CDU-Parteichef im RNZ-Interview

Frage nach der Kanzlerschaft behagt Friedrich Merz nicht

Der Parteichef hat bei der Beratung über das neue Grundsatzprogramm in Heidelberg viel vor. So soll die Ukraine soll samt Krim in die EU aufgenommen und Neubürger verpflichtet werden, Deutsch zu lernen.

12.01.2024 UPDATE: 12.01.2024 06:00 Uhr 11 Minuten, 10 Sekunden
Am Freitag und Samstag diskutiert der CDU-Vorstand über das neue CDU-Grundsatzprogramm; es löst das bisherige Programm ab, das die Ära von Angela Merkel prägte. Foto: dpa
Interview
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Friedrich Merz
CDU-Parteichef

Von Klaus Welzel

Heidelberg. Er ist an diesem Montag sechs Minuten zu spät, weil die protestierenden Bauern ihn aufgehalten haben. Deutlich länger als gedacht.

Friedrich Merz (68) wirkt dennoch aufgeräumt beim Video-Interview mit der RNZ. Sorgt für "richtiges Licht", kurbelt die Jalousie etwas herunter; jetzt kann man im Hintergrund die Bücherwand besser erkennen. Er selbst sitzt am Schreibtisch, beugt sich oft vor, weshalb das Bild gelegentlich wackelt.

Ganz anders seine Antworten: fest, entschlossen. Thema für eine knappe Stunde ist das CDU-Grundsatzprogramm, über das der Parteivorstand an diesem Freitag in Heidelberg beraten wird. Seit zwei Jahren führt der CDU-Fraktionschef im Bundestag auch die Partei und hält sie in Umfragen stabil bei 30 Prozent; die meisten Landtagswahlen sind seither gut gelaufen. Will er Kanzler werden? Eine Frage, die ihm nicht so behagt.

Herr Merz, was unterscheidet Sie politisch von Angela Merkel?

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Das zu beurteilen fällt mir schwer. Und es ist auch nicht meine Sache, das zu tun.

Möchten Sie Bundeskanzler werden?

Die Kanzlerfrage wird heute nicht entschieden, deshalb müssen wir sie nicht besprechen.

Die K-Frage scheint ja innerhalb der Union entschieden: CSU-Chef Markus Söder sagte in Seeon, Sie hätten die "derzeitige Favoritenrolle" inne. Sehen Sie das auch so?

Das ist doch ein nettes Kompliment.

Kommendes Jahr werden Sie 70. Adenauer war 73 als er zum ersten Mal als Bundeskanzler vereidigt wurde – und er war lange ein erfolgreicher Bundeskanzler. Dann ist das Alter doch kein wirkliches Kriterium?

Ein Ausschlusskriterium ist es sicher nicht. Ich fühle mich auf jeden Fall fit, mache Sport, wenn es die Zeit zulässt.

Markus Söder sagte noch etwas Bemerkenswertes: Dass es in den großen inhaltlichen Fragen "eine nahezu identische Grundauffassung" zwischen Ihrer CDU und der CSU gebe. Sehen Sie das auch so?

Das sehe ich auch so. Und das sollte auch der Normalfall bei CDU und CSU sein.

Der CDU-Vorstand tagt ja an diesem Freitag in Heidelberg, um das vierte Grundsatzprogramm "In Freiheit leben" der Partei zu beraten. Wie kamen Sie auf diesen Tagungsort?

Wir wollten nach Westdeutschland gehen, nachdem wir im letzten Jahr in Weimar waren. Und wir wollten in eine Stadt gehen, die gerade was Innovation im Technologiebereich betrifft in einer hochspannenden Region in Deutschland liegt. Außerdem ist Heidelberg gut zu erreichen, also haben wir uns für diese schöne Universitätsstadt entschieden. Ich freue mich, mal wieder in der Region zu sein.

Hat das neue Grundsatzprogramm denn Chancen, ein "Heidelberger Programm" zu werden?

Nein, wir haben Grundsatzprogramme noch nie nach Städten benannt. Im Übrigen wird der Entwurf in Heidelberg auf Antrag des Bundesvorstandes zum Parteitag eingebracht, der Anfang Mai in Berlin stattfindet. Dort wird es beschlossen. Wenn, dann müsste es "Berliner Programm" heißen. Aber, wie gesagt: Auch das neue Grundsatzprogramm wird keinen Städtenamen tragen.

Die SPD verabschiedete hier 1925 ihr "Heidelberger Programm", in dem sie für wirtschaftlich ausgerichtete "Vereinigte Staaten von Europa" warb. In Ihrem neuen Programm schreiben Sie, die CDU sei "die europäische Partei", mit der Bedingung, dass alle Länder sich selbst finanzieren, also keine Schuldenunion.

Es geht hier schon um die Frage, wie die Europäische Union finanziert werden soll. Wir haben mit Corona und dem Ziel einer klimaneutralen Europäischen Union hohe Verbindlichkeiten aufgenommen. Es muss aber wieder gelten, dass die Mitgliedsstaaten ihre eigenen Haushalte finanzieren. Deshalb sind sie auch nicht die "Vereinigten Staaten von Europa". Und sie sind auch kein föderaler Staat, so wie die Bundesrepublik, mit einem horizontalen und vertikalen Finanzausgleich. Den wird es und darf es in der Europäischen Union nicht geben.

Wie würden Sie denn den Zustand der heutigen Europäischen Union beschreiben?

In Teilen wirklich überzeugend handlungsfähig, wenn ich zum Beispiel an die Bewältigung der Coronakrise denke. Wenn ich – bis auf Ungarn – an die große Geschlossenheit gegenüber Russland denke. Aber in anderen Teilen sind wir noch nicht da, wo wir sein sollten – wenn ich zum Beispiel an die Außen- und Sicherheitspolitik denke. Ich sage es einmal mit den Worten unseres Luxemburger Freundes Jean-Claude Juncker: "Europa muss weltpolitikfähig werden". Dafür müssen wir noch einige Anstrengungen unternehmen.

Sie schreiben auch, die Partei sei "offen für eine sinnvolle Übertragung von weiteren Hoheitsrechten an die EU". Woran denken Sie da?

Insbesondere an Hoheitsrechte in der Außen- und Sicherheitspolitik – bis hin zu der Frage, ob die Europäische Union nicht auch eine Armee der Europäer haben sollte. Das ist nun der klassische Kernbereich der staatlichen Souveränität, aber wir wissen auch, dass wir viele Dinge der Außenpolitik in einer sich so dramatisch verändernden Welt nur gemeinsam bewältigen können, und dazu gehört dann auch die gemeinsame Ausübung von Souveränität. Die 27 Mitgliedstaaten werden im Systemwettbewerb zwischen China und Amerika zerrieben, wenn Europa nicht einheitlich Außenpolitik gestaltet.

Ihr gerade verstorbener politischer Weggefährte Wolfgang Schäuble warb einst für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Wie stehen Sie zu dieser Idee?

Europa ist immer ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten gewesen. Wir waren erst sechs, dann neun, dann zwölf, dann zwischendurch 28, jetzt wieder 27 Länder. Es sind längst nicht alle Mitglieder der Europäischen Währungsunion geworden. Und es sind bis heute nicht alle Mitglieder des Schengenraums. Wolfgang Schäuble hat mit seinem Papier, das er 1994, also vor ziemlich genau 30 Jahren, publiziert hat, einen weitgreifenden Vorschlag gemacht: Nicht auf der Zeitachse, sondern auch bei der Integrationstiefe, möglicherweise sogar auf lange Zeitdauer, müsste es Unterschiede geben. Er hat von konzentrischen Kreisen gesprochen. Also eine Europäische Union, die nach außen eine ziemlich große Zahl von Staaten aufweist und die nach innen gestaffelt Ländern eine immer tiefere Integration ermöglicht. Das scheint mir ein Ordnungsprinzip zu sein, das aktueller ist denn je.

In Ihrem Programm schreiben Sie, die Beitrittsperspektive für EU-Kandidaten müsse realistisch sein. Mir fallen da spontan zwei Kandidaten ein, bei denen das eher unrealistisch erscheint: Die Türkei und die Ukraine.

Das sind zwei völlig unterschiedliche Staaten. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ruhen seit Jahren und ich sehe auch nicht, dass sie wiederaufgenommen werden – jedenfalls nicht, solange die Türkei in entscheidenden Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit keine substanziellen Fortschritte erzielt. Bei der Ukraine ist es ein völlig anderer Sachverhalt. Es ist beeindruckend, dass die Ukraine selbst unter Kriegsbedingungen sehr intensiv an ihrer Beitrittsfähigkeit arbeitet.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will eine Integration in den politischen Westen. Wir wissen natürlich auch, dass ein Land im Krieg und mit hohen Defiziten in der Rechtsstaatlichkeit so schnell nicht EU-Mitglied werden kann. Aber wir schreiben ja auch, dass die Teilnahme am Binnenmarkt möglich sein müsste, ohne dass das mit der EU-Vollmitgliedschaft einhergeht. Sprich: Wir brauchen zur Stärkung der EU mehr Integrationsflexibilität.

Aber jetzt wäre gerade die Teilhabe am Binnenmarkt aus Sicht der deutschen Bauern sehr problematisch angesichts dieses riesigen Agrarlandes Ukraine.

Das ist ohne Zweifel richtig. Die Agrarpolitik wird eines der großen Themen. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahren Nahrungsmittelknappheit haben, dann kann ein Land, das einen so hohen Agrarüberschuss erzeugen kann wie die Ukraine, ein willkommener Partner für die Versorgung des gesamten Kontinents sein.

Die Befürchtung ist, dass das auf Kosten der deutschen Landwirtschaft gehen könnte.

Ich würde solche Perspektiven nicht gern mit Befürchtungen verbinden, sondern auch mit großen Chancen. Wir brauchen ja auch hier ein gemeinsames Sicherheitsversprechen. Nur zur Erinnerung: Auch der EU-Vertrag enthält eine Beistandsklausel.

Im Programm heißt es dazu: Russland könne erst dann wieder Partner sein, wenn Russland das Existenzrecht seiner Nachbarn uneingeschränkt akzeptiert. Fordern Sie damit auch eine Rückgabe der Krim an die Ukraine?

Es muss ein völkerrechtlich einwandfreier Zustand in der Ukraine wiederhergestellt werden. Und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim kann nicht toleriert werden. Ich teile die Auffassung der ukrainischen Regierung, dass die Krim ein vollwertiger und dazu noch strategischer Teil des Territoriums der Ukraine ist, zumal über die Krim der Zugang zum Schwarzen Meer kontrolliert werden kann. Der heutige Zustand mit einer Besatzungsmacht Russland ist weder völkerrechtlich noch politisch für die Ukraine akzeptabel.

Angela Merkel regierte mit dem noch gültigen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2007 "Freiheit und Sicherheit", in dem Deutschland als ein "Integrationsland" beschrieben wird. War die Wahl dieses Begriffes aus Ihrer Sicht eine Illusion?

Deutschland ist ein Einwanderungsland mit nur zum Teil gelungener Integration. Und genau das machen wir im Grundsatzprogramm zum Thema. Deutschland soll auch weiterhin ein Einwanderungsland bleiben. Aber wir müssen ein Land werden, das in den Arbeitsmarkt einwandern lässt und in die Gesellschaft integriert. Beides ist uns bislang nicht hinreichend gelungen.

Sie führen ja auch den Begriff "Leitkultur" in das Grundsatzprogramm ein und fordern Deutschkenntnisse von Eingewanderten ein. Wie groß ist denn der Anteil an Menschen in Deutschland, die hier leben und des Deutschen nicht mächtig sind?

Ich kenne die Statistik nicht, aber ein Blick in die Kindergärten und Schulen gibt hier schon einen klaren Eindruck wider. Leider fehlt vielen Kindern schon bei der Einschulung die Grundfähigkeit, sich altersgerecht auszudrücken. Das können sie später kaum noch aufholen. Und wir wissen aus der Bildungsforschung, dass spätestens dann, wenn mehr als ein Drittel einer Klasse die deutsche Sprache nicht altersgerecht beherrscht, der Bildungserfolg aller in dieser Klasse gefährdet ist. Die deutsche Sprache ist aber die entscheidende Grundvoraussetzung für Integration, gesellschaftliche Teilhabe und beruflichen Erfolg. Das möchten wir als CDU allen Kindern ermöglichen.

Darüber hinaus enthält das Grundsatzprogramm eine Art Forderungskatalog, den Einbürgerungswillige zu befolgen haben. Sollen diese dann einen Eid ablegen zum Beispiel auf die Anerkennung des Existenzrechts Israels?

Wir wollen sicherstellen, dass Antisemitismus, der schon in Deutschland verbreitet genug ist, nicht auch noch durch Einwanderung zusätzlich importiert wird. Dieses Problem haben wir allzu lange unterschätzt. Dazu gehört sicher auch eine neue Anforderung für Menschen, die eingebürgert werden möchten. Denn sie werden damit Staatsbürger eines Landes mit Geschichte, die damit auch zu ihrer Geschichte wird. Und zu dieser Geschichte gehört der Holocaust. Dass wir da besonders sensibel sind, müsste eigentlich jedem einleuchten, der sich ernsthaft für unser Land interessiert.

Sie sind gegen ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Halten Sie dieses Unterfangen für so wenig erfolgversprechend?

Nein, das hat umfassendere Gründe. Die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteienverbot in Deutschland liegen zu Recht sehr hoch. Und wir sollten der AfD nicht dabei helfen, sich im Rahmen eines Verbotsverfahrens auch noch als Opfer zu gerieren. Wer die AfD noch stärker machen will, der sollte noch lange über ein Verbotsverfahren reden. Es hat ein erfolgreiches Verfahren gegen die KPD gegeben, daraus ist dann die DKP geworden.

Das NPD-Verbotsverfahren ist vor dem Verfassungsgericht gescheitert. Es ist für mich erstaunlich, dass diejenigen, die ein AfD-Verbotsverfahren fordern, offenbar vergessen haben, wie das damals lief. Und selbst wenn es doch erfolgreich wäre: Das verquere Denken in den Köpfen der führenden Funktionäre dieser Partei wäre auch nach dem Verbot einer solchen Partei immer noch da. Sie würden sofort nach dem Verbot eine neue Partei gründen. Nein, wir müssen die AfD mit politischen Mitteln bekämpfen, und nicht juristisch.

Das NPD-Verbotsverfahren endete ja mit dem Urteil, die NPD erfülle durchaus die Kriterien, die ein Verbot rechtfertigen würde, die Partei sei aber chancenlos. Das ist ja jetzt mit der AfD anders.

Ja, das entkräftet aber nicht mein Argument, dass solche Parteien mit demokratischen Mitteln und nicht mit juristischen Mitteln bekämpft werden sollten.

Was machen Sie eigentlich, wenn in einem der drei ostdeutschen Bundesländer, in denen im Herbst gewählt wird, im dritten Wahlgang ein AfD-Ministerpräsident nicht mehr zu verhindern ist? Wie gehen Sie dann damit um?

Das sind Fragen, die sich für uns nicht stellen. Wir gehen mit ‚CDU pur‘ in die Wahlkämpfe und werden gemeinsam alles dafür geben, dass die CDU stärkste Kraft wird.

Aber Sie sind sich sicher, dass keiner der CDU-Landesverbände eine AfD-Minderheitsregierung tolerieren würde?

Wir haben dazu eine klare Beschlusslage, die wir an diesem Wochenende bei der Klausurtagung des Bundesvorstands auch noch einmal bekräftigen werden: Es wird keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.

Dann gibt es da Hans-Georg Maaßen, Noch-CDU-Mitglied, über den kolportiert wird, er wolle die Werte-Union zur Partei machen. Wie sieht es da mit Unvereinbarkeitsbeschluss aus, Mitglied der CDU und der Werte-Union zu sein? Das haben Sie vor einem Jahr diskutiert, sich dann dagegen entschieden. Ist es dazu nicht doch Zeit?

Gegen Herrn Maaßen läuft bereits ein Ausschlussverfahren wegen anderer Vorkommnisse. Parteiausschlussverfahren sind aber grundsätzlich vertraulich, deswegen werde ich das hier nicht weiter kommentieren.

Aber eine Mitgliedschaft in einer anderen Partei wäre auch für alle anderen Mitglieder der Werte-Union das Aus in der CDU?

Die Mitgliedschaft in einer konkurrierenden Partei ist gemäß unseren Statuten parteischädigend und Grund für einen Parteiausschluss.

Das neue Grundsatzprogramm zeigt ein modernes Familienbild. Darin schildern Sie "Ehe als rechtlich verbindliche und auf Dauer angelegte Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen". Das können also auch zwei Frauen oder zwei Männer sein?

Ja. Konservativ zu sein heißt eben immer auch, Verantwortung zu übernehmen und füreinander einzustehen. Das ist für uns nichts Neues.

Nichts gefunden habe ich zur Frage, ob diese Partner dann auch Kinder adoptieren dürfen?

Aus meiner Sicht ist das die Folge, ja. Die Zuwendung, die Kinder brauchen, hängt nicht davon ab, ob die Eltern homosexuell oder heterosexuell sind.

In Ihrem Programm finden sich auch mehrere Aussagen zum Stand der Digitalisierung. So fordern Sie ein Transparenzgebot, wenn Künstliche Intelligenz auf urheberrechtlich geschütztes Kulturgut zugreift. Haben Sie auch eine Idee dazu, wie das kontrolliert werden soll?

Das Thema ist sehr komplex und nicht ganz einfach in Rechtssprache zu gießen. Aber dass es reguliert werden muss, scheint mir völlig klar. Wenn Sie sehen, welche Manipulationen bei Fotos und Videos möglich sind, dann ist es geboten, dass kenntlich gemacht wird, ob Bilder mithilfe von künstlicher Intelligenz erzeugt worden sind.

Was mir im Grundsatzprogramm fehlt, ist ein Hinweis, ob die CDU sich auch für eine digitale Plattform auf europäischer Ebene stark macht, die nach dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für glaubwürdige Inhalte steht. Der frühere Intendant des Bayrischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, wirbt seit zehn Jahren dafür – und er stößt erstaunlicherweise auf ein nur geringes Echo.

Wir schauen uns das gern noch einmal an.

Das Thema hat durchaus eine hohe Relevanz: Sie nutzen ja auch die Plattform X von Elon Musk, wo Sie doch auf der anderen Seite "Manipulationen im digitalen Raum" kritisieren, die genau dort stattfinden. Wieso nutzen Sie eine solche Plattform?

Wir nutzen ja auch Tiktok oder Instagram. Wir können nicht wegen einzelner Verfehlungen die ganze Nutzung dieser Plattformen aufgeben, aber das ist natürlich eine Frage, die wir immer wieder überprüfen. Fakt ist aber auch, dass wir soziale Plattformen benötigen, um unsere Wählerinnen und Wähler zu erreichen.

Deshalb sehe ich auch die von Ulrich Wilhelm angestoßene Debatte über eine öffentlich-rechtliche Plattform als nicht so unerheblich an …

… ich will nicht sagen, dass das unerheblich ist. Es scheint aber in der Öffentlichkeit noch nicht die nötige Aufmerksamkeit gefunden zu haben. Wie gesagt: Ich will mir das gerne noch einmal genauer anschauen.

Sie üben im Grundsatzprogramm auch indirekt Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seine besondere Verantwortung künftig "besser wahrnehmen" müsse. Woran hapert es denn aus Ihrer Sicht?

Das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland war ja schon einmal besser. Wir haben dazu eine Kommission unter Reiner Haseloff einberufen im Konrad-Adenauer-Haus und werden das Ergebnis, das sie vorgelegt hat, am Wochenende auch noch einmal besprechen. Ich habe es schon öfters gesagt: Ich bin Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und möchte, dass er erfolgreich ist.

Woran machen Sie dann Ihre Kritik fest?

Nur ein paar Punkte, die ja auch hinlänglich bekannt sind: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist immer größer geworden, mit mehr Inhalten, mehr Sendern. Es gibt zu viele Parallelstrukturen zwischen ARD und ZDF. Und immer mehr Bürgerinnen und Bürger sehen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als zu wenig ausgewogen. So ist zum Beispiel der konservative oder liberale Teil unseres Landes unterrepräsentiert – um es zurückhaltend zu sagen. Aber das bestreiten ja auch die Verantwortlichen selber nicht.

Ein Kritikpunkt wäre doch, dass die AfD überrepräsentativ oft in den Talkshows zu Wort kommt. Frau Miosga hat sogar angekündigt, dies – anders als ihre Vorgängerin Anne Will – fortan auch in ihrer sonntäglichen Diskussionsrunde so handhaben zu wollen.

Wir reden nicht nur über Talkshows, sondern auch über die Gewichtung in Nachrichtensendungen, Kommentaren und Politik-Magazinen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ja mit der Auswahl seiner Nachrichten und der Begleitung durch Kommentare einen nicht ganz unerheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung. Und da kann man über die Ausgewogenheit, so meine ich, schon diskutieren.

Und wie könnte man diese Ihrer Meinung nach nicht vorhandene Ausgewogenheit wieder herstellen?

Indem die Sender darauf achten, dass sie nicht mit missionarischem Eifer unterwegs sind, sondern mit dem Anspruch, möglichst neutral zu berichten und ein möglichst breites Meinungsspektrum in ihren Programmstrukturen abzubilden.

Das ist jetzt ein sehr weiches Kriterium, dass die Ampel-Koalition wieder anders interpretieren würde als Sie.

Ich vermute einmal, dass sich Grüne und SPD auch in der Opposition selten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschwert haben.

Enden wir mit Heidelberg: "Unser Steuersystem muss einfacher, transparenter und gerechter werden", heißt es im Grundsatzprogramm. Würde dann unter einem CDU-Kanzler Friedrich Merz das Einfachsteuerrecht von Paul Kirchhof doch noch Wirklichkeit?

Paul Kirchhof hat seinerzeit ein Stufenmodell vorgeschlagen und ist dann sogar zum Einheitssatz übergegangen. Den Einheitssatz wird es nicht geben. Der hat auch eine ganze Reihe von Problemen, so charmant das auch auf den ersten Blick klingt. Wir werden beim linear-progressiven Einkommenssteuertarif bleiben. Aber wir werden etwas anderes tun, was dem Gedanken von Paul Kirchhof sogar sehr nahekommt.

Es muss einen Unternehmenssteuersatz in Deutschland geben, der unabhängig ist von der Rechtsform. Die mittelständischen Unternehmen müssen wegkommen von der Einkommenssteuer. Das ist die Steuer der privaten Haushalte und nicht der Personengesellschaften. Also lautet unser konkreter Vorschlag: Eine strikte Trennung zwischen unternehmerischer Tätigkeit und privaten Einkünften, um das System wirklich durchgreifend zu vereinfachen.

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