Gaiberg

Kindergarten "Bergnest" schafft Basteln für den Muttertag ab (plus Pro & Contra)

Der Grund sei, dass traditionell "mütterliche" Aufgaben heute auch Väter übernehmen. Die Erzieherinnen und der Elternbeirat stünden hinter der Entscheidung, sagt die Leiterin. Trotzdem gibt es Protest.

13.05.2023 UPDATE: 13.05.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Die Muttertags-Bastelei gab es in diesem Jahr nicht. Foto: Hildenbrand 

Von Lukas Werthenbach

Gaiberg. Auch mancher Vater dürfte sich dieser Tage gefreut haben, dass im Kindergarten gebastelt wurde: Unzählige Kinder werden an diesem Sonntag wieder ihren Müttern etwas schenken, das sie in den Tagen zuvor unter Anleitung einer pädagogischen Fachkraft angefertigt haben.

Im Gaiberger Kindergarten Bergnest ist das in diesem Jahr aber erstmals nicht so: "Wir wollen den Familien die Freiheit geben, den Muttertag mit ihren Kindern so zu gestalten, wie sie möchten", sagt Leiterin Petra Huber-Dasting. Im Gespräch mit der RNZ zeigt sie sich überrascht davon, dass diese Entscheidung bei Eltern für kontroverse Diskussionen sorgt. "Das zeigt aber auch, dass wir damit den Zeitgeist treffen", meint sie.

Der Gaiberger Kindergarten "Bergnest" plant eine pädagogische Neuausrichtung, bei der es völlig „wertfrei“ um die Familie gehen soll. Foto: A. Dorn

"Rollen innerhalb der Familien haben sich verändert", heißt es in einem Brief, der vergangene Woche an die Eltern der Kinder im Bergnest verteilt wurde und der die Entscheidung der Einrichtung erklären soll: "Traditionelle ,mütterliche’ Aufgaben wie zum Beispiel Erziehung und Haushalt werden auch von Vätern ausgeübt."

Aus Sicht der 14 Erzieherinnen, die laut Huber-Dasting diese Entscheidung gemeinsam getroffen haben, wäre "viel sinnvoller ein Elterntag, an dem beide Elternteile gleichermaßen gefeiert werden". Auch der Elternbeirat stehe hinter diesem Schritt, sagt die Kindergartenleiterin.

Sie betont, dass es sich beim Bergnest um eine "neutrale Zone" handele, die weder politisch engagiert sei, noch ein religiöses Leitbild habe. "Wir haben 90 Eltern mit unterschiedlichen Kulturen und Wertvorstellungen – wer bestimmt denn, was Tradition ist und was nicht?", fragt sie in Richtung all jener, die diese Entscheidung kritisieren.

"Es geht ja nicht darum, den Muttertag zu vernichten", sagt sie. Schließlich verbiete der Kindergarten beispielsweise den Vätern nicht, sich mit ihrem Kind hinzusetzen und gemeinsam etwas für den Muttertag zu basteln.

Aber man wolle eben auch keinem eine Idee überstülpen, die nicht mehr überall als zeitgemäß empfunden werde. Das sagt Huber-Dasting auch mit Blick auf immer unterschiedlichere Familienmodelle.

Allgemein plane man aktuell eine pädagogische Neuausrichtung, bei der es völlig "wertfrei" um die Familie gehen soll. Dazu seien auch mehrere Aktionen mit den Kindern vorgesehen. Huber-Dasting, die den Kindergarten seit über 20 Jahren leitet, hebt den Erziehungsauftrag ihrer Einrichtung hervor, bei dem Demokratie und Freiheit ganz oben stünden: "Wir wollen, dass die Kinder hier einen neutralen Ort vorfinden – hier ist jeder gleich."

In Reaktion auf Kritik von Eltern, dass diese Entscheidung im Voraus nicht besser kommuniziert worden sei, erinnert Huber-Dasting an die vielfältigen Aufgaben ihres Teams und sagt: "Es gibt Kindergärten, in denen gar nicht darüber gesprochen wird." In den vergangenen Tagen habe sie sowohl Zuspruch als auch Unverständnis für die Entscheidung geerntet.

Außerdem betont sie: "Es ist mir wichtig, nicht an einer Bastelei festgenagelt zu werden." Gerade in der Kinderbetreuung gebe es so viele Baustellen und Probleme, wobei sich Huber-Dasting stolz auf ihr "toll zusammenarbeitendes Team" zeigt und ihre Zufriedenheit über einen "guten Träger" in Form der Gemeinde äußert.

Und wenn sie auf die teils emotionalen Kommentare von Gaiberger Eltern etwa im Sozialen Netzwerk Facebook blickt, fragt sie: "Gibt ein von Erzieherinnen ausgedachtes und vom Kind gebasteltes Geschenk den Ausschlag, ob eine Mutter glücklich ist?" Schließlich gelte die Liebe zwischen Vater, Mutter und Kind an 365 Tagen im Jahr.


Pro & Contra

Lukas Werthenbach plädiert für die Abschaffung des Muttertags-Bastelns

Die Entscheidung des Bergnest-Teams ist begrüßenswert: In einer immer vielfältigeren, liberalen Gesellschaft müssen – von Vielen noch so lieb gewonnene – Traditionen zunehmend hinterfragt werden. Das gilt insbesondere, wenn es um die Themen Familie und Geschlecht im Zusammenhang mit Pädagogik geht. Mit dem Entschluss zum Verzicht wird keine Familie in irgendeiner Form eingeschränkt. Dagegen zwängt das Muttertags-Basteln als "fester Programmpunkt" aber sämtlichen Kindern ein Konzept auf, mit dem sich vielleicht nicht alle wohlfühlen: Welche Gefühle löst eine solche Aktion in einem Kind geschiedener Eltern aus, das just dieses Wochenende bei seinem Vater verbringt? Was ist mit Kindern, die bei zwei Vätern aufwachsen? Von höchstens Sechsjährigen ist nicht zu erwarten, dass sie offen ihr Unbehagen über diese Situation kundtun. Ein Kunstwerk vom eigenen Kind bleibt ein schönes Geschenk. Aber wenn empörte Eltern wegen der Abschaffung einer auferlegten Bastelaktion "übertriebene" Toleranz unterstellen, liegt die Übertreibung eher in der Reaktion auf diese Entscheidung.

Christiane Barth spricht sich gegen die Abschaffung des Muttertags-Bastelns aus

Muttertagsgeschenke: Ich habe sie alle aufbewahrt, die selbst gestrickten Täschchen mit den krakelig beschriebenen Gutscheinen, die gebastelten Herzen und die gemalten Bilder. Als dreifache Mutter freue ich mich heute noch riesig darauf, dass mich meine inzwischen erwachsenen Kinder am Muttertag besuchen und mich beschenken. Sie zeigen mir ihre Wertschätzung und Dankbarkeit. Sollten wir nicht jede sich bietende Gelegenheit nutzen, den Jüngsten diese Werte, die nicht zu hohlen Worthülsen verkommen dürfen, zu vermitteln? In unserer Ellenbogengesellschaft sind sie leider viel zu sehr in den Hintergrund verdrängt worden. Doch um diese Werte geht es doch im Kern der Sache. Wem die Kinder ihr Bastelwerk schließlich überreichen, könnten diese doch selbst entscheiden – dem Vater, den Erziehern, beiden Elternteilen, der Mutter oder ... So werden veraltete Rollenbilder nicht bedient. Die Bastelaktion im Kindergarten könnte eine Einladung sein: keiner muss, jeder darf. Doch die Botschaft "Mit Liebe gemacht" sollte weitergetragen werden. Sie ist so selten geworden.

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