Verteidigerin Beate Bahner zieht NS-Vergleich in Plädoyer
Es fielen Worte wie "Terror"- und "Schauprozess". Es gab eine Reihe von Nebenschauplätzen.

Von Philipp Weber
Weinheim. Zum Schluss gab es Blumen für die Ärztin: Als sich die Verhandlung vor dem Weinheimer Amtsgericht dem Ende näherte, hatte die Hauptangeklagte Blumensträuße auf ihrem Tisch liegen. Als das Urteil gefallen war, trat sie damit vor ihre Anhänger, die draußen bis in die Abendstunden ausgeharrt hatten. Und wieder wurde sie bejubelt.
Ein Abschied im Triumph war es trotzdem nicht. Das Schöffengericht hat die seit den 1990er Jahren praktizierende Ärztin am Montag zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem verhängte das Gericht ein dreijähriges Berufsverbot sowie ein vorläufiges Betätigungsverbot, das sofort in Kraft trat. Eine Angestellte kam mit einer Geldstrafe davon, wegen Beihilfe.
>>> Die Staatsanwaltschaft fechtet das Urteil an und will eine härtere Strafe <<<
Laut Gericht ist erwiesen, dass die Ärztin zwischen Mai 2020 und Januar 2021 in 4374 Fällen unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt hat, um Menschen aus ganz Deutschland von der Maskenpflicht zu befreien.
Da für die Atteste je eine einstellige Gebühr fällig wurde, nahm sie über 28.000 Euro ein, die eingezogen werden. Es war das Ende eines Prozesses, der bundesweit Aufsehen erregte und in der Spitze 170 Protestierende anzog.
Sicherheitskräfte schützten das Gericht. Jeder Zuschauer und Beobachter wurde durchsucht. Einige der Protestierenden bezeichneten sich selbst als "Widerstandskämpfer". Andere betonten im Gespräch, wie sehr die Ärztin ihnen geholfen habe. Transparente verrieten, dass sie den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern mit Skepsis gegenüberstehen.
Das war indes nicht der einzige Nebenschauplatz. Eigentlich hätte das Urteil schon kurz vor Weihnachten fallen sollen. Doch die Verteidiger Beate Bahner und Ivan Künnemann teilten Richterin Eva Lösche damals mit, dass sie zu krank seien, um ihren Pflichten nachzukommen. Als es nun ans Ende der Hauptverhandlung ging, stellten sie mehrere Befangenheitsanträge gegen Lösche.
Bahner zeigte Lösche zudem wegen übler Nachrede, falscher Verdächtigung und Rechtsbeugung an. Hintergrund war ein Gespräch im Vorfeld des vorletzten Verhandlungstags, in dessen Zuge Bahner krank, aber ohne Maske vor der Richterin erschien, wogegen diese sich wehrte. Kein Antrag hatte Erfolg. Die Anzeige ist Sache der Staatsanwaltschaft.
Diese wird auch die Äußerungen Bahners auf strafrechtliche Relevanz prüfen müssen. Bahner – die eigentlich "nur" die Mitangeklagte repräsentierte – hielt ein dreistündiges Plädoyer, das vor Argumenten aus dem "Querdenker"-Lager nur so strotzte. Eines davon lautete, dass Covid-19 keine reale Gefahr sei, weil doch kaum jemand Corona-Tote im eigenen Umfeld zu beklagen habe. Es fielen die Worte "Terror-" und "Schauprozess".
Den Ärzten, die sich an die Coronarichtlinien von Bund und Ländern hielten, unterstellte Bahner "Geldgeilheit", Presse, Funk und Fernsehen einen Propagandakrieg.
Skandalös wurde das Plädoyer, als Bahner zumindest einen mittelbaren Zusammenhang zwischen dem Weinheimer Gericht und dem nationalsozialistischen Volksgerichtshof herstellte. Dieser hatte unter anderen die Geschwister Scholl wegen ihres Widerstands gegen Hitler 1943 zum Tode verurteilt.
Es war allerdings nicht nur Getöse zu vernehmen. Bahner und vor allem ihr Kollege Künnemann, der die Ärztin vertrat, versuchten durchaus, mit Argumenten Freisprüche zu erreichen. So bezweifelten sie, dass es sich bei den Maskenattesten um "Gesundheitszeugnisse" im Sinne des Gesetzes handelt.
Sie führten aus, dass der Gesetzgeber andere Fälle im Auge hatte: Ein Einkauf ohne Mund-Nasen-Schutz sei nicht mit Ansprüchen an Kranken- und Rentenversicherungen zu vergleichen, deren Vermögen man vor Betrug mit falschen Attesten bewahren wollte. Die Verteidiger stellten zudem die Frage in den Raum, ob eine Untersuchung der Patienten gerade hier zwingend sei. Immerhin hätten viele Praxen Patienten am Telefon krankgeschrieben.
"Wie hätten die auf den Attesten vermerkten Symptome wie Atemnot mit vertretbarem Aufwand bewiesen werden können?", fragte Künnemann. Außerdem habe der Gesetzgeber nicht geklärt, welche Symptome eine Ausnahme von der Maskenpflicht rechtfertigen. Seine Mandantin habe die Atteste nicht beliebig verteilt, von ihren Bestandspatienten seien nur zehn bis 15 Prozent vom Mund-Nasen-Schutz befreit worden.
Und: Die Ärztin habe keine Atteste mehr ausgestellt, nachdem Anfang 2021 die Praxis durchsucht wurde. Die Angeklagte habe zwar eingeräumt, Atteste ohne vorherige Untersuchung ausgestellt zu haben. Dies sei aber kein vollumfängliches Geständnis. Und die Polizei habe zur Ermittlung der Zahl der Atteste ja vor allem die gezahlten Gebühren "hochskaliert".
Die Ärztin selbst erklärte in ihrem "letzten Wort", dass etliche Atteste Herzpatienten oder gesundheitlich empfindlichen Schülern galten. Diese hätten unter dem Mund-Nasen-Schutz gelitten und Hilfe gebraucht. Beim Arzt finde sich ein höherer Anteil empfindlicher Menschen wieder als in der Normalbevölkerung.
Ebenso wie Bahner erklärte auch sie anhand eigens recherchierter Studienergebnisse, wie nutzlos, ungesund und sogar gefährlich die meist aus Fernost importierten Masken seien. Sie berief sich auf das "Genfer Gelöbnis", das es Ärzten verbiete, anderen Interessen zu dienen als denen der Patienten.
"Uns ist heute einiges zugemutet worden", resümierte Richterin Lösche nach der Urteilsverkündung. Bahners Ausführungen seien erschreckend. Einige Argumente der Verteidigung und der Ärztin hätten mit dem Anspruch von Strafrechtlern nichts zu tun.
Die Kommentare, die es zum hier maßgeblichen Paragrafen 278 im Strafgesetzbuch gibt, seien kaum erörtert worden. Sie wäre bereit gewesen, Künnemann zu folgen, "wenn es sich nur um Bestandspatienten dieser Praxis gehandelt hätte". Doch diese hätten in dem Betätigungsfeld, das sich die Ärztin seit Mai 2020 erschloss, keine Rolle gespielt. Die Maskenbefreiungen seien abgelaufen wie Verkaufsvorgänge.
Krankschreibungen via Telefon seien möglich, "wenn der Arzt Patient und Krankengeschichte kennt". Aber eben nicht in über 4000 Fällen und mit Menschen, die nie in der Praxis waren. "So stellt sich der Gesetzgeber keine medizinische Tätigkeit vor."
Die Beweise lägen auf dem Tisch, die Ärztin habe gestanden, wenn auch ohne Reue. Daher bewege sich das Gericht ein Stück weit von der Forderung der Staatsanwaltschaft (dreieinhalb Jahre) weg. Aber: Es sei viel Geld geflossen, und die Ärztin habe sich "wie eine Halbgöttin in Weiß" vielfach, massiv und mit krimineller Energie über das Gesetz gestellt.
Das vorläufige Berufsverbot sei hart, aber die Ärztin habe sich als "Überzeugungstäterin" erwiesen. Diese legt Berufung ein, wie ihr Anwalt Künnemann bereits kurz nach Urteilsverkündung sagte.