Hunderte Schlepper sorgen für Aufsehen
Außer Landwirten machten auch Fuhrunternehmen, Handwerker und Jäger beim Auftakt der Bauern-Demos in der Region mit.

Von Christian Beck, Tim Kegel und Julian Buchner
Sinsheim/Bad Rappenau-Fürfeld. Der Konvoi am Mittag brauchte eine gute Stunde – allein bis er durch den Sinsheimer Stadtteil Dühren durch war: Mit einer Vielzahl von Traktoren und anderen Fahrzeugen haben sich Landwirte, aber auch Zugehörige anderer Branchen, am Montagmorgen sowie über den Tag hinweg an verschiedenen Orten am bundesweiten Protest der Landwirte beteiligt. Immer gab es zäh fließenden Verkehr und Stau in der Region, aber auch einige Reaktionen.
> Sinsheim: Wer Glück hatte, kam in Sinsheim und den Stadtteilen am Morgen im Schritttempo zur Arbeit. Kam es zum Begegnungsverkehr zwischen den Treckern, ging in eine Richtung minutenlang nichts mehr. Die Proteste hatten am Montag um 6 Uhr begonnen, oft begleitet von stetigem Hupen.
Ein Tross aus, laut Polizei, 50 Traktoren, Autos, Lastwagen und Sympathisanten zog erst von der Autobahnanschlussstelle bei Sinsheim-Süd über die Neulandstraße nach Steinsfurt weiter über Kirchardt nach Bad Rappenau. Weitere Kolonnen bewegten sich gegen 6.40 Uhr durch Randbezirke der Sinsheimer Innenstadt, von der Bundesstraße 292 bei Waibstadt kommend.
Um kurz nach 7 Uhr fuhr ein Konvoi aus einem Dutzend Lastwagen örtlicher Speditionen und Bauunternehmen durch die Neulandstraße. Nur der Überlandverkehr nahm von einer Aktion auf der Autobahn Notiz: Einige Traktoren, Lastwagen und sogar ein Mähdrescher fuhren zum Auftakt in Sinsheim auf die A6 und in Sinsheim-Süd wieder ab. Die Polizei war vor Ort, drückte aber offenbar ein Auge zu.
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> Bad Rappenau-Fürfeld: Zahlreiche Traktoren haben ab 6.15 Uhr den Verkehr rund um die Autobahnanschlussstelle Fürfeld stark verlangsamt. Wer an beiden Abfahrten vorbeifahren wollte, brauchte stellenweise rund 20 Minuten. Die Polizei war mit mehreren Streifenwagen vor Ort, an der Abfahrt, von Sinsheim kommend, regelten sie den Verkehr: Fahrzeuge, die von der A6 abfuhren, winkten sie über die rote Ampel, um Rückstau auf der Autobahn zu vermeiden. Das führte dazu, dass Fahrzeuge, die in Richtung Fürfeld unterwegs waren, teilweise minutenlang nicht vorankamen.
Viele Verkehrsteilnehmer akzeptierten den Protest der Landwirte. Laut Marco Feeser, Landwirt aus Fürfeld und Organisator des Protests, zeigten manche Autofahrer den Mittelfinger, andere zeigten sich solidarisch, indem sie ins Hupkonzert einstimmten oder den Daumen nach oben reckten. Solidarisch mit den Landwirten zeigten sich auch einige Fuhrunternehmer sowie Handwerker, die sich an dem Korso vom Gewerbegebiet Buchäcker entlang der Autobahnanschlussstelle beteiligten. Zahlreiche Jäger waren ebenso dabei.
Einer hatte einen Hochsitz auf seinen Pritschenwagen gebaut, ein weiterer ließ bei geöffnetem Fenster sein Jagdhorn erschallen. "Landwirte und Jäger halten zusammen", war auf etlichen Geländewagen zu lesen. Jäger René Merklein schätzt, dass sich 35 bis 40 Jäger an der Fahrt beteiligt haben. Feeser schätzt, dass es insgesamt 300 Fahrzeuge gewesen sind. Mehrheitlich waren Heilbronner Kennzeichen auf den Fahrzeugen der Teilnehmer. Einige MOS- und HD-Kennzeichen waren aber auch zu sehen.
Eine kleine Gruppe Fußgänger zeigte sich mit dem Protest der Landwirte ebenfalls solidarisch. Beppo Bürger und Hans Müller zählen zu ihnen. Einen direkten Bezug zur Landwirtschaft haben sie nicht, sagen sie auf Nachfrage. Doch es sei ihrer Meinung nach wichtig, diesen Protest zu unterstützen. "Ohne Landwirte wären wir hungrig", sagt Bürger. Und Müller ergänzt: "Das betrifft jeden: Den Landwirt, den Fuhrunternehmer, aber auch den Endverbraucher."
Wie die Polizei am Nachmittag mitteilte, verliefen rund 45 Aktionen im Bereich des Polizeipräsidiums Heilbronn "weitgehend störungsfrei". Insgesamt seien bis zu 1700 Fahrzeuge gezählt worden, was auf vielen Strecken im Präsidiumsbereich teils zu erheblichen Verkehrsbehinderung und auch zu kurzfristigem Stillstand geführt habe. Schwerpunkte waren der Stadt- und Landkreis Heilbronn.
> Kritisch zu der Form des Protests hatte sich unter anderem ein Brief von "Parents for Future" Heilbronn geäußert. "Ihr demonstriert also – aus unserer Sicht – aus den richtigen Gründen für das Falsche. Denn eigentlich wollt ihr doch für eure landwirtschaftlichen Produkte anständig bezahlt werden und nicht Subventionsempfänger sein, oder?" hieß es darin.
Darauf angesprochen, sagte Feeser: "Wenn wir bessere Preise bekommen würden, würden wir sofort auf Subventionen verzichten." Aus seiner Sicht sind diese aber momentan nötig, um Wettbewerbsnachteile gegenüber Landwirten in anderen Ländern auszugleichen. "Der Aufklärungsbedarf darüber, was Subventionen überhaupt sind und nicht sind, ist immens", sagte Detlev Geyer, der Sprecher der Sinsheimer Demo-Organisatoren.
> Zur Sternfahrt nach Heidelberg sammelten sich Landwirte gegen Mittag im Sinsheimer Gewerbegebiet Süd, um gemeinsam in Richtung Heidelberg aufzubrechen, ein zweiter Zug startete zeitversetzt in Reichartshausen. Wie viele Fahrzeuge aus dem Kraichgau es am Ende waren, steht nicht fest.
350 Traktoren wurden von Polizeibeamten allein im Sinsheimer Tross gezählt. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer waren Bauern, der Rest überwiegend Fuhrunternehmen mit Zugmaschinen und einige Dutzend Handwerker.
> Botschaften gab es einige. Auffallend im Sinsheimer Konvoi: Auf Plakaten an den Fahrzeugen waren zwar mitunter deftige, allerdings keine radikalen Parolen zu lesen; es hieß: "Artenschutz – nur mit uns Landwirten" oder "Ohne uns wärt Ihr hungrig, nackt und nüchtern", aber auch "Landwirtschaft ist bunt, nicht braun" oder "Nicht vergessen, wir sorgen für Euer Essen". Gegen die Ampel-Regierung ging es zumeist, allerdings – wie vom Organisationsteam um Dominik Ernstberger vorher ausgegeben – ohne Namen zu nennen. Absicht oder Zufall – die Bauern hatten die Plattform geschaffen, dass sich nun eine Menge anderer Berufe ihnen zur Seite stellte und ihr jeweiliges Bündel Probleme auf die Straße brachte: Im Konvoi vertreten waren auch Beschäftigte in der ambulanten Pflege, Selbstständige aus der Veranstaltungsbranche, zwei Busunternehmen hatten sich kurzfristig angeschlossen – inklusive Passagiere –, außerdem erneut viele Speditionen, Lohnunternehmen aus dem Forstbereich und Handwerker, darunter Zimmerreibetriebe und Metzger.
> Friedlich war die Stimmung bis zuletzt im Kraichgauer Konvoi, über Gegenteiliges ist nichts bekannt: Selbst als am Vormittag ein kleiner Schlepper auf einer Kreuzung mitten in Sinsheim stehen blieb – wie der Fahrer sagte, wegen eines "heißen Getriebes" – blieben die restlichen Verkehrsteilnehmer gelassen, zeigten trotz längerem Warten "Daumen hoch", eine oft gesehene Geste am Straßenrand und im Gegenverkehr.
Und auch eine zufällig hinzugekommene Polizeistreife fuhr schließlich weiter – sehr zum Gefallen des Fahrers bevor das "Getriebe abgekühlt" war. Für Enttäuschung sorgte die Ankündigungen aus dem Wirtschaftsministerium vom Montag, den Forderungen der Bauern nicht entgegenzukommen. "Und das an so einem Tag", kommentierte Geyer. Eine weitere Sternfahrt, dieses Mal nach Sinsheim, hat der Bauernverband am 11. Januar geplant.