"Seenotrettung ist kein Verbrechen"
300 Menschen demonstrierten in Heidelberg für sichere Fluchtwege und den Schutz von Menschenleben - Passanten applaudierten

Vom Universitätsplatz gingen die Demonstranten am Samstag durch die Hauptstraße bis zum Bismarckplatz. Dabei skandierten sie immer wieder Sätze wie "Seebrücke statt Seehofer". Foto: Philipp Rothe
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Was seit Jahren im Mittelmeer passiert, schlägt auch in Heidelberg hohe Wellen: Rund 300 Menschen demonstrierten am Samstag in der Altstadt gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung und forderten von der Politik sichere Einreisewege für Flüchtlinge und den wirksamen Schutz von Menschenleben. Das Bündnis "Seebrücke" hatte zur Demonstration aufgerufen - auch in Berlin, Frankfurt, Hannover und vielen anderen deutschen Städten versammelten sich insgesamt Tausende.
Der Heidelberger Student Hannes Haas war selbst auf einem Schiff der Seenotretter von "Sea-Watch" und an haarsträubenden Rettungsaktionen beteiligt. "Wenn man sterbende Menschen sieht, ist es etwas anderes, als die Zahlen in der Zeitung zu lesen", sagt der 27-Jährige. Haas hat die Demonstration in Heidelberg organisiert und fordert: "Menschenleben müssen über politischen Erwägungen stehen." Bevor die ersten Redner um 14.30 Uhr die Tribüne auf dem Universitätsplatz betreten, erzählt Haas von dem Zusammentreffen mit der libyschen Küstenwache bei seinem Einsatz. "Sie haben ins Wasser geschossen und sind mit gezogenen Waffen über das Rettungsfloß gelaufen - das hat Panik ausgelöst", so der 27-Jährige.
Doch die freiwilligen Helfer setzen sich auch anderen Risiken aus: So steht der Kapitän der Lifeline, einem anderen Rettungsschiff, das - mit über 200 Flüchtlingen an Bord - in keinen Hafen einlaufen durfte, in Malta vor Gericht. Die Situation auf dem Mittelmeer hat sich verschärft, nachdem die italienische Seenotrettungsmission "Mare Nostrum" beendet wurde. Stattdessen patrouillieren heute Schiffe der europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Frontex, die EU-Außengrenze. Das Budget, das nun von allen europäischen Staaten getragen wird, beträgt mit 30 Millionen Euro jährlich weniger als ein Drittel von "Mare Nostrum". "Es geht offensichtlich nicht um Menschenrechte", ruft Haas den Demonstranten zu, die immer wieder lautstark buhen, wenn es um die aktuelle Grenzpolitik Europas geht.
Dann macht sich der Demonstrationszug mit Bannern und Schildern durch die Hauptstraße auf in Richtung Bismarckplatz. "Seehäfen auf - Seehofer Ciao" oder "Menschlichkeit statt Abschottung" ist darauf zu lesen. Bunte-Linke-Stadtrat Arnulf Weiler-Lorentz hält ein schlichtes Schild mit Artikel Eins des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die Demonstranten skandieren Sätze wie "Seenotrettung ist kein Verbrechen" - und auch: "Seehofer ist ein Verbrecher".
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Passanten bleiben stehen, manche applaudieren, andere heben den Daumen, um ihre Unterstützung auszudrücken. Lily Schäfer und Debra Fray sind Touristen aus den USA, wo seit Trump die Lage an der mexikanischen Grenze eskaliert und Kinder von ihren Eltern getrennt werden. "Wir hassen ihn", ruft Fray, während Schäfer tief traurig ist: "Die Menschen sollen wissen, dass nicht alle Amerikaner Tiere sind", sagt sie und wischt sich eine Träne aus dem Auge. "Ich konnte nie verstehen, wie Hitler an die Macht gekommen ist - jetzt verstehe ich es", fügt die Anwältin hinzu. Fray fasst zusammen: "Wir sind die neuen Nazis."
Auch Coskun Aydin sieht die Entwicklungen rund um Flüchtlinge kritisch: "Heute werden die Menschenleben nicht mehr gesehen", stellt der gebürtige Türke fest. Er selbst kam vor 40 Jahren in Heidelberg an und erinnert sich: "Damals waren die Leute offener." Der Mannheimer hätte am liebsten noch mehr Teilnehmer bei der Demonstration gesehen: "Das ist noch zu wenig", findet der 54-Jährige. Allerdings war die Demonstration nur fünf Tage vorher angekündigt worden.
Am Bismarckplatz wird noch ein Grußwort aus Malta verlesen, wo die Lifeline-Retter festgesetzt sind. Einer von zehn stirbt auf dem Mittelmeer, schreiben sie. Allein in diesem Jahr sollen schon 1355 Menschen bei der Flucht ertrunken sein.



