"Hintere Mult" in Weinheim

"Hier soll wertvoller Boden vernichtet werden"

Gegner eines Gewerbegebiets in der "Hinteren Mult" protestierten mit einem "Mahnfeuer" gegen die Pläne der Stadt

25.03.2018 UPDATE: 26.03.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden

Bei den Reden gab es auch scharfe Angriffe gegen die Stadt Weinheim wegen deren "kompromissloser Haltung".

Von Günther Grosch

Weinheim. Beeindruckende Willensbekundung mit Worten, Fackeln und Mahnfeuern. Unter dem Motto "Stoppt den Landfraß" fanden sich am Samstagabend schätzungsweise bis zu 200 Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche auf dem Gelände der "Hinteren Mult" ein, um gegen einen an dieser Stelle geplanten "Flächenbrand" in Form einer Ausweitung bestehender Gewerbeansiedlungen und der damit einhergehenden "Betonierung des Areals" zu protestieren.

Zu der Veranstaltung aufgerufen hatten der Verein "Landerlebnis Weinheim", die "Schutzgemeinschaft Hintere Mult" und die "Bürgerinitiative Schützt die Breitwiesen". Irritationen in der Öffentlichkeit und Verärgerung bei den Organisatoren hatte im Vorfeld zunächst ein später wieder aufgehobenes Demonstrationsverbot durch die Stadtverwaltung hervorgerufen.

Erster Bürgermeister Torsten Fetzner, der am Abend vor Ort war, entschuldigte sich dafür in schriftlicher Form. Bei der ursprünglichen Ablehnung der geplanten Veranstaltung gegen die Entwicklung des Gewerbegebietes seien Vergleiche zu der rechtsextremen Szene und der Nazizeit gezogen worden, bedauerte Fetzner: "Diese Vergleiche waren fachlich falsch und inhaltlich unpassend."

Deshalb sei die ursprüngliche Ablehnung wieder zurückgenommen worden. Bei allen Personen und Institutionen, die sich durch diese Vergleiche verletzt oder verunglimpft fühlen, entschuldige er sich im Namen der Stadtverwaltung: "Wir werden dafür sorgen, dass derartige Vergleiche, egal in welchem Zusammenhang, zukünftig unterbleiben."

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Arnulf Tröscher, Vorsitzender des Vereins "Landerlebnis", verwies darauf, dass auf der Hinteren Mult "Boden von einer Qualität, wie man sie in Deutschland suchen muss", vernichtet werden soll. Ein Hektar des Bodens weise eine Produktivität auf, die circa zwei Hektar des weltweiten Durchschnittsbodens entspreche. Für die "Schlossherren", so Tröscher, seien Landwirte mit ihren Böden lediglich "Lieferanten für Baugrundstücke". Und wenn sie sich widersetzten, "Störenfriede beim rigorosen Durchregieren". Darüber hinaus träume man auf dem Rathaus davon, Weinheim zu einem bedeutenden Industriestandort zu machen.

Falls es wirklich soweit komme, dass das Rheintal nur noch eine Betonfläche sei, dann würde er sich als Weinheimer heute schon als "Grüne Insel" positionieren wollen, richtete Tröscher scharfe Angriffe gegen die kompromisslose Haltung der Stadt, wenn es darum geht, ein Gewerbe- oder Baugebiet "durchzupeitschen".

Einwände von Bürgern oder Bürgerbewegungen würden von der Verwaltung regelmäßig "platt gemacht". Dagegen helfe nur der Druck einer breiten Wählerschicht. Tröscher kündigte an, weitere Zusammenkünfte auf der Hinteren Mult zu einer festen Größe des Bürgerprotestes zu machen. Vom Verlust wertvollen Ackerlands und der Bedrohung von bäuerlichen Existenzgrundlagen sprach der Vorsitzende des Weinheimer Bauernverbandes, Fritz Pfrang. Es könne nicht angehen, dass von der Stadt Ackerland zu Gunsten von Gewerbe "verramscht" werde und sich Gewerbebetriebe "Rosinen herauspicken" könnten, indem sie mit Abwanderung drohten.

Bereits jetzt sei der Versiegelungsgrad des Bodens so hoch, dass sich deutlich weniger Grundwasser nachbilden kann, so Pfrang. Weinheims Landwirte merkten dies als Erste. Durch die Bebauung der Hinteren Mult würde sich durch fehlende Kaltluft zudem die Weststadt weiter erwärmen. "Bei uns riecht es zwar manchmal, aber Besucher und Gäste sind hier immer willkommen". Iris Großhans von dem an die Hintere Mult angrenzenden Bauernhof kündigte an, für den Fortbestand ihres Betriebes kämpfen zu wollen. Vor 50 Jahren habe sich ihre Familie hier angesiedelt und integriert. Eine Biogasanlage wurde gebaut und erweitert, die das Neubaugebiet Lützelsachsen Ebene mit Wärme versorgt und Milch ab Hof vermarktet.

Außerdem sei man der letzte Hof, der in der Stadt Tiere hält: "Den Bauernhof, wie ihn viele nur noch aus dem Bilderbuch kennen, gibt es noch:"

Auch die Bürgerinitiative "Rettet die Breitwiesen" erkläre sich mit dem Anliegen der Schutzgemeinschaft solidarisch, so deren Sprecherin Ingrid Hagenbruch. Es gehe nicht an, dass ständig wertvoller Ackerboden vernichtet werde. Wo sollen künftig noch regionale Produkte herkommen, wenn man der hiesigen Landwirtschaft ständig Land wegnimmt? Letztlich gehe es auch um die Existenz von drei Betrieben.

Dem flammenden Appell aller Redner, auch an die nachfolgenden Generationen zu denken, die ebenfalls "fruchtbare Felder, Grünzüge und Naherholungsgebiete benötigen", folgte der Fackelzug, der die Fläche des Gebietes als Menschenkette weithin leuchtend und sichtbar abgrenzte.

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