Der "erste Klatscher ins Gesicht von Sauber-Deutschland" kam aus Heidelberg (plus Video)
Jan Delay und Samy Deluxe sprachen bei Popakademie-Symposium mit "Torch" über die Anfänge des deutschen Hip-Hops

Prominente Gäste (v.l.): Jan Delay und Samy Deluxe diskutierten in der Jungbuschhalle mit Moderator Falk Schacht, Frederik Hahn und Linguistik-Professor Jannis Androutsopoulos. Foto: vaf
Von Frederick Mersi
Heidelberg/Mannheim. Frederik Hahn hebt den linken Zeigefinger. Gerade hat Jan Delay, einer der bekanntesten Rapper der Republik, infrage gestellt, dass Hahns Gruppe "Advanced Chemistry" im Heidelberg der frühen 90er wirklich "Straßenrap" gemacht hat. "Was wir damals gemacht haben, hat den Leuten, mit denen wir zu tun hatten, Angst gemacht", sagt Hahn, als Rapper unter dem Namen "Torch" bekannt. Samy Deluxe stimmt zu: "Das war der erste Klatscher ins Gesicht von Sauber-Deutschland."
Hahn hatte am Wochenende zum ersten Hip-Hop-Symposium in die Popakademie Mannheim geladen - und mit den beiden Rappern aus Hamburg zwei prominente Diskussionspartner für die Frage "Heidelberg - ein Mekka für Rapper?" gewonnen. Schließlich wurden in Heidelberg die Grundlagen für deutschen Hip-Hop gelegt: "Advanced Chemistry" nahmen hier 1992 mit "Fremd im eigenen Land" eine der ersten erfolgreichen Rap-Singles auf Deutsch auf, etwa vier Jahre später wurden die "Stieber Twins" zu neuen Stars der Szene.
Auch Jan Delay und Samy Deluxe, deren Alben im neuen Jahrtausend mehrfach Gold-Status erreichten, eiferten als Jugendliche den Heidelberger Hip-Hop-Pionieren nach. "Ich hatte das erste Demo von ,Advanced Chemistry’", sagt Jan Delay. "So konnte ich meinen Kumpels zeigen: Rap auf Deutsch - das kann gehen." Zuvor hatte sich Hip-Hop-Kultur auch in Deutschland weitgehend auf die englische Sprache beschränkt, wie Jannis Androutsopoulos, Professor für Linguistik und ebenfalls Podiumsgast, bestätigt.
"Das war ein Demo-Tape, aber in unserer Fantasie war das eine Veröffentlichung", sagt Hahn. "Auf der Kassette stand noch durchgestrichen ,Michael Jackson’", unterbricht Delay. Die jungen Zuhörer im voll besetzten Saal der Jungbuschhalle lachen mit ihm, Rap-Vater Torch nicht. Der 47-jährige Sohn eines Deutschen und einer Haitianerin hat Hip-Hop immer ernst genommen und Backstage auch mal mit erhobenem Zeigefinger verteidigt, in den 90ern führte das zu Konflikten mit Ulk-Gruppen wie den Fantastischen Vier aus Stuttgart. Heute setzt sich Hahn dafür ein, dass deutscher Rap als Kulturgut ernst genommen und erforscht wird.
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Mannheim bietet ihm dafür ein Forum - im Gegensatz zu seiner Heimatstadt. Das könnte sich bald ändern: 20.000 Euro will die Stadtverwaltung Heidelberg im kommenden Jahr für ein Hip-Hop-Archiv einplanen. Die Idee dazu hatten Hahn und sein Rapper-Kollege Toni Landomini (Toni L.) schon 2011 geliefert.
Darauf angesprochen zeigte sich Hahn nach der Podiumsdiskussion aber wenig optimistisch. "Es hat einen Grund, weshalb wir das Ganze heute hier in Mannheim gemacht haben", sagt er und fügt nach einer kurzen Pause an: "Es mangelt an Ideen dafür, das sollen dann möglichst alles wir als Künstler machen. Dafür habe ich keine Zeit."
Dabei herrscht bei allen Diskussionen an diesem Samstag auf der Bühne Einigkeit, dass Heidelberg in der Entstehung des Deutsch-Raps eine wichtige Rolle gespielt hat. Linguistik-Professor Androutsopoulos führt dies unter anderem auf eine deutsche Tradition der dezentralen Standorte im Kulturschaffen zurück. Dennoch seien die Reaktionen auf deutschen Hip-Hop in den 90ern zunächst "schockiert" gewesen, erzählt Hahn. "Wenn wir Battle-Rap auf Deutsch gemacht haben, mussten wir erst mal erklären, worum es dabei geht."
Für die beiden Hamburger Jugendlichen Jan Eißfeldt und Samy Sorge war es - wie für viele andere - eine Initialzündung. 15 Jahre später sagt Jan Delay, dass in Sachen Deutsch-Rap niemand an Heidelberg vorbeikäme - selbst wenn man die Stadt nicht mögen würde. "Heidelberg ist im Hip-Hop die South Bronx für Deutschland." Wo alles seinen Anfang nahm. Ob Hahns Heimatstadt das in Zukunft würdigen will, muss sich aber noch zeigen.