Plus Badische Landesbühne

Heiner Müllers "Quartett" kam gar nicht an

Auf der Bühne zeigte sich ein innerlicher und äußerlicher Krieg durch und durch.

24.04.2023 UPDATE: 24.04.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 58 Sekunden
Sexualität und Sprache als Waffe. Cornelia Heilmann als Merteuil und Tobias Strobel als Valmont in Heiner Müllers „Quartett“ unter Regie von Alexander Schilling. Foto: Privat

Von Alissa de Robillard

Eberbach. Die Zuschauer in der Stadthalle werden direkt ins Geschehen katapultiert. Den kurzen, zur Ruhe bringenden Moment, bis sich der Vorhang zum "Quartett" von Heiner Müller öffnet, gibt es nicht. Die Schauspieler Cornelia Heilmann und Tobias Strobel, von der Badischen Landesbühne betreten die Bühne zunächst als Puppenspieler, dann in verwirrend wechselnden Rollen.

Sie befinden sich in einem Ambiente, das zwischen hoffentlich ferner Zukunft, einem Dritten Weltkrieg, und legendärer Vergangenheit, der Französischen Revolution, spielt. Inszeniert von Alexander Schilling, werden dem Publikum fragmenthafte Theaterbrocken zugeworfen, die interpretiert werden sollen – mehr noch: interpretiert werden müssen.

Heiner Müller lässt in seinem Werk die ehemaligen Liebhaber Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont, aus dem Briefroman "Gefährliche Liebschaften" von Choderlos de Laclos (1782), erneut aufeinandertreffen. Die Beziehung der beiden Figuren beschränkt sich auf sexuelle Verführung, Machtkämpfe der Geschlechter, Intrigen und Vergänglichkeit der Körper.

Nach dem spielhaften, fast kindlichen Einstieg mit dem Puppentheater, sieht sich das Publikum mit deutscher Rockmusik ("Europa" von Die Nerven) konfrontiert. Das Lied entpuppt sich als politische Statement mit dem Text: "Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie" – angesichts des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehens ein Satz mit vielen Interpretationsebenen.

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Für den Zuschauer ist zum einen der Umgang mit der rohen sexuellen Gewalt, mit der er konfrontiert wird, herausfordernd. Zum anderen ist der Handlungsstrang verwirrend, da die Figuren innerhalb der Szenen ihre Rollen wechseln.

Es wird zum Spiel im Spiel: Merteuil (Cornelia Heilmann) schlüpft auch in die Rolle des Valmont und in die ihrer Nichte Volanges. Der Wechsel zwischen diesen Figuren und Handlungen findet bei ihr symbolisch statt.

So trägt Heilmann in der Rolle der Marquise offenes Haar. Sie bindet es zusammen, wenn sie Valmont verkörpert. Währenddessen spielt Valmont (Tobias Strobel) sich selbst und die religiöse Madame de Tourvel. Es entsteht ein Beziehungsgeflecht aus Verführung, Verlangen und Intrigen, das tödlich endet.

Das Stück ist gespickt mit inhaltlichen Metaebenen. So symbolisiert die Sonnenbrille beispielsweise einen Spiegel. Sie verdeckt aber gleichzeitig die Augen, die der Spiegel der Seele sind.

Das Bühnenbild erinnert an den Bunker, passend zur dystopischen Szenerie, in die Müllers Protagonisten gesetzt werden. Die Handlung findet, nach Regieanweisung des Autors, zwischen einem Salon vor der Französischen Revolution und einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg statt.

Harte Ecken und Kanten beschreiben nicht nur das Bild, sondern auch den Inhalt des Stückes: Es ist hart und eckt an. Nicht umsonst geht dem "Quartett" eine Triggerwarnung voraus.

Die Kostüme spiegeln das "Setting" wieder. Sie bestehen aus Rüschen, die stark an die Mode zur Zeit der Französischen Revolution erinnern. Die Schnitte und Farben der Kostüme erinnern aber auch an eine Militäruniform. Das passt sowohl in die Zeit der Revolution, als auch ins "Dritte-Weltkrieg-Szenario". Alles erinnert an Stein und Kälte.

Inhaltlich beschränkt sich Müllers Zweipersonenstück auf die Verruchtheit der Protagonisten. Die ununterbrochene triebgesteuerte Aggression ist das Leitmotiv des "Quartett". Die Liebe soll sich hier als brutales Spiel um Gewalt und Macht zeigen. Laut Programmankündigung soll sie darin "Abbild einer auf Herrschaft, Ausbeutung und Materialismus gegründeten Gesellschaft" sein.

Auf der Bühne zeigt sich im "Quartett" ein innerlicher und äußerlicher Krieg durch und durch. Die Figuren selbst kämpfen mit ihren eigenen Geistern – sollen sie festhalten an den Werten oder sich der Sünde hingeben? Vor allem aber kämpfen sie gegeneinander. Mit dem Ziel der körperlichen und geistigen Dominanz über den anderen.

Das ist kein Stück für jedermann, was sich an den Reaktionen der Zuschauer zeigt. Zwischen beschämtem Schweigen und unruhigen Hustern verlassen Besucher das Schauspiel. Zu sehr spitzen die Figuren ihre Dialoge im Hin und Her an Beleidigungen zu, die sich auf körperliche Merkmale und sexuelle Provokation beschränken.

Während auf der Bühne dieser K(r)ampf zwischen Mann und Frau stattfindet, ist es im Publikum eher ein Kampf zwischen Verständnis und Unbehagen. Dieses Gefühl erreicht den Höhepunkt beim Anblick des Gemächts von Strobel, der in der Rolle der Madame Trouvel sagt: "Ich bin eine Frau Valmont". Damit sind jegliche Grenzen durchbrochen.

Der Schluss des Schauspiels erinnert in seiner Inszenierung an den Anfang: Nachdem Merteuil Valmont vergiftet hat, läuft sie mit weichen Knien – begleitet von Lala Andersons "Das Meer" – auf das Publikum zu. Es ist ein Kratzer in der Schallplatte zu hören, das Licht geht aus, unangenehme Ruhe im Raum.

Die Erlösung durch den Applaus gibt es erst nach langen Minuten des Schweigens. Ob sich Merteuil selbst auch vergiftet hat und stirbt, darf sich der Zuschauer selbst ausmalen.

Eine solche Inszenierung mag für ein Publikum geeignet sein, das sich mit Grenzüberschreitungen, Provokationen und Geschlechterrollen auseinandersetzen möchte. Bei den meisten der rund 30 Zuschauer in der Eberbacher Stadthalle kommt sie nicht an.

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