusammen mit Mies van der Rohe als Assistent beim Chefdesigner der AEG in Berlin. Mit seinem ersten großen Auftrag, einem neuen Gebäude der Schuhleistenfabrik Fagus-Werke in Alfeld, wurde er überregional bekannt. Man sagte Gropius nach, er kreiere "Ideengebilde, aus denen Häuser werden konnten".
Der Ruf nach Weimar eröffnete Gropius, der sich als Revolutionär des Bauens verstand, ein ersehntes Betätigungsfeld, quer zum akademischen Mainstream. Er besaß die erforderliche Tatkraft, alle Vorstellungen des Deutschen Werkbunds von einer praxisnahen Ausbildung zu realisieren. Er postulierte im Rückblick: "Das Bauhaus erstrebte die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen: Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk."
Sein Motto für das Bauhaus und auch für seine Architektur war: "Vermeidung alles Starren, Bevorzugung des Schöpferischen, Freiheit der Individualität."
Entsprechend offen war das Studium. In einem zweisemestrigen Vorkurs zur Entfaltung der individuellen Kreativität wurden Materialkunde und die Prinzipien der Produktgestaltung gelehrt. Alles betont spielerisch. Es folgten sechs Semester in einer der Werkstätten: für Ton, Holz, Stein, Metall, Glas, Gewebe, Farbe und grafische Gestaltung sowie Bühne. Die Professoren hießen Meister, die Studierenden Lehrlinge.
Es mutet paradox an, dass das Bauhaus in seinen Weimarer Jahren keine Architektenausbildung angeboten hat. Die gab es erst nach dem erzwungenen Umzug nach Dessau 1925.
Der idealistische Rationalist Gropius war so souverän, dass er starke Künstlerpersönlichkeiten ans Bauhaus berief, die mit Architektur wenig bis gar nichts zu tun hatten: Wassily Kandinsky, Paul Klee, den Esoteriker Johannes Itten, Oskar Schlemmer, Lionel Feininger, Josef Albers, Georg Muche oder Lazlo Moholy-Nagy. Sie waren allesamt Maler, sowie den Bildhauer Gerhart Marcks.
Die einzige Meisterin in dem erlesenen Kreis der renommierten Männer war Gunta Stölzl. Sie leitete die Weberei. Die meisten Bauhausschülerinnen wurden ihrer Werkstatt zugeteilt, propagierte Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen hin oder her.
Die braven Bürger Weimars waren schockiert ob der Freizügigkeit und Libertinage in der Lehr-und Lern-Kommune. Ständig wurden bizarre Feste gefeiert - die auch noch zum Lehrprogramm gehörten. In der Weimarer Zeitung gab es einen Aufruf an die Eltern, sie sollten nicht ihre Söhne und erst recht nicht ihre Töchter in das "undeutsche" Bauhaus schicken, einen Ort der Sittenverderbnis, wo so viele uneheliche Beziehungen gepflegt würden. Die Lehrmethoden könnten nur in Geisteskrankheit enden.
Die Bauhäusler lebten isoliert in dem biederen, rechtsnationalen Weimar. Die Haare der Studenten waren lang, die Röcke der Studentinnen kurz. Man badete nackt in der Ilm, trieb allerhand kultischen Hallodri in der Öffentlichkeit, feierte ein heidnisches Weihnachtsfest und tauchte zu Ostern den Lichtkörper in kaltes Quellwasser, veranstaltete Laternenumzüge und Maskenfeste und ließ gräuliche Papierdrachen steigen.
Gropius musste Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Man warf ihm Landesverrat und Unterschlagung vor und verdächtigte ihn kommunistischer Umtriebe. 1924 kürzte die neu gewählte konservativ-nationalistische Regierung Thüringens den Etat um 50 Prozent. Das war das Aus für das Bauhaus in Weimar.
Gropius nahm das Angebot der sozialdemokratisch dominierten Stadt Dessau an. 1925 erfolgte der Umzug, zumal der Flugzeugbauer Hugo Junkers großzügige Unterstützung zusicherte. 1926 war das neue, von Gropius entworfene Bauhaus-Gebäude, mit einem vollständig verglasten Werkstattflügel fertig, heute zusammen mit den Meisterhäusern ein Unesco-Weltkulturerbe.
In Dessau setzte eine intensive Zusammenarbeit mit Industrie und Technik ein. Der Bauhaus-Sessel, ein Freischwinger aus Stahlrohr, wurde zum stilprägenden Verkaufsschlager, entwickelt von Marcel Breuer, Mart Stam und Ludwig Mies van der Rohe.
1928 gab Gropius die Leitung des Bauhauses auf. Sein Nachfolger wurde der Schweizer Architekt Hannes Meyer, der tatsächlich kommunistische Gesellschaftsvorstellungen vertrat. Seine Parole: Volksbedarf statt Luxusbedarf. Meyer verlegte den Ausbildungsschwerpunkt auf Architektur und ihr Potenzial zu einer industriellen Ausführung der Bauwerke. Der allzu linke Meyer wurde jedoch vom Dessauer Oberbürgermeister am 1. August 1930 fristlos entlassen.
Als letzter Direktor trat Ludwig Mies van der Rohe sein Amt an. Er gab sich kompromissbereit gegenüber dem heraufziehenden Nationalsozialismus. Die Nazis hatten bereits 1931 im Dessauer Stadtrat die Mehrheit erlangt. Obwohl Mies van der Rohe Solidaritätsbekundungen gegenüber Joseph Goebbels unterzeichnete, beschloss der NS-beherrschte Stadtrat Dessaus 1932 die Schließung des Bauhauses. Der Versuch, das Bauhaus als private Einrichtung in Berlin weiterzuführen, scheiterte 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten endgültig.
Die Bauhausideen lebten in Bau- und Lehrkonzepten weiter - als "International Style" mit seiner nüchternen Formensprache in den USA. Dorthin waren Gropius, Mies van der Rohe, Moholy-Nagy und andere ins Exil gegangen. Besonders Gropius hat mit seiner Professur in Harvard Generationen von jungen Architekten den Weg gewiesen. Moholy-Nagy leitete in Chicago das "New Bauhaus", heute ein Institut für Design.
Nur Hannes Meyer hatte sich nach Moskau vor den Nazis in Sicherheit gebracht. Bei den stalinistischen Säuberungen rettete er sich 1936 durch die Flucht in die Schweiz. Seine Lebensgefährtin wurde verhaftet und erschossen. Die mexikanische Regierung berief ihn 1939 in die Leitung des Instituts für Städtebau und Planung in Mexiko-City.
Die größte Siedlung nach Bauhausprinzipien entstand in den 30er-Jahren in Tel Aviv. Jüdische Bauhausschüler haben rund 4000 Gebäude in dem Geist der Einfachheit gebaut, der in Weimar und Dessau gelehrt worden war.
Wie breit die Bauhausinspirationen ausgestrahlt haben, wird an einem Extrem deutlich. Der Bauplaner des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, Fritz Ertl, war ebenfalls Bauhaus-Schüler. Er betrieb sein Verständnis von Funktionalismus bis hin zum industriellen Massenmord.
Das Bauhaus-Erbe war eben nicht nur großartig, lichtdurchflutet und von Humanismus geprägt. Auch das sollte bei allen Verdiensten um Bau und Design zum 100. Jubiläum des Bauhauses nicht vergessen werden.



















