Neckargemünd

Warum das Modehaus von Dieter Leist für immer schließt

Im RNZ-Interview erklärt Leist das Aus und ob der Einzelhandel im Stadtzentrum noch eine Chance hat

12.12.2018 UPDATE: 13.12.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 46 Sekunden

Freuen sich auf mehr Zeit füreinander: Dieter Leist konnte in seinem Modehaus auch auf die Unterstützung seiner Frau Bärbel zählen. Foto: Alex

Von Christoph Moll

Neckargemünd. Leist - dieser Name steht in der Stadt am Neckar wie kaum ein anderer für den Einzelhandel in der Innenstadt. Doch dies wird bald ein Ende haben. Nach über 160 Jahren Firmengeschichte schließt das Mode- und Textilhaus am Marktplatz zum Ende des Jahres seine Pforten. Das ist unübersehbar. "Total-Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe" steht es Weiß auf knalligem Rot an den Schaufenstern. Im RNZ-Interview erklärt der 67-Jährige, warum er aufhört, was mit dem Laden passiert und wie es in Neckargemünd als Einzelhandelsstandort weitergehen kann.

Herr Leist, der Ausverkauf läuft. Wie sieht es in Ihnen aus?

Nach der ersten wirklich turbulenten Woche bin ich jetzt eher entspannt. Es geht ja für mich jetzt auch in Richtung eines etwas weniger stressigen Lebens. Der Räumungsverkauf wird wohl bis Ende des Jahres, vielleicht noch bis Anfang oder Mitte Januar laufen. Insbesondere am ersten Tag des Räumungsverkaufs für Stammkunden wurden wir förmlich überrannt. Diesen Ansturm hatten wir eigentlich erst später erwartet. Jeden Tag kommen jetzt Kunden und teilen mir mit, wie sehr sie die Schließung bedauern und dass sie eigentlich gar nicht wüssten, wo sie sich denn in Zukunft einkleiden könnten. Neckargemünd ohne Leist, das ginge ja gar nicht. Na ja, ich sage ihnen dann, dass sie auch hernach bestimmt nicht nackt herumlaufen müssen!(lacht).

Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Auch interessant
Edeka-Zoff: Wird der neue Markt in Neckargemünd auf Eis gelegt?
Kaufkraftanalyse: Beim Einzelhandel in Leimen und Neckargemünd kommt wenig an

Ein Herzinfarkt mit Herzstillstand vor zweieinhalb Jahren, den ich nur durch eine gottgegebene Fügung überlebt habe, hat mir deutlich vor Augen geführt, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Seither bin ich auf der Suche nach einem Nachfolger. Da meine beiden Söhne das Geschäft nicht übernehmen wollen, muss ich jetzt eine externe Lösung finden. Wir haben sie auch nie gedrängt, dies zu tun. Mein Vater ist übrigens mit 89 Jahren noch im Geschäft gewesen. Dies will ich tunlichst vermeiden.

Hintergrund

Das Modehaus Leist blickt auf eine über 160-jährige Geschichte zurück. Es wurde im Jahr 1852 von Jacob Heinrich Leist gegründet, dem Urgroßvater des jetzigen Inhabers Dieter Leist. Nach ihm ist die angrenzende Jacobsgasse benannt. Im Angebot waren neben Kurz-

[+] Lesen Sie mehr

Das Modehaus Leist blickt auf eine über 160-jährige Geschichte zurück. Es wurde im Jahr 1852 von Jacob Heinrich Leist gegründet, dem Urgroßvater des jetzigen Inhabers Dieter Leist. Nach ihm ist die angrenzende Jacobsgasse benannt. Im Angebot waren neben Kurz- und Textilwaren unter anderem Lebens- und Genussmittel, Gewürze, Rauchwaren, Spirituosen, Schreibwaren, Farben und Drogerieartikel.

Im Jahr 1900 übernahm Sohn Georg Julius Leist die Geschäftsleitung und machte aus dem Gemischtwarenladen ein Textil-Spezialgeschäft. Nach seinem Tod im Jahr 1925 führte seine zweite Ehefrau Helene mit den Kindern Walther und Irmgard aus Leists erster Ehe das Geschäft weiter.

In der schwierigen Zeit der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs stand Helene Leist eine Frau zur Seite, die in Neckargemünd nur als "Frau Hilde" bekannt war. Nach dem Krieg und Gefangenschaft übernahm Walter Leist im Jahr 1948 das Geschäft.

In den 60er und 70er Jahren erweiterte er dank des Wirtschaftswunders das Geschäft auf die vierfache Größe und machte das Textilkaufhaus "I. H. Leist" daraus - wobei das "I" ein "J" für Jacob sein sollte.

Im Jahr 1985 übernahm der jetzige Inhaber Dieter Leist das Geschäft in vierter Generation. Er vergrößerte den Laden erneut und spezialisierte sich auf Damenoberbekleidung. (rnz)

[-] Weniger anzeigen

Wie geht es mit dem Laden weiter?

Die Immobilie ist Teil meiner Altersversorgung und ich möchte diese gerne verkaufen. Es gab und gibt Interessenten, aber ich möchte Konkretes erst sagen, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Natürlich wäre mir die Übernahme des Geschäfts durch einen Einzelhändler - sei es mit Mode, Schuhen, Sportartikel oder oder oder - am allerliebsten. Er könnte das Ladenlokal so wie es ist unkompliziert übernehmen und fortführen. Aber auch ein gastronomisches Konzept wäre denkbar. Der Marktplatz könnte durchaus ein Bistro vertragen, das von morgens bis abends geöffnet ist. Dies würde bestimmt für Belebung sorgen. Leider öffnet der derzeit am Marktplatz agierende Gastronom erst gegen Abend, sodass der schönste Platz Neckargemünds leider nach wie vor tagsüber tot ist, was ich immer sehr bedauert habe. Schauen Sie doch nur mal Ladenburg, Weinheim oder Schwetzingen an: An deren Marktplätzen gibt es jeweils mindestens fünf gastronomische Betriebe, die alle florieren. Dort ist immer die Hölle los.

War es von Anfang an Ihr Ziel, dass Sie einmal das Geschäft übernehmen?

Nein, es war nicht mein Plan hier einzusteigen. Allerdings hatte ich den langjährigen Familienbetrieb immer im Hinterkopf. Im Jahr 1979 stand ich dann vor der Wahl: Meinem damals schon 70-jährigen Vater ging es gesundheitlich nicht so gut und Kaufhof, bei dem ich nach Wehrdienst und BWL-Studium eine Geschäftsführer-Ausbildung machte, wollte mich von München nach Wesel versetzen. Ich habe mir Wesel angeschaut, war ziemlich abgeschreckt und habe mich dann für den elterlichen Betrieb in Neckargemünd entschieden. Anfangs war ich bei meinem Vater angestellt und 1985 habe ich das Geschäft übernommen.

Sie haben einiges verändert.

Ja, wir haben damals groß umgebaut und das Sortiment umgestellt. Bis dahin waren wir ein Vollsortimenter mit Mode, einer Sport- und einer Bettenabteilung inklusive einer Bettfedernreinigung und Skiservice. Ich sage immer: Wir hatten vom Hosenknopf bis zum Rennski alles. Meine Aufgabe war es, zu eruieren, welche Sortimentsteile nun überhaupt zum wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes beitrugen. Im Lauf der Jahre sind wir dann zum Spezialisten für modische Damenoberbekleidung geworden - ein im Nachhinein gesehen richtiger Weg.

Wie hat sich die Situation des Einzelhandels in den vergangenen Jahren in Neckargemünd verändert?

Die Bedingungen sind schwieriger geworden: Früher waren sämtliche Läden und auch Ämter in der Altstadt. Die Bürger mussten für ihre Besorgungen in die Altstadt und haben dort für Leben gesorgt. Dann wurden in Neckargemünd - wie übrigens fast überall - die gleichen Fehler gemacht: Der Lebensmittel-Einzelhandel wanderte auf die grüne Wiese und auch die Ämter zog es in die Peripherie - mit der fatalen Folge, dass die Innenstädte nicht mehr frequentiert wurden. Aber die Zeit ist nicht mehr zurückzudrehen und wir müssen mit diesen Problemen zurechtkommen. Überdies steht der kleinere Einzelhandel unter Druck, weil er - im Gegensatz zu den "Großen" - so gut wie keine Kommissionsware von Lieferanten erhält. Erschwerend hinzu kommt das Online-Geschäft, das nicht nur uns Kleinen, sondern dem gesamten stationären Einzelhandel das Leben immer schwerer macht.

Wie sehen Sie die Zukunft für Neckargemünd als Einzelhandelsstandort?

Neckargemünd hat durchaus Chancen. Es gilt, die Kaufkraft am Ort zu halten. Schwierig genug, wenn man in der Peripherie von zwei attraktiven Großstädten liegt. Es wird nur dann einigermaßen gelingen, wenn sich die Gewerbetreibenden auf die Hinterbeine stellen. Ein Einzelhandelsstandort muss funktionieren wie ein Einkaufszentrum. Dies betrifft unter anderem den Branchenmix, einheitliche Öffnungszeiten, gute Parkmöglichkeiten und viel, viel Werbung sowohl des Einzelnen als auch des Standorts. Es bedarf einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, Gewerbetreibenden und Gewerbeverein.

Sie waren von 1985 bis 2008 Vorsitzender des Gewerbevereins. Wie sehen Sie dessen Rolle heute?

Der Verein ist rege und aktiv, obwohl derzeit kein Einzelhändler mehr im Vorstand vertreten ist. Es bedarf allerdings auch der aktiven Mithilfe der einzelnen Mitglieder, um den vorhandenen Aktivitäten zum Erfolg zu verhelfen. Und hier sehe ich leider ein nicht unerhebliches Defizit. Der Abendbummel am jeweils ersten Freitag im Monat ist eine tolle Sache und sollte noch forciert werden. Aber er alleine reicht nicht aus und weitere gute Aktionen wären wünschenswert. Veranstaltungen wie das Altstadtfest sind gute Ansätze. Übrigens sollte der Weihnachtsmarkt wieder auf den Marktplatz zurückkehren, um so die Altstadt wieder zu beleben, was ja ursprünglich von seinen Gründern beabsichtigt war.

Wie sehen Sie die Rolle der Stadt?

Die Stadt muss die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Arbeiten der Gewerbetreibenden schaffen. Hier nur ein Aspekt: Beim Umbau der Hauptstraße wurden breite Gehwege geschaffen, die den Autofahrer zum Falschparken geradezu einladen. Die Folge davon sind ärgerliche Strafzettel, die wiederum zu einem unberechtigt schlechten Image Neckargemünds, was das Parken angeht, beitragen. Mein Vorschlag wäre nun, an diesen neuralgischen Stellen schöne Sandsteinblumentröge zu platzieren, um den Autofahrer schon gar nicht in die Versuchung kommen zu lassen, dort zu parken. Viel Ärger könnte man damit umgehen. Im Übrigen bin ich froh, dass mit Frank Volk ein ehemaliges Vorstandsmitglied des Gewerbevereins ins Bürgermeisteramt eingezogen ist, der die Probleme des Gewerbes kennt und der ein offenes Ohr für das Gewerbe hat.

Zurück zu Ihnen: Auf was freuen Sie sich als Rentner besonders?

Ich bin gespannt, was kommt. Wir bleiben hier über dem Geschäft wohnen. Um das Rentnerleben etwas zu strukturieren, möchte ich mir vielleicht noch eine neue Aufgabe suchen, die mir Spaß macht. Ansonsten bin ich ja noch ehrenamtlich im Tennisclub als Schatzmeister tätig. Außerdem spiele ich dort in der Seniorenmannschaft und habe noch einen großen Garten. Meine Frau wird Anfang der nächsten Sommerferien ihren Dienst am Gymnasium in Neckarelz quittieren. Dann werden wir hoffentlich auch mal eine längere Reise unternehmen können, denn bislang waren zu ihrem Leidwesen 14 Tage das höchste der Gefühle.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.