Wie es Amanda Shires wirklich geht
Mit "Nobody’s Girl" legt Amanda Shires ein Scheidungsalbum vor. Außerdem reingehört haben wir auch bei Robert Plant, Lostboi Lino, Between The Buried And Me und Sarah McLachlan.

Von Daniel Schottmüller
Vier Worte genügen Amanda Shires für eine Gänsehaut. "I was a healer", haucht sie zu Beginn ihrer Strophe von "Highwomen" (2019) – und direkt stellen sich einem wohlig die Nackenhaare. Auf der Akustikballade sind neben ihr noch drei weitere Gesangsgrößen zu hören.
Brandi Carlile, Yola und Natalie Hemby: Jede greift in einem Part das Schicksal einer verfolgten Frau der US-Historie auf. Aber keine klingt dabei wie Shires, wenn sie von einer als Hexe verunglimpften Heilerin erzählt, deren Leben am Galgen von Salem endet. Samtweich singt sie, packend und verletzlich zugleich ...
Mit einer behutsamen Folkbardin sollte man die gebürtige Texanerin – heute lebt sie alleine auf einer Farm bei Nashville – dennoch nicht verwechseln. Auf ihrem letzten Album, dem kämpferischen "Take It Like A Man" (2022), ließ die 43-Jährige ihre Stimme empört aufflattern. In einigen Songs teilte sie sogar schnarrend aus. Ja, Amanda Shires ist ein Gefühlsmensch – der jetzt ein neues Gefühlsalbum herausbringt.
Es schwingt Galgenhumor mit, wenn sie "Nobody’s Girl" als ihre "Scheidungsplatte" beschreibt. Fast elf Jahre war Shires mit Jason Isbell verheiratet. Aus der Ehe mit dem Grammy-gekrönten Songwriter ging nicht nur Tochter Mercy hervor, sondern auch wundervolle Musik.
Amanda und Jason schrieben, jammten, performten zusammen. Sie spielten Instrumentalspuren bei den Alben des anderen ein und begleiteten sich gegenseitig auf Tour. Aus, vorbei! Die Zeit als "Frau an der Seite von" ist endgültig Geschichte.
Als Familie und Freunde wissen wollten, wie es ihr damit geht, habe sie allzu oft abgewiegelt, ihren Frust, die Scham und den Schmerz heruntergespielt. Auch damit soll jetzt Schluss sein. Für alle, die sich dafür interessieren, wie sich Shires wirklich fühlt, gibt es dieses Album.
Dabei bilden die zwölf Americana-Songs eine Reise ab. Der Trotz-Rock von "Piece Of Mind", eine Abrechnung mit dem Ex, ist nur der Anfang. Denn die violinen-, zeichen- und poesiebegabte Songwriterin bleibt nicht in der Jauchegrube stecken. "I’d rather you see me thriving / Vining my way back up", singt sie sich im epischen "A Way It Goes" Hoffnung zu.
Von da an tastet Amanda, im Sinne ihres Idols Leonard Cohen, Schritt für Schritt dem Licht entgegen. Zwischendurch gibt’s mit "Friend Zone" ein munteres Hoch auf die Freundschaft. "Let’s get high and watch ,Tombstone‘", jauchzt die kecke Künstlerin in Anspielung auf den Western mit Kurt Russell. Und während Tracks wie "Lately" in die Warren-Zevon-Kerbe schlagen, erinnert "Strange Dreams" an die melodische Eleganz Fleetwood Macs.
Am Ende des Wegs wird in "Not Feeling Anything" eine gewisse Leere spürbar. Bis sich Amanda, begleitet von einem einsamen Klavier, jenen Nachtspaziergang in Erinnerung haucht, bei dem sie eine Mondblume entdeckt hat. Der letzte Pianotupfer verklingt – und wieder kann man sich einer Gänsehaut nicht erwehren.
Info: Amanda Shires’ neues Album "Nobody’s Girl ist aktuell erhältlich. Konzerte in Europa sind nicht geplant.
Mariah Carey und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Robert Plant with Suzi Dian
Saving Grace
Roots Er war bei Led Zeppelin der charismatische Frontmann einer der größten Rockbands des Planeten. In seiner jüngsten Formation nimmt sich Robert Plant zurück, gibt seiner Co-Sängerin Suzi Dian viel Raum und geht in einem vielstimmigen Kollektiv aus Gleichgesinnten auf: "Saving Grace" (so auch der Bandname) nehmen sich Americana-Klassiker und Songs von weniger bekannten Roots-Musikern vor und beschwören einen beinahe hypnotischen Neofolk-Sound herauf: polyrhythmische Percussions, Banjo und seltene Saiteninstrumente wie der Cuatro, Harmonica, Cello, die eine oder andere verzerrte E-Gitarre und vor allem tolle Gesangsharmonien – ein spannendes Projekt! (hol) ●●●
Für Fans von: Derek Trucks
Bester Song: Soul of a Man
Lostboi Lino
Von Liebe
Rock Der strubbelige Look allein prädestiniert Lostboi Lino zum Posterboy. Seine rauchige Stimme rundet das Gesamtpaket eines modernen Rock-Rookies ab. Der Stuttgarter singt auf Deutsch "Von Liebe" in all seinen Facetten. Mit im Ohr bleibenden Melodien voll kraftvollem Gitarre-Sound. Lino (Alter? Geheim!) erzählt von Sehnsucht, Rausch und seiner eigenen Zerissenheit. Stimmungs- und songmäßig schwankt er dabei zwischen "Himmel macht Fotos" und "Hölle". (make) ●●
Für Fans von: Kraftklub, Ennio
Bester Song: Kein Plan
Between The Buried And Me
The Blue Nowhere
Metal Drei Tracks von zehn, die die Zehn-Minuten-Skala sprengen – ein Track, der gerade mal 52 Sekunden dauert und der Rest irgendwo dazwischen. Das beschreibt über die zeitliche Dimension hinaus ganz gut, wie man sich "The Blue Nowhere" vorstellen muss: Progressive Metal – das ist zwar die große Klammer, aber jeder Track bildet einen eigenen Kosmos. Das neue Album von "Between The Buried And Me" ist vor allem eins: eklektisch. Das überzeugt nicht immer. (csw) ●●
Für Fans von: Opeth
Bester Song: Psychomanteum
Sarah McLachlan
Better Broken
Pop Seit den späten Neunzigern haben sich Sarah McLachlans Kompositionen vom alternativen Pop hin zu Easy Listening entwickelt. Die neue Scheibe der 57-Jährigen erscheint nun nach über einem Jahrzehnt Albumpause. Und leider klingen die Stücke seltsam glatt und klinisch sauber. Die stärksten Momente sind jene, in denen die Grammy-Gewinnerin sich erlaubt, verletzlich und trotzig zu sein. Ihr Zorn auf sich und die Welt kommen aber nicht immer überzeugend rüber. Das "fuck", das sie in der Feminismushymne "One In A Long Line" fallen lässt, wirkt fast gekünstelt. Ansonsten sind die elf Titel ein bunter Reigen aus unaufdringlichem Barpiano, sanftem Pop und gemütlichem Country. (gol) ●
Für Fans von: Norah Jones
Bester Song: If This Is The End