"Das nächste Boot, das nehmen wir"
Damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende hat: Über 400 Demonstranten beteiligten sich am Samstag an der Seebrücken-Demonstration

In die Farbe der Rettungswesten gekleidet, zogen die Demonstranten des Bündnisses "Seebrücke" durch Heidelberg. Foto: Joe
Von Sara Wess
Heidelberg. Zum wiederholten Male demonstrierten Heidelberger am Samstag gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Bereits Anfang Juli hatten rund 300 Bürger die Herstellung sicherer Fluchtwege sowie eine menschenwürdige Aufnahme Geflohener gefordert. Als Initiator der bundesweiten Proteste gilt das Bündnis "Seebrücke", welches seit Ende Juni mehr als hunderttausend Menschen zu Demonstrationen in deutschen Städten mobilisieren konnte.
Sie gingen für nicht weniger als "das Allerselbstverständlichste der Welt" auf die Straße: "Menschenleben retten", verkündet Elisa Stowe (Bewegung DiEM25) zu Beginn der Demonstration am Thermalbad. "Wir leben in einem Europa der Abschottung." Die Konsequenz? "Seit 2014 sind mehr als 17.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Ganz Handschuhsheim, einfach tot."
Während sich die mediale Aufmerksamkeit längst auf andere Themen richte, gehe das Sterben im Mittelmeer weiter, nun unbeobachtet. Eine reiche Stadt wie Heidelberg könne und müsse mehr tun, als die gesetzlichen Auflagen es verlangten. "Heidelberg soll ein sicherer Hafen werden!", fordert Stowe und verkündet: "Das nächste Boot, das nehmen wir!"
Die Demonstranten antworten mit lautem Beifall, dann setzt sich der Zug in Bewegung. Viele der Anwesenden tragen orangefarbene Kleidung, zeigen sich solidarisch in der Farbe der meist fehlenden Rettungswesten. Die Plakate verkünden eindeutige Botschaften: "Jeder hat das Recht auf einen sicheren Hafen", "Seebrücke statt Seehofer" und "Seenotrettung ist kein Verbrechen", was gleichzeitig auch die Parole der Demonstration ist.
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Am Bismarckplatz passieren die Demonstranten einen Informationsstand der AfD. Für ein paar Minuten bleiben sie stehen. Sie rufen laut: "Nationalismus raus aus den Köpfen!" Die rund zehn Parteimitglieder und Interessenten am Stand zeigen sich unbeeindruckt, dann zieht der Zug weiter. Viele Passanten bleiben stehen und stimmen in den Sprechgesang mit ein, vereinzelt lassen Bewohner der Altstadt orangefarbene Tücher aus den Fenstern hängen.
Eine der etwa 460 Demonstrierenden ist Uta Frenzel. Die Eppelheimerin trägt ein Schild mit der Aufschrift "Shame on you, EU" (zu Deutsch: Schäme dich, EU). "Wir brauchen offene Grenzen", fordert Frenzel und fügt kopfschüttelnd hinzu: "Wer sind wir, uns über Menschenleben zu erheben?" Es ist das erste Mal, dass die 59-Jährige an einer Seebrückenkundgebung teilnimmt.
"Wir gehen sonst eigentlich nicht auf Demos", sagt auch die 37-jährige Hanna, die mit Mann und dreijährigem Sohn mitläuft, "aber hier wollen wir ein Zeichen setzen." Noch immer betroffen sei sie vom Schicksal des vor Bodrum ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan, dessen Bild im September 2015 um die Welt ging. Die Demonstrantin wischt sich Tränen aus den Augen, dann fügt sie hinzu: "Gerade, wenn man eigene Kinder hat, ist dieses Thema wichtig. Es kann doch nicht sein, dass Leute einfach ertrinken."
Ihren Abschluss findet die Demonstration nach rund zweieinhalb Stunden am Universitätsplatz. Alles sei absolut friedlich und diszipliniert verlaufen, so der polizeiliche Einsatzleiter Volker Jungkind nach der Veranstaltung. Mit rund 30 Einsatzkräften sei das Polizeiaufkommen zwar leicht erhöht gewesen, mit Ausschreitungen habe man jedoch nicht gerechnet. Die Veranstaltung am Samstag war - nach der ersten Seebrücken-Demonstration im Juli mit 300 Teilnehmern und der "Wir sind mehr"-Solidaritätsveranstaltung Anfang September mit mehr als 1000 Teilnehmern - die dritte große Demonstration in kurzer Zeit. Die Teilnehmerzahlen der jüngsten Seebrücken-Demo zeigen: Von Politikverdrossenheit ist in Heidelberg nichts zu spüren.



