Plus Sinsheim/Wiesloch/Mauer

Bauern-Protest erzeugt Stau und Aufsehen (plus Fotogalerie)

Hunderte Landwirte nahmen mit ihren Traktoren an einer Sternfahrt teil, um gegen Mehrbelastungen zu protestieren.

22.12.2023 UPDATE: 22.12.2023 19:24 Uhr 4 Minuten
Nach mehrstündiger Protestfahrt mündete der Treckerzug im Wiesental. Fotos: Alex/Hüll

Von Christian Beck

Sinsheim/Wiesloch/Region. Der Protest war unüberhör- und unübersehbar: Bei einer Sternfahrt mit hunderten Traktoren haben Landwirte am Donnerstagnachmittag in der Region und weit darüber hinaus ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verliehen. Erneut ging es um die weggefallenen Steuervergünstigungen beim sogenannten Agrardiesel sowie die Einführung der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Wie viele Traktoren sich an dem Protest beteiligten, war bei Redaktionsschluss noch unklar. Dass es etwa 45 Minuten dauerte, bis sich bei der "PreZero-Arena" in Sinsheim alle auf den Weg gemacht hatten, vermittelt jedoch einen Eindruck der Teilnehmerzahl. Sie kamen aus dem Rhein-Neckar-Kreis, aber aus den Landkreisen Heilbronn, Karlsruhe und dem Neckar-Odenwald-Kreis.

Mit eingeschaltetem Blinklicht und hupend fuhren sie durch Teile von Sinsheim, weiter nach Dühren, Eschelbach, Walldorf, Baiertal, Schatthausen und schließlich nach Mauer. Dort war ein Mahnfeuer geplant. Der Korso sorgte an den verschiedensten Punkten für Staus im Feierabendverkehr. "Wir wollen aber gar nichts verursachen, was die Leute in ihrem Tagesablauf stört oder behindert", erläuterte Detlev Geyer, der die Protestfahrt organisiert hat. Es gehe vielmehr darum, dass die Anliegen der Landwirte wahrgenommen werden.

Das war durchaus der Fall: Einige andere Verkehrsteilnehmer reckten beim Anblick der Traktoren den Daumen nach oben, winkten lächelnd oder drückten hupend ihre Unterstützung aus. Selbst Lkw-Fahrer auf der A 6 ließen die Signalhörner erschallen, als die Traktoren auf einer Brücke über der Autobahn unterwegs waren.

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An manchem Kühlergrill oder Frontlader hatten die Landwirte Aussagen angebracht wie "Agrardiesel streichen – nicht mit uns!" Nach etlichen anderen Verordnungen sei diese Maßnahme sowie die Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge quasi über Nacht auf die Bauern zugekommen, sagt Geyer. Und sie treffe Familienbetriebe, die oft nur über die Runden kämen, weil die ganze Familie inklusive Oma mit anpackt, hart: "Für mich wären das 8000 bis 12.000 Euro Mehrkosten im Jahr", schätzt Achim Mattern, Landwirt aus Helmstadt. "Diese Kosten können wir nicht auf unsere Produkte umlegen."

Auf diese Weise könnten Landwirte nicht am technischen Fortschritt teilhaben, wirft Roger Gebhardt aus Kirchardt-Berwangen ein. Er verweist auf seine neue GPS-gesteuerte Pflanzenschutzspritze, mit deren Hilfe er viel Pflanzenschutzmittel einsparen könne. Doch solche Maschinen seien teuer. Und die Bio-Landwirte treffe das Ende des Agrardiesels besonders hart, denn sie müssten häufiger aufs Feld fahren, da sie Unkraut nicht mit Pflanzenschutzmitteln, sondern auch mit mechanischer Bodenbearbeitung bekämpften. So werde eine gewünschte Entwicklung torpediert.

Wie es nun weiter geht? "Wenn die Maßnahmen bis 8. Januar nicht vom Tisch sind, dann rumpelt es richtig", sagt Geyer. Auf die Frage, was das konkret heißt, sagt er, dass Bauern dann auch ganz bewusst den Verkehr blockieren könnten – sei es, weil ein Traktor mitten in der Stadt einen Platten habe. Oder man einen Anhänger voll Mist auskippt, wirft ein anderer Landwirt ein, und die umstehenden Kollegen nicken entschlossen.

Mehr Teilnehmer als erwartet, ungefähr 300, kamen auf ihrer Protestfahrt auch in Rauenberg und Wiesloch vorbei. Einige Mitstreiter hatten sich im Gewerbegebiet Hohenaspen getroffen. Ihr Ziel: eine Kundgebung mit Mahnfeuer in Mauer, ein Abbild der Großdemonstration in Stuttgart. Die Landwirte wehren sich gegen die geplante Streichung von Steuererleichterungen auf Dieselkraftstoff – so viel zu zahlen wie Speditionen, obwohl sie kaum auf Straßen fahren, sei nicht möglich. Die Landwirte haben auf jeden Fall Aufsehen erregt, der Verkehr – vor allem am provisorischen Kreisel an der Tuchbleiche sowie in Altwiesloch – kam teilweise nur schleppend voran.

 In der Spitze bis zu 400 Fahrzeuge und mehrere hundert Teilnehmer zählte der Protestzug der Landwirte, der am Donnerstagabend mitten im niederprasselnden Regen am Mahnfeuer in Mauer endete. Der Schauer ging aber zu Ende, das Feuer auf der Ackerfläche brannte weiter, und immer noch weit über 100 Personen versammelten sich am Ende der in einer langen Reihe im Wiesental abgestellten Schlepper. Sie tauschten sich bei Heißgetränk, "Weck, Worscht un’ Fleischkäs" nochmals über ihren Protest und den Erfolg der Aktion aus.

"Wir wollen der Bevölkerung die Augen öffnen" erklärte Dominik Ernstberger. Der Landwirt aus Sinsheim-Weiler gehörte zusammen mit Jonas und Lukas Hering aus Mauer sowie mit Uwe Maurer und Carsten Max aus Meckesheim zu den Organisatoren der großen Trecker-Protestfahrt. Sie haben sich auch um den Abschluss in Mauer gekümmert. Die Protestfahrt begann nachmittags in Meckesheim, führte nach Sinsheim und über Mühlhausen, Walldorf und Baiertal zurück nach Mauer. Nach Angaben der Polizei stießen immer wieder weitere Teilnehmer dazu, sodass es in der Spitze 350 Traktoren und 50 Lkw und Autos waren.

"Ja! Bravo!" jubelte etwa Kurt Rademacher, Fachhandwerker Heizungstechnik aus Mauer den einfahrenden Treckern zu. "Endlich wehrt sich mal jemand!" Er sei eigens früher vom Urlaub aus dem Elsass zurückgekehrt, "um dem Respekt zu zollen". Dies taten auch Landtagsabgeordneter Albrecht Schütte und Meckesheims Bürgermeister Maik Brandt (beide CDU). Schütte wiederholte in Gesprächen mit den Landwirten, was er vormittags im Landtag zu Bundeshaushalt und schlagartigem Streichen von Kfz-Steuerbefreiung und der Agrardiesel-Ausgleichszahlungen in der Landwirtschaft gesagt hatte.

Der Saatgutvermehrer Achim Mattern aus Helmstadt beklagte, dass die Steuerzuschläge für Trecker und Anhänger noch schlimmer seien als die Verteuerung des Diesels, da der Kraftstoffpreis immerhin Schwankungen unterliege. Wenn der Landwirtschaft die Möglichkeit zu Investitionen entzogen werden, führe das zu weiteren Hofaufgaben, sind sich viele der Bauern in Mauer sicher. Christoph Heiß aus Meckesheim spricht von 2500 Euro Zusatzkosten, die jetzt auf seinen Nebenerwerbsbetrieb zukommen. "Bis 2012 waren wir ein Milchviehbetrieb", aber die Investitionen für einen neuen Stall hat die Familie nicht mehr aufgenommen und betreibt nun nur noch Ackerbau.

Aber auch hier ist Geldeinsatz erforderlich: "Für eine Sämaschine 30.000 Euro, die Sie aber nur zwei bis drei Wochen im Jahr brauchen", schildert Heiß alltäglichen Geldaufwand in einer Branche, deren Einkommen auch stark wetterabhängig ist. Zwar sei er als Physik- und Mathelehrer am Schmitthenner-Gymnasium in Neckarbischofsheim beruflich abgesichert, aber Haupterwerbslandwirte sehen sich durch die Entscheidungen jetzt schnell vor existenzielle Fragen gestellt.

908 Bauern zählte das Landwirtschaftsamt 2022 im Rhein-Neckar-Kreis, die Anträge auf Zahlungen von EU-Geldern stellten – 344 im Haupt-, 564 im Nebenerwerb. "Ist der Bauer ruiniert, wird Dein Essen importiert", verweist ein Schild an einem der Traktoren auf die mögliche Folge, dass immer mehr eigenständige inländische Lebensmittelproduktion aufgegeben wird. Heiß’ Hof blickt auf eine 400-jährige Familientradition zurück. "Da will ich nicht der sein, der den Schlüssel endgültig rumdreht."

Die bundesweiten Proteste, darunter auch in Eppelheim, Schriesheim und jetzt im Kraichgau, seien erst der Anfang. Sollte die Ampel-Koalition ihre Ankündigung nicht zurücknehmen, werde es im Januar damit weiter gehen, bekräftigten Heiß und Mitorganisator Uwe Maurer.

Update: Freitag, 22. Dezember 2023, 19.23 Uhr

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