Ein Wohnheim von Studierenden für Studierende
In Heidelberg hat mit dem Collegium Academicum das erste Wohnheim eröffnet, in dem Studierende alle Entscheidungen treffen. RNZ war zu Besuch bei einer der 46 Pionier-WGs.

Von Leon Kaessmann
Heidelberg. Lautes Hämmern und Rockmusik schallen durch den Innenhof des "Collegium Academicum" (CA). Im imposanten Holzbau im Süden von Rohrbach ist Leben eingekehrt: Dutzende Studierende und Auszubildende gehen ein und aus. Seit Februar wohnen sie nun im selbstverwalteten Wohnheim, das sich nicht nur optisch von anderen Wohnheimen unterscheidet.
Hintergrund
> Das Collegium Academicum ist ein selbstverwaltetes Wohnheim für Studierende und Auszubildende mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Finanziert wurde das Projekt mit Fördermitteln, privaten Direktkrediten und Spenden, sowie Sponsoring und viel Eigenleistung. Die
> Das Collegium Academicum ist ein selbstverwaltetes Wohnheim für Studierende und Auszubildende mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Finanziert wurde das Projekt mit Fördermitteln, privaten Direktkrediten und Spenden, sowie Sponsoring und viel Eigenleistung. Die Kosten für Neu- und Altbau betragen zusammen etwa 29 Millionen Euro. Baustart war im Juli 2019, die Eröffnung wurde mehrfach verschoben. Im Holzbau, dem Hauptgebäude, leben seit Februar 176 Menschen in 46 Wohneinheiten. Im angrenzenden Bestandsgebäude werden ab Winter 2023 etwa 50 junge Menschen im Rahmen eines Orientierungsjahrs wohnen. Im Gebäude sollen zudem acht Wohnungen entstehen, davon sechs Sozialwohnungen. lka
An einem sonnigen Montagvormittag lädt WG "Nummer 13.2" zu sich nach Hause ein. Drei von vier Bewohnern sind da. Die Stimmung ist gut. "Wir haben heute mehr als acht Stunden geschlafen", sagt Florian grinsend. "Das war auch nötig nach den letzten Tagen." Auf WG- und Grillpartys seien sie da gewesen, die offene Struktur des Wohnheims biete "tolle" Möglichkeiten für Zusammenkünfte: "Es ist immer etwas los."
Treppen und Brücken durchziehen das Gelände des CA und verbinden die 46 Wohneinheiten des Neubaus miteinander. Wäschegestelle, Sofas und weitere Sitzgelegenheiten schmücken die Durchgänge und laden zum Verweilen ein. Die Eingänge der Wohnungen liegen in Richtung Innenhof, umschließen einen noch unbepflanzten Gemeinschaftsgarten. Neben der für alle zugänglichen Werkstatt findet sich das Aulagebäude samt Dachterrasse auf dem Gelände, in dem bald auch Veranstaltungen mit über 500 Menschen stattfinden sollen. Oben drauf stehen drei Wohnungen als "Auladeckel", wie die Bewohner sagen, darunter "Nummer 13.2".
Drei der vier Bewohner haben entschieden, auf einen Teil ihrer persönlichen Fläche zu verzichten. Verschiebbare Wände ermöglichen es, die Hälfte der standardisierten 14-Quadratmeter-Zimmer der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Die "absolut richtige Entscheidung", so der Konsens der drei. Einziger Nachteil: "Es ist schon ziemlich hellhörig", stellt Florian fest. Doch mit Kommunikation lasse sich auch das regeln.
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So ist genug Platz für eine ausgedehnte gemeinschaftliche Wohnfläche. An der Wand lehnen eine Gitarre und ein Klavier, Sticker zieren die Kühlschranktür, grüne Pflanzen neben zwei geschenkten Sofas sorgen für eine Wohlfühlatmosphäre. Typisch Studi-WG halt. Nur zahlen die CA-Bewohner nur etwa 340 Euro pro Zimmer – warm. Laut dem Online-Portal WG-Gesucht kostet ein Zimmer in Heidelberg durchschnittlich 485 Euro.
Streit habe es bisher kaum – "eigentlich gar nicht" – gegeben. "Es ist ein großer Spaß", sagt Florian. Vor kurzem hätten sie entdeckt, dass sie gerne zusammen musizieren, so der 21-Jährige. Und weil das CA sich ja selbst verwaltet, lerne man andauernd neue Menschen kennen.
Doch was bedeutet Selbstverwaltung? "Es steht keine große Firma, Vermieter oder Investor hinter uns", erklärt Sara (24). "Um alle wichtigen Entscheidungen kümmern wir uns selbst." Dazu gehören Hausmeister- und Werkstattdienste, aber auch Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften und Workshops und Organisation von Veranstaltungen. Hilfsangebote gibt es auch immer wieder mal, zum Beispiel mobile Fahrrad-Werkstätten. Sara engagiert sich in der Garten-AG und ist im Mediationsteam, das bei Konflikten vermittelt. "Man lernt niedrigschwellig neue Menschen kennen", erzählt sie. "Es herrscht einfach immer eine lockere Atmosphäre."
Entscheidungen, die alle Wohnheim-Bewohner betreffen, werden im wöchentlichen Plenum besprochen. Besonders weitreichende Entscheidungen in halbjährlichen Mitgliederversammlungen. Der Haken: Es herrscht das Konsensprinzip, jeder hat ein Vetorecht. "Kann schon ein wenig dauern, bis ein Thema ausdiskutiert ist", berichtet Florian. Eine kürzliche Debatte über die Vergabe der Wohnheimplätze erwies sich als besonders schwierig. "Doch letztendlich findet man so Lösungen, mit denen fast alle zufrieden sind."
"Ich habe hier ein tolles Zuhause-Gefühl", sagt Sam. Für die 24-Jährige ist das Leben im CA ein krasser Gegensatz zu den amerikanischen Wohnheimen, in denen sie vorher gewohnt hat, nicht so "anonym". Die große Hilfsbereitschaft innerhalb des Wohnheims gefällt ihr besonders.
Sam wird die WG im Oktober wieder verlassen, dann ist sie mit ihrem Bachelor in Musiktherapie fertig. Florian und Sara wollen längerfristig im CA bleiben. Sara freut sich besonders auf künftige Veranstaltungen, zu denen auch Menschen von außerhalb kommen sollen. "Wir haben so viel Unterstützung bekommen", sagt sie, "da wollen wir auch etwas zurückgeben."



