Gewerbe-Gegner schießen aus allen Rohren
Kritiker einer Erschließung der Hinteren Mult machen der Stadt heftigste Vorwürfe - "Wir werden behandelt wie kleine Kinder"

Vertreter der "Schutzgemeinschaft Hintere Mult", der Bürgerinitiative "Schützt die Breitwiesen und die Weinheimer Feldflur", des Vereins "Landerlebnis Weinheim" und des Bauernverbands hatten ins Büro der Gewerkschaft IG BCE eingeladen, um Tacheles zu reden. F.: Dorn
Von Günther Grosch
Weinheim. "Dampf ablassen" und "Druck aus dem Kessel nehmen", das wollen nach eigenem Bekunden beide Seiten. Doch so lange die Verwaltung nicht "auf Augenhöhe" kommuniziert und "wir nicht wie Erwachsene, sondern wie kleine Kinder behandelt werden", scheinen alle Bemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilt, machen Ingrid Hagenbruch, Arnulf Tröscher, Thomas Bosch, Fritz Pfrang, Iris Großhans und Stefan Kellner aus ihrem Frust darüber keinen Hehl.
Vergangene Woche hatten die Verwaltungsspitze mit Oberbürgermeister Heiner Bernhard, dem Ersten Bürgermeister Torsten Fetzner und Kastor Höhn vom Amt für Stadtentwicklung zum Pressegespräch gebeten. Dabei hatten die Verwaltungsvertreter vor allem "Sachlichkeit" in der Auseinandersetzung um die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes "Hintere Mult" angemahnt.
Als Reaktion darauf luden am Dienstagnachmittag die Vertreter der "Schutzgemeinschaft Hintere Mult", der Bürgerinitiative "Schützt die Breitwiesen und die Weinheimer Feldflur", des Vereins "Landerlebnis Weinheim" und des Bauernverbands zur Verdeutlichung ins Gewerkschaftsbüro der IG BCE Weinheim ein, um die eigenen Standpunkte zu verdeutlichen.
Wie sehr es allerdings weiterhin brodelt, wurde ebenso schnell deutlich. Gleich in mehreren Punkten widersprach Rechtsanwältin Ingrid Hagenbruch den Ausführungen der Verwaltungsspitze: Die von der Verwaltung eingeleiteten Verfahrensschritte seien nicht richtig, so die Juristin.
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Der vorgelegte 180-seitige "einseitig dargelegte Faktencheck" in der Vorlage für die nächste Ratssitzung am 18. April treffe in vielen Fällen eben nicht zu, sagt Hagenbruch. Unter anderem fehlen ihr Aussagen zur Gewerbesteuer. Bei den Ersatzflächen, die betroffenen Bauern in Aussicht gestellt wurden, handele es sich um eine "Mogelpackung". Hinzu komme, dass die von der Stadtspitze vorgelegte "große Eile in der Sache" jeglicher Berechtigung entbehre. Weitere Vorwürfe: Bei den bisherigen Gesprächsangeboten der Verwaltung habe es sich lediglich um Lippenbekenntnisse gehandelt. Darüber hinaus stehe das Vorgehen der Verwaltungsspitze im Widerspruch zu dem, was bei der vor neun Monaten abgehaltenen Klausurtagung hinsichtlich eines "Wo?" und "Wie viel?" erarbeitet wurde, so Stadtrat Matthias Hördt (Die Linke). Dass das entsprechende Tagungsprotokoll den Beteiligten erst vor wenigen Tagen zuging, setze dem Ganzen den Gipfel auf.
Die sich daraus ergebende Forderung: "Sämtliche Pläne zur Entwicklung des Gewerbegebiets Hintere Mult müssen zurückgestellt werden, so lange OB Heiner Bernhard noch im Amt ist." Es sei in höchstem Maße kontraproduktiv, dem künftigen Stadtoberhaupt "ein derartiges Ei ins Nest zu legen". Schließlich solle, "um die Sache abzurunden", am Ende des Verfahrens ein "Bürgerbegehren" oder ein Bürgerentscheid stehen.
"Mächtig auf die Palme" bringt die Landwirte vor allem die Sache mit den angebotenen Ersatzflächen. Dabei handele es sich nicht um zusätzliches Ackerland, sondern um Flächen, die anderen Landwirten weggenommen würden, lautet der Vorwurf. Von einem echten Ausgleich für verloren gegangenes Land könne nicht die Rede sein.
Landwirt Stefan Kellner stellte die ihn persönlich betreffende Rechnung vor. In den 1990er-Jahren hatte er einen Landwirtschaftsbetrieb mit Sitz im hessischen Birkenau übernommen. Außer seinen eigenen 20 Hektar bewirtschaftet er weitere 12,6 Hektar auf baden-württembergischem Gebiet, die er von der Stadt Weinheim gepachtet hatte: "Jetzt geht es unter anderem um rund sieben Hektar dieser Fläche, die mir gekündigt wurden, um diese Felder Weinheimer Kollegen als Ersatzfläche zur Verfügung zu stellen." Der Landwirt ist sich sicher: "Das ist desaströs und geht an meine Existenz."
In diesem Zusammenhang warf er auch die Frage auf, wie viel landwirtschaftliche Areale bereits an Ausgleichsfläche verpachtet sind, wie viele noch zur Verfügung stehen - und wie viel Fläche und wie langfristig an auswärtige Bauern verpachtet ist. Thomas Bosch, Sprecher der Schutzgemeinschaft Hintere Mult, machte noch ein anderes Fass auf. Er stellte infrage, ob die von der Firma B&S ins Rollen gebrachte Diskussion überhaupt gerechtfertigt ist. Der Filterhersteller hatte dringende Erweiterungswünsche angemeldet. Die Ansage, dass ohne Erweiterung 230 Arbeitsplätze gefährdet wären, sei für ihn Bosch nicht nachvollziehbar. Nach seinen "Recherchen" weise die aktuelle Bilanz des Unternehmens lediglich 94 Vollzeit- und 74 Teilzeitstellen aus.
Von den anderen ansässigen Betrieben verlaute wiederum, dass "gar keine dringenden Erweiterungswünsche" bestünden, ergänzte Hagenbruch. Vielmehr hätten die betreffenden Unternehmen der Verwaltung gegenüber verlauten lassen, dass man bei einer Erschließung des angrenzenden Geländes diese Flächen zu erwerben beabsichtige, damit sich ihnen kein anderes Unternehmen "vor die Nase setzt".
Quintessenz: Es sei leicht nachvollziehbar, dass der Aufstellungsbeschluss für das derzeit laufende Bebauungsplanverfahren nicht aus dem gültigen Flächennutzungsplan heraus entstanden ist - sondern einzig und allein wegen B&S. Vorwurf der Gesprächsteilnehmer: Die Stadt sehe das Leben nur von der materiellen Warte aus und lasse alle ideellen Werte außer Betracht. Dies sei zu wenig, wenn man konstruktiv miteinander diskutieren wolle.



