Wenn verärgerte Autofahrer gewalttätig werden (plus Videos)
Polizeigewerkschafter Ralf Kusterer greift nach den Vorfällen in Mannheim die "Letzte Generation" scharf an. Ein frustrierter Autofahrer hatte auf zwei Aktivisten eingeschlagen.

Von Marco Krefting und Alexander Albrecht
Mannheim. Der Unmut in der Bevölkerung gegenüber Protest-Aktionen der Klimaschutz-Gruppe "Letzte Generation" äußert sich auch handfest. Die Aktivisten berichteten am Donnerstag, ein Autofahrer habe am Vorabend Teilnehmer eines Protestmarschs auf der B36 in Mannheim getreten und ins Gesicht geschlagen.
Das zeigen zudem kurze Szenen eines Videos, das die "Letzte Generation" auf dem Nachrichtendienst X (früher Twitter) verbreitet. Zu sehen ist der Autofahrer, wie er aus seinem Wagen mit Mannheimer Kennzeichen aussteigt und wild auf zwei am Boden sitzende Teilnehmer einschlägt, einem davon ins Gesicht.
Die Aufnahmen zeigen zudem andere Pkw-Lenker, die den Demonstranten Plakate aus den Händen reißen. "Die Bundesregierung hat unseren Protest so lange ignoriert, dass es nun zu solchen Szenen wie am Donnerstag in Mannheim gekommen ist. Das betrübt und schockiert uns. Wir setzen unsere friedlichen Proteste gegen den verfassungswidrigen Kurs der Bundesregierung in Richtung Klimahölle fort”, erklärte eine Sprecherin der "Letzten Generation".
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Das Mannheimer Polizeipräsidium hatte nach eigenen Angaben erst durch Medien von dem Vorfall erfahren. "Es befanden sich zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung noch keine Beamten vor Ort", sagte ein Sprecher. Bereits am Donnerstagabend konnten die Beamten dann aber den Schläger in Ludwigshafen ausfindig machen und vorläufig festnehmen. Nach den polizeilichen Maßnahmen und einem eingeleiteten Verfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung wurde er wieder entlassen.
Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, berichtete von zunehmendem Druck auf die Beamten bei Einsätzen rund um die Proteste. Derweil sorgt ein Vorfall in Stuttgart für Aufsehen, bei dem sich Aktivisten auf eine Straße gesetzt und so laut den Ermittlern Rettungskräfte an der Weiterfahrt behindert haben.
Polizeiliche Einsätze bei Straftaten und Ordnungsverstößen der Klimaschützer nehmen Kusterer zufolge zu. "Dabei treten die Opfer der ,Letzten Generation’, Tausende von Bürgerinnen und Bürger, leider immer mehr in den Hintergrund", erklärte der Gewerkschafter. Vielmehr scheine es um die Protestaktionen und deren Darstellung in der Öffentlichkeit zu gehen.
Das führe immer mehr zu Forderungen nach einem harten und konsequenten Vorgehen. "Die Menschen erwarten vom Staat, dass er ihre persönliche Freizügigkeit garantiert", erläuterte Kusterer. Dazu zählten die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs. Und natürlich gehöre zur Wahrheit, dass sich dieses Spannungsverhältnis auch auf die Polizei übertrage.
Die Einsatzkräfte beseitigten seit Wochen hochprofessionell die Störungen, wendeten sich tausendfach den Rechtsbrüchen zu und könnten dadurch andere Aufgaben nicht wahrnehmen, teilte Kusterer mit. Das geschehe aus Sicht der Gewerkschaft mit großer Gelassenheit. "Dabei hätte ich durchaus auch Verständnis dafür, wenn dem einen Kollegen oder der anderen mal die Hutschnur reißt", so Kusterer. "Auch wenn es in unserem Rechtssystem dazu gehört, dass er oder sie sich dann dafür verantworten müsste." Das gelte selbst dann, würde derjenige breite Zustimmung aus der genervten Bevölkerung erhalten.
Derzeit sorgen vor allem die Vorfälle am Samstag auf der Konrad-Adenauer-Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen für Aufsehen, wo eine Polizistin einer festgeklebten Aktivistin Öl, das zum Lösen des Klebstoffs genutzt wird, über den Hinterkopf gegossen haben soll. Die "Letzte Generation" hatte Videos von dem Vorfall auf X veröffentlicht und Vorwürfe auch mit Blick auf Leibesvisitationen im Polizeigewahrsam publik gemacht.
Druck aus der Bevölkerung rechtfertige ein wie in dem Zusammenhang geschildertes Vorgehen nicht, sagte die Landesbürgerbeauftragte Beate Böhlen dem Südwestrundfunk. "Und vor allem darf die Polizei, die das Machtmonopol im Staat hat, sich natürlich nicht vom Druck einer Bevölkerung zu irgendwelchen Maßnahmen hinreißen lassen, die ihrer Machtstellung entgegenstehen", sagte die Grünen-Politikerin.
Das Polizeipräsidium Mannheim prüft straf- und disziplinarrechtliche Folgen. Nach Auskunft eines Sprechers vom Donnerstag werde das voraussichtlich noch einige Tage dauern, weil alle beteiligten Aktivisten und Beamten ermittelt und gehört werden müssten. Anzeige gegen die Polizistin sei derweil bislang nicht erstattet worden.
Dass die Beamten nach der Aktion elf Menschen in Gewahrsam genommen hatten, war nach Einschätzung des Strafrecht-Professors Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt gerechtfertigt. Landesumweltministerin Thekla Walker bezeichnete die Methoden der Klimaaktivisten in einem Interview mit der RNZ als kontraproduktiv.
Trotz der von den Störern selbst gewählten Materialien sei die Polizei bemüht, die Menschen beim Entfernen nicht zu verletzen, betonte Kusterer. "Ich glaube, der Begriff ,mit Samt-Handschuhen’ bezeichnet diesen Vorgang korrekt." Aus seiner Sicht verletzen die Menschen "täglich die Menschenwürde der eingesetzten Polizisten, die bei brütender Hitze fanatische Rechtsbrecher von der Straße holen müssen".
Eine Bewertung des Sachverhalts in Mannheim anhand des Videos sei schwierig, erklärte Kusterer. Es dürfte nach seiner Einschätzung aber wohl keine Straftat vorliegen. "Eins ist auf jeden Fall klar: Der Fall wird geprüft – und zwar in aller Gründlichkeit und in allen Details", sagte Kusterer. Sollte sich daraus ein ahndungswürdiger Vorwurf ergeben, werde man diesem innerhalb der Mannheimer Polizei konsequent nachgehen. "Darüber bin ich mir absolut sicher."
Update: Freitag, 8. September 2023, 12.10 Uhr