Heidelberg

Der Dalai Lama und das Aneinandervorbeireden (plus Fotogalerien und Video)

Der 83-Jährige fordert "echte Liebe", nur so würden alle Menschen glücklich - 1400 Gäste erlebten ihn in der Stadthalle - Gespräch mit den Forschern missglückte

20.09.2018 UPDATE: 21.09.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 31 Sekunden

Der Dialog des Dalai Lama mit den Wissenschaftlern in der Stadthalle gestaltete sich über weite Strecken schwierig. Mit Hirnforscherin Hannah Monyer klappte es noch am besten. Foto: Helmut R. Schulze

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Gut 1400 Menschen wurden am Donnerstag in der Stadthalle Zeugen einer vollkommen missglückten Kommunikation. Da verstand keiner keinen: die Wissenschaftler den Dalai Lama nicht, er sie erst recht nicht. Kaum eine Frage wurde beantwortet, das Aneinandervorbeireden wurde schon fast zur Kunstform. Auch die Zuschauer hatten große Mühe, das radebrechende Englisch des großen Tibeters - häufig mehr gebrummelt, als gesprochen - zu entziffern.

Doch das ist nur eine Sichtweise auf diesen Morgen, der in die Geschichte der Stadt eingehen wird. Denn erstmals kam der rund um den Globus - mit der großen Ausnahme China - hochgeachtete Friedensnobelpreisträger nach Heidelberg. Als er nach genau vier Stunden wieder abfuhr, war klar geworden: Die Aura des 83-Jährigen wirkt ganz unabhängig von seinen Worten.

"Guten Morgen, Brüder und Schwestern", begrüßt der Dalai Lama die stehend applaudierenden Heidelberger, als er in die Stadthalle kommt und auf seinem mit einem weißen Tuch bedeckten, großen Sessel Platz nimmt. Was dann kommt, ist keine Rede. Es sind die ganz lose und oft leise vorgetragenen Gedanken eines Mannes, der es gewohnt ist, häufig das Gleiche zu sagen und deshalb gerne abschweift, um sich selbst nicht zu langweilen.

Der 83-Jährige erzählt anekdotisch, beendet Gedankengänge abrupt oder wechselt mitten im Satz kurz ins Tibetische - zur Überraschung seines Übersetzers, der anfangs noch nicht einmal ein Mikrofon hat. Doch die Basis der Dalai Lama’schen Philosophie ist glasklar und simpel: "Auf diesem Planeten leben sieben Milliarden Menschen - sie alle wollen ein glückliches Leben." Der Buddhist will, dass alle gemeinsam dafür arbeiten, dass jeder Mensch dieses glückliche Leben auch erreicht. Der Kraft der Religion vertraut er dabei nicht: "Es bringt nichts, nur zu beten, wir müssen arbeiten!" Die Zuhörer klatschen, erleichtert über den pointierten, verständlichen Satz. Leben in die Bude kommt ansonsten vor allem, wenn der Dalai Lama sein weltberühmtes, kehliges Lachen lacht - auch wenn nicht immer ganz klar ist, was er so lustig findet.

Auch interessant
Stadthalle: So lief der Tag mit dem Dalai Lama in Heidelberg (plus Video)
Der Dalai Lama im Interview: "Ethik ist wichtiger als Religion"
Dalai Lama in Heidelberg: Seine Heiligkeit macht einen Blitzbesuch

Was also ist das Rezept des geistlichen Oberhaupts der Tibeter, um alle Menschen glücklich zu machen? "Echte Liebe." Er meint Liebe, die über den Nächsten hinausgeht, Liebe, die den (vermeintlichen) Feind mit einschließt - in seinem Fall also die Chinesen.

Die Liebe zum Partner, zu den Kindern, Eltern und Freunden: Das ist für den Dalai Lama keine solche echte Liebe, weil sie "nur" aus der persönlichen, emotionalen Verbindung zum Gegenüber herrührt. Zu viele, zu tiefe Gefühle? Findet er nicht gut, das brächte nur Ärger, Wut und Hass. Echte, sozusagen leidenschaftslose Liebe aber entstehe aus allgemeinem Mitgefühl - für alle sieben Milliarden Erdenbürger.

Hintergrund

Warum Würzner zu spät kam

Es war ein absurder Moment: Fast zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung schlich sich Oberbürgermeister Eckart Würzner auf seinen Platz in der ersten Reihe der Stadthalle. Das DAI hatte angekündigt, dass er das Grußwort

[+] Lesen Sie mehr

Warum Würzner zu spät kam

Es war ein absurder Moment: Fast zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung schlich sich Oberbürgermeister Eckart Würzner auf seinen Platz in der ersten Reihe der Stadthalle. Das DAI hatte angekündigt, dass er das Grußwort hält - doch das übernahm dann Integrationsbürgermeister Wolfgang Erichson.

Wenn der Dalai Lama irgendwo auf der Welt auftritt, übt China im Vorfeld in aller Regel Druck auf die jeweilige Stadt oder den Staat aus. Die Regierung verurteilt jeglichen Kontakt zu dem Exil-Tibeter. Besonders brisant: Seit diesem Jahr hat Heidelberg mit Hangzhou eine chinesische Partnerstadt. Zudem soll auf einem Teil der Patton Barracks ein chinesisch-deutscher "Hightech-Park" entstehen.

Auf RNZ-Nachfrage, warum Würzner später kam, erklärte ein Stadtsprecher: "Er konnte für die Begrüßung leider nicht rechtzeitig in Heidelberg sein." Der OB sei noch auf dem Rückweg aus Berlin gewesen, wo Heidelberg am Mittwoch als "digitale Vorreiterstadt" ausgezeichnet wurde. Würzner und der Dalai Lama tauschten sich aber bei einem gemeinsamen Mittagessen in einem Nebenraum der Stadthalle aus - laut dem Sprecher etwa über das Engagement vieler Heidelberger für Flüchtlinge.

Auf konkrete Nachfrage sagte der Sprecher: "Es gab keinen Druck durch Unternehmen." Heidelberg stehe mit seiner langen Tradition als Wissenschaftsstadt unverkennbar für einen offenen Diskurs mit unterschiedlichsten Ansichten. (rie)

[-] Weniger anzeigen

Auch den Weg zu dieser Art weltumspannenden Liebe skizziert der 83-Jährige, der seit fast 60 Jahren im Exil in Indien lebt. "Der Mensch hat von Natur aus sehr viel Mitgefühl." Doch in vielen Bildungssystemen werde dieses den Kindern abtrainiert und gelehrt, Intelligenz nur für den eigenen Vorteil zu nutzen.

Der Dalai Lama macht mit einem Handstreich Kapitalismuskritik, ohne den Kapitalismus auch nur zu erwähnen. Er findet: "Wir brauchen Bildung, die auf Basis der Wissenschaft den Menschen einen Sinn für die Einheit aller Menschen vermittelt." Religion könne diese Rolle nicht erfüllen, sagt der religiöse Führer, nur die Wissenschaft könne das.

Soweit, so gut. Der Mann hat eine Botschaft: Sie ist einfach, aber wichtig, denn seine Worte haben weltpolitisches Gewicht. Doch dann kommt der Teil, der im Programm des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI), auf dessen Einladung der Dalai Lama in Heidelberg ist, als "Diskussion" angekündigt wird. Das DAI hatte eigentlich eine gute Idee: Drei Heidelberger Forscher sprechen mit dem Dalai Lama. Spirituell-moralische Autorität trifft rational-knallharte Wissenschaft. Das kann nur spannend werden. Doch es geht schief.

Hintergrund

Ein Oberhaupt zum Anfassen

Der Dalai Lama legt eigentlich Wert auf Zeitpläne. Doch obwohl er mit 20 Minuten Verspätung an der Stadthalle ankam, ging er nicht sofort hinein. Stattdessen nutzte das geistliche Oberhaupt der Tibeter die Gelegenheit, fast

[+] Lesen Sie mehr

Ein Oberhaupt zum Anfassen

Der Dalai Lama legt eigentlich Wert auf Zeitpläne. Doch obwohl er mit 20 Minuten Verspätung an der Stadthalle ankam, ging er nicht sofort hinein. Stattdessen nutzte das geistliche Oberhaupt der Tibeter die Gelegenheit, fast jedem der rund 70 Menschen - die meisten Exil-Tibeter -, die am Hintereingang auf ihn gewartet hatten, die Hand zu schütteln oder die Wange zu tätscheln. Der Dalai Lama war ganz in seinem Element: Er machte Späße, lächelte für Selfies in Handykameras. Ein Exiltibeter brach vor Freude in Tränen aus - und auch ein Polizist war begeistert: "Solche Momente sind die Höhepunkte meines Jobs." (dns)

[-] Weniger anzeigen

Da stellt der Alternsforscher Andreas Kruse eine lange, komplizierte Frage über das Konzept der Grenzsituation in Karl Jaspers’ Existenzphilosophie. Aber der Dalai Lama versteht - auch nach Rücksprache mit dem Übersetzer - nur das Wort "Grenze". Als Kruse nachfasst, muss der Dalai Lama passen: "Also mir ist Ihre Frage immer noch nicht ganz klar, aber okay", und sagt dann einfach: "Von Ihrem Standpunkt aus bin ich nicht ich, sondern du, aber von meinem Standpunkt aus bin ich ich." Dann lacht er sein wirklich sensationelles kehliges Lachen, der Saal lacht mit.

Der Astrophysiker Matthias Bartelmann versucht es etwas klarer: Welches moralische Prinzip soll die Wissenschaft anwenden? Und: Wie wichtig ist Demut für Forscher? Der Dalai Lama antwortet zwar, aber auf ganz andere Fragen. Ob es nur ein Sprachproblem ist, oder auch daran liegt, dass die Forscher und der Dalai Lama sich auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus bewegen, bleibt ein Rätsel.

Besser klappt es bei der Hirnforscherin Hannah Monyer, die weiß, dass Menschen - wie alle sozialen Tiere - stets eher jenen helfen, die ihnen nahestehen. Sie fragt: "Wie können wir dieses evolutionäre Erbe überwinden?" Im Unterschied zu Tieren, antwortet der Dalai Lama, habe der Mensch eine Intelligenz, mit der er sein Verhalten analysieren könne. Damit könne er einfach erkennen, dass alle Menschen glücklich sein wollen und entsprechend handeln.

Der Friedensnobelpreisträger erkennt, dass diese Diskussion viele in der Stadthalle, auch ihn selbst, verwirrt zurücklässt. "Versucht, Mitgefühl zu haben, versucht, glücklich zu sein - und nicht wie die Professoren, die immer so kompliziert sind", sagt er ganz offen - und lacht sein unverwechselbares Lachen, um die Spannung rauszunehmen.

Bevor er geht, hat er noch eine letzte wichtige Botschaft: Die Heidelberger sollen sich nicht so viel sorgen, sich entspannen und nicht so viel Wein trinken. Aber der Dalai Lama wäre nicht der Dalai Lama, wenn er nicht am Ende noch sagen würde: "Ein bisschen Wein ist aber okay. "

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.