Flüchtlinge

Wird Heidelberg freiwillig aus dem Mittelmeer Gerettete aufnehmen?

Verwaltung und Sozialausschuss sind für freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen - Gemeinsamer Appell mit anderen Großstädten

19.09.2018 UPDATE: 20.09.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Der Sozialausschuss sprach sich jetzt dafür aus, Heidelbergs Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten gegenüber der Bundeskanzlerin kundzutun. Dieses Foto von fröhlichen Flüchtlingskindern entstand im Ankunftszentrum des Landes im Patrick-Henry-Village. Foto: Rothe

Von Denis Schnur

Heidelberg. In einem waren sich die Stadträte einig: Der Beschluss, den der Ausschuss für Soziales und Chancengleichheit am Dienstag mit großer Mehrheit gefällt hat, ist ein symbolischer Akt - nur über dessen Notwendigkeit herrschte Uneinigkeit. Übernimmt der Gemeinderat den Beschluss am 18. Oktober, schließt sich Heidelberg einem Appell einiger deutscher Großstädte an, in dem die europäischen Regierungen aufgefordert werden, schnellstmöglich eine Lösung für die Seenotrettung im Mittelmeer zu finden. Bisher haben Bonn, Düsseldorf, Köln, Berlin und Freiburg den Appell unterzeichnet - und sich bereit erklärt, freiwillig gerettete Geflüchtete aufzunehmen.

Nun muss man wissen, dass es derzeit kein Verfahren gibt, dass es Städten direkt ermöglicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Nur die Bundesregierung kann zusätzliche Menschen ins Land lassen, diese werden dann auf die Bundesländer verteilt. Bietet eine Stadt wie Heidelberg die freiwillige Aufnahme von mehr Menschen an, führt das lediglich dazu, dass andere baden-württembergische Kommunen weniger Flüchtlinge zugeteilt bekommen. Der Ausschuss beschloss daher auf Vorschlag der Verwaltung, dass Oberbürgermeister Eckart Würzner in einem Brief an die Bundeskanzlerin signalisiert, dass "Heidelberg im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit ist, freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen".

Hintergrund

Die Unterkünfte: Die Unterkunft in der Hardtstraße in Kirchheim, in der bis zu 300 Menschen unterkommen, existiert seit den 90er Jahren. In der Henkel-Teroson-Straße (Pfaffengrund) gibt es seit 2006 Platz für 160 Menschen. Ende 2014 zogen 100 Flüchtlinge in

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Die Unterkünfte: Die Unterkunft in der Hardtstraße in Kirchheim, in der bis zu 300 Menschen unterkommen, existiert seit den 90er Jahren. In der Henkel-Teroson-Straße (Pfaffengrund) gibt es seit 2006 Platz für 160 Menschen. Ende 2014 zogen 100 Flüchtlinge in ein Haus in den Patton Barracks, mittlerweile leben dort deutlich weniger Menschen. Im Herbst 2015 zogen 50 Flüchtlinge in das ehemalige Hotel Metropol in Bergheim, seit Juni 2017 bietet ein Haus in Ziegelhausen Platz für 30 Menschen. Im August 2017 wurde die neu gebaute Unterkunft für 66 Personen "Im Weiher" (Handschuhsheim) bezogen.

Freiwillig hat sich die Stadt Heidelberg im März 2017 bereit erklärt, Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive im Rahmen des Relocation-Programms der Europäischen Union aufzunehmen. Seither kamen 50 Menschen nach Heidelberg. (rie/dns)

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"Es ist ein Zeichen, das gebe ich gerne zu", sagte Mia Lindemann, Vorsitzende des Heidelberger Asylarbeitskreises, im Ausschuss, "aber es ist ein wichtiges politisches Zeichen". Lindemann meinte: "Wir zeigen damit: Wir sind ein Land, das sich nicht abschottet. Ich würde Heidelberg sehr gerne in der Reihe dieser Städte sehen." Unterstützung bekam sie von rund 20 Ehrenamtlichen und Anhängern der Seebrücke-Initiative, die sich gegen die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung im Mittelmeer richtet.

Auch die Verwaltung sowie fast alle Fraktionen sprachen sich für den Antrag aus, den Linke und Piraten eingebracht hatten. Lediglich die beiden CDU-Räte sahen das Vorhaben skeptisch: "Wir dürfen nicht suggerieren, es würde durch diesen Beschluss auch nur ein Mensch mehr gerettet", betonte Alexander Föhr (CDU). Und da es in Baden-Württemberg derzeit keine Kapazitätsprobleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen gebe und Heidelberg bereits viel tue, sehe er keinen Grund für dieses Symbol. Im Gegenteil: Am Ende nutze es womöglich der AfD, deren Vertreterin im Ausschuss am Dienstag fehlte: "Dann kann ein Herr Niebel (AfD-Stadtrat, Anm. d. Red.) wieder seinen Dreck ins Stadtblatt kotzen und das Thema ausschlachten." Entsprechend stimmten Föhr und Matthias Kutsch zwar für den Appell zur Seenotrettung, aber gegen die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen. Der Rest des Ausschusses - mit Ausnahme der FDP, die sich noch nicht beraten hatte und sich bei der Aufnahme enthielt - stimmte für den Antrag.

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Heidelberg hat sich in den letzten Jahren auf die Aufnahme von Geflüchteten vorbereitet - etwa durch den Bau neuer Unterkünfte -, ist aber wegen der Zwischennutzung von Patrick-Henry-Village als Ankunftszentrum derzeit noch von der Zuweisung ausgenommen. "Wohnungen, die nicht bewohnt werden, nutzen niemandem", erklärte Sahra Mirow (Linke). Und auch Peter Holschuh (Grüne) betonte: "In den Unterkünften stehen Räumlichkeiten leer." Und Stadtrat Hans-Martin Mumm (Grün-Alternative Liste) betonte, dass in Heidelberg schon lange Menschen aus vielen Ländern zusammenleben: "Wir haben Integrationserfahrung. Das sollten wir weitergeben."

Darüber hinaus sahen die Stadträte das Zeichen, das man mit einem solchen Appell setzt, positiv: "Die Stimmung in Deutschland entwickelt sich in eine Richtung, die einfach gruselig ist", erklärte Mirow mit Blick auf die Ereignisse in Chemnitz. Dem müsse man etwas entgegensetzen. "Wir glauben, dass Symbolpolitik manchmal einen großen Wert hat", betonte auch Sandra Detzer (Grüne). Schon lange sei klar, dass die europäische Flüchtlingspolitik gescheitert sei, Länder wie Italien seien völlig überlastet: "Das führt dazu, dass die ihre Häfen zumachen. Das kann ich völlig nachvollziehen." Nun werde man das natürlich nicht von Heidelberg aus lösen, aber es wäre eben ein Zeichen, "dass wir auf der Seite derer stehen, die eine langfristige Lösung wollen. Und es wäre ein Symbol gegen die Illiberalen und die Autoritären".

Karl Emer (SPD) verglich den Vorstoß mit der Klimapolitik in den USA, wo sich Städte und Bundesstaaten gegen die Regierung Trumps stellen. "Es ist mehr als ein Symbol, es geht um das tatkräftige Handeln der Kommunen." Ähnlich argumentierte Hilde Stolz (Bunte Linke): "Die Hoffnung bleibt, dass sich mehr Städte anschließen, dass der Druck auf die Regierungen wächst und dass es dann mehr als ein Symbol ist." Wenn Heidelberg irgendwann eine von vielen Städten sei, die eine humane Flüchtlingspolitik und sichere Fluchtrouten fordern, müsse die Politik reagieren.

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