Staatsanwaltschaft will härtere Strafe für Ärztin
Die Weinheimer Ärztin wurde wegen falscher Maskenatteste zu einer Haftstrafe verurteilt. Es hat harte berufliche Konsequenzen.

Mannheim/Weinheim. (dpa/lsw) Die Staatsanwaltschaft Mannheim ficht das Urteil in einem der größten Prozesse wegen falscher Maskenatteste während der Corona-Pandemie an.
Das Urteil des Amtsgerichts Weinheim gegen eine Ärztin wegen Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse entspreche nicht den Vorstellungen der Anklagebehörde, sagte deren Sprecher der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. Um eine härtere Strafe zu erwirken, habe man Berufung zum Landgericht eingelegt. Die Details zu den Plädoyers lesen Sie hier.
Das Amtsgericht hatte die Ärztin am Montag zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt - es geht um 4374 Fälle. Zudem verhängte es ein dreijähriges Berufs- sowie eine vorläufiges, sofort in Kraft tretendes Betätigungsverbot.
Überdies sollen rund 28.000 Euro eingezogen werden, die die Frau für die Befreiungen von der Maskenpflicht eingenommen hatte. Insbesondere stoße man sich an der aus Anklage-Sicht zu milden Haftstrafe, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, die auf dreieinhalb Jahre Haft plädiert hatte. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert.
Darüber hinaus hatte das Gericht eine Angestellte der Weinheimer Ärztin wegen Beihilfe zu einer Geldstrafe verurteilt. Bundesweit hätten Menschen entsprechende Atteste bestellt und bekommen - ohne dass die Ärztin sie untersucht oder auch nur Kenntnisse über etwaige Vorerkrankungen gehabt hätte.
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Update: Mittwoch, 4. Januar 2023, 14 Uhr
Haftstrafe und Berufsverbot für Ärztin wegen 4374 falscher Atteste
Von Philipp Weber
Weinheim. Sie darf ihre Praxis bereits am heutigen Dienstag nicht mehr öffnen: Eine in Weinheim praktizierende Ärztin ist am Montagabend vor dem Amtsgericht zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Sie erhielt ein dreijähriges Berufsverbot.
Außerdem setzte das Schöffengericht ein vorläufiges Berufsverbot in Kraft. "Wenn Sie morgen Ihre Praxis für Patienten öffnen, machen Sie sich strafbar", so Richterin Eva Lösche zu der Angeklagten. Lösche und ihre Schöffen sehen es als erwiesen an, dass sich die Allgemeinmedizinerin in 4374 Fällen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisses schuldig gemacht hat.
Mit den Attesten befreite die seit den 90er Jahren niedergelassene Ärztin zwischen Mai 2020 und Januar 2021 Menschen von der Maskenpflicht. Einen Gutteil der Patienten hat sie weder untersucht noch persönlich gekannt.
Letzteres sei aber die Grundlage ärztlicher Arbeit, selbst wenn Patienten in Zeiten der Telemedizin nicht mehr wegen jeder Krankschreibung in die Praxis kommen, so die Richterin. Mit der Freiheitsstrafe und dem Berufsverbot blieb sie nur knapp unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, die dreieinhalb Jahre Haft gefordert hatte.
Eine Bürokraft der Ärztin saß wegen Beihilfe ebenfalls auf der Anklagebank. In ihrem Fall sah das Schöffengericht von der staatsanwaltlich beantragten Bewährungsstrafe ab. Es blieb bei einer Geldstrafe von rund 2700 Euro.
In ihrer Urteilsbegründung warf die Richterin der bisher unbescholtenen Ärztin vor, sich "wie eine Halbgöttin in Weiß" über das Gesetz gestellt zu haben. Die Medizinerin habe zwar eingeräumt, die Atteste ohne eine vorherige Untersuchung der Patienten ausgestellt zu haben, sich dabei aber mit im Recht gewähnt.
Die Ärztin hatte in ihrem kämpferischen "letzten Wort" die Maskenpflicht vehement kritisiert. "Das hier war aber kein Coronaprozess, das Urteil wäre auch so ausgefallen, wenn es alsche Atteste wegen Rückenschmerzen gewesen wären", so die Richterin am Ende eines rund zehn Stunden langen Verhandlungstags.
Die Verteidiger Ivan Künnemann und Beate Bahner hatten mehrere Befangenheitsanträge gegen Richterin Lösche gestellt, ohne Erfolg. Allein Bahner, die die Angestellte vertrat, plädierte drei Stunden lang.
Dabei zog sie höchst strittige Parallelen zu den Morden der NS-Justiz. Bis zu 170 Anhänger der Ärztin protestierten vor dem Gericht. Als das Urteil gesprochen war, warteten noch 20 Menschen. Die Ärztin geht in Berufung. Das kündigte ihr Anwalt noch vor der Tür an.
Update: Montag, 2. Januar 2023, 20.45 Uhr
Wieder Demo bei Masken-Prozess
Weinheim. (web) Rund 135 Demonstranten hatten sich am Montagmorgen vor dem Weinheimer Amtsgericht versammelt. Doch nach einer halben Stunde konnten sie wieder gehen: Im Prozess gegen eine in Weinheim niedergelassene Allgemeinmedizinerin ist auch am zweiten Verhandlungstag kein Urteil gefallen.
Die Verteidiger Ivan Künnemann und Beate Bahner sahen sich gesundheitlich nicht in der Lage, ihre Plädoyers zu halten. Künnemann sprach einige Momente, brach das Plädoyer dann aber ab. Richterin Eva Lösche vertagte die Fortsetzung der Hauptverhandlung auf Montag, 2. Januar, 9 Uhr.
Der unter anderem an der Heidelberger Frauenklinik ausgebildeten und seit 1996 niedergelassenen Ärztin droht ein hartes Urteil. Die Anklage hatte bereits am Ende des ersten Verhandlungstags eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren sowie ein dreijähriges Berufsverbot gefordert: Die Beweisaufnahme habe erwiesen, dass die Ärztin zwischen Mai 2020 und Januar 2021 in 4374 Fällen unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt und vermeintlichen Patienten zugeschickt habe. Damit seien massenhaft Menschen von der Maskenpflicht entbunden worden, ohne dass es Untersuchungen gab.
Darin erkennt die Anklage ein gewerbsmäßiges Handeln – für die Atteste wurde eine Privatgebühr fällig – und kriminelle Energie. Der ebenfalls auf der Anklagebank sitzenden Bürokraft der Ärztin droht eine Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann – und eine Geldbuße von zwei Monatsgehältern. Die Aussagen mehrerer Polizeibeamter und gesicherte E-Mails erhärteten die Vorwürfe.
Das sehen die Medizinerin, die Verteidiger und Demonstranten anders. Die Ärztin beruft sich unter anderem auf das "Genfer Gelöbnis", das Mediziner verpflichte, ihre Kenntnisse nicht gegen ihre Patienten oder die Gesellschaft zu richten. Und die Maske sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.
Auch weitere Argumente der Ärztin und der Verteidiger erinnerten an Ausführungen, die Gegner der Corona-Politik von Bund und Ländern 2020 und 2021 vorgetragen hatten.
Apropos Gesundheit: Zumindest bei Bahner reichte die Kraft aus, um den Demonstrierenden Datum und Uhrzeit des dritten Verhandlungstags zuzurufen. Kurz darauf verließ die Ärztin das Gebäude. Sie wurde lautstark bejubelt.
Update: Montag, 12. Dezember 2022, 19.15 Uhr

Falsche Atteste aus Weinheim durch ganz Deutschland geschickt
Von Philipp Weber
Weinheim. Er trommelt, er schreit. Bis in den Gerichtssaal hört man ihn. Es ist einer der Demonstranten, die am Donnerstag vor dem Weinheimer Amtsgericht protestieren. Sie unterstützen eine Ärztin aus der Stadt. Die Anklage wirft ihr vor, zwischen Mai 2020 und Januar 2021 in 4374 Fällen unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben.
Ihre Bürogehilfin sitzt wegen Beihilfe auf der Anklagebank. Bei einigen der Beteiligten besteht offensichtlich eine Nähe zur Querdenkerszene. Die Ärztin hat sich auf Demonstrationen und im Internet deutlich gegen die Coronaschutzmaßnahmen von Bund und Ländern positioniert.
Im Frühjahr 2020 soll sie sich entschlossen haben, eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu nutzen: Sie soll für Menschen aus ganz Deutschland Atteste ausgestellt haben, die die "Patienten" dazu berechtigten, aus medizinischen Gründen auf die Mund-Nasen-Bedeckung zu verzichten. Da es sich um "Privatrezepte" handelte, nahm sie über 28 000 Euro ein.
Wer ein Attest wollte, meldete sich zum Beispiel per Mail. Das jedenfalls geht aus elektronischen Schreiben hervor, die die Richterin Eva Lösche verliest. In einer Mail stellt sich ein Mann als Betreiber einer Gastronomie in Bayern vor und bittet für sich und seine Belegschaft um Atteste. Die passenden "Symptome" wie etwa "Atemnot" liefern er und andere – zum Teil auf Anraten der Ärztin – mit.
Die Ärztin arbeitet seit 1996 als niedergelassene Allgemeinmedizinerin. Als die Richterin sie fragt, ob sie sich zur Sache äußern wolle, erhebt sich die Medizinerin. Es folgt ein "Plädoyer" wider die Maske. Diese belaste den Organismus bis hin zur Lebensgefahr, löse Stressreaktionen aus und gefährde die Entwicklung ungeborener Kinder. Sie zitiert mehrere Studien.
Es gehe aber um ein rechtliches Problem, nämlich Atteste ohne vorherige Untersuchung, entgegnet Richterin Lösche. Und genau auf diesem Punkt ruht eine der Säulen, auf die sich die Strategie der Verteidiger Ivan Künnemann und Beate Bahner stützt. Er vertritt die Ärztin, sie die Gehilfin. Sie finden, dass keine körperliche Untersuchung nötig sei, um Menschen von der Maskenpflicht zu befreien.
Im Zuge der Pandemie seien Patienten oft auf Grundlage von Telefonaten krankgeschrieben worden. Zudem hätten die "Maskensymptome" kaum im Zuge einer Untersuchung nachgewiesen werden können, argumentieren sie. Außerdem gehen sie – ebenso wie die Ärztin – von der Annahme aus, dass die Maske das Problem sei, nicht der Mensch.
Will heißen: Der Mund-Nasen-Schutz sei gegen Corona so nutzlos und für die Gesundheit so schädlich, dass die Ärztin schon aufgrund ihres Berufsethos handeln durfte.
Hier ist Verteidigerin Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht, in ihrem Element. Sie war bereits 2020 aufgefallen, als sie eine Verfassungsbeschwerde gegen die Coronapolitik von Bund und Ländern einreichte und später zeitweise in Gewahrsam genommen wurde.
Nun beantragt sie, Behördenchefs, leitende Wissenschaftler sowie den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn und seinen Nachfolger Karl Lauterbach als Zeugen vorzuladen. Sie sollen Auskunft darüber geben, wie die Maskenpflicht gemanagt wurde, wie die Produkte kontrolliert wurden und ob diese gefährlich waren.
Auch Künnemann will Fachleute vorladen. Richterin Lösche lehnt diese Beweisanträge ab. Diese seien für das Verfahren "offenkundig überflüssig". Damit ist die Anklage an der Reihe. Diese sieht die Vorwürfe gegen Ärztin und Angestellte als erwiesen an. Die Ärztin habe sich über den Gesetzgeber gestellt.
Das zeuge von einem erheblichen Maß an Rechtsfeindlichkeit und krimineller Energie. Zumal die Attestvergabe gewerbsmäßig erfolgte. Die Gehilfin habe dies billigend unterstützt.
Für die Ärztin beantragt die Staatsanwältin dreieinhalb Jahre Haft sowie ein dreijähriges Berufsverbot, für die Gehilfin ein Jahr und vier Monate auf Bewährung. Einstweilen solle das Berufsverbot für die Ärztin vorläufig ausgesprochen werden. Der Risiken für die Allgemeinheit wegen.
Update: Donnerstag, 24. November 2022, 20.55 Uhr
Demonstration bei Prozess gegen Ärztin
Weinheim. (web) Vor dem Eingang des Amtsgerichts Weinheim war am Donnerstagmorgen kaum ein Durchkommen möglich. Unterstützer einer Weinheimer Ärztin protestierten zum Teil lautstark. Die Medizinerin muss sich vor dem Schöffengericht verantworten, weil sie vielfach Atteste ausgestellt haben soll, die Menschen von der Maskenpflicht befreiten.
Die Anklage geht davon aus, dass nur sehr wenige der Patienten von der Ärztin untersucht wurden. Die Angeklagte beruft sich auf den medizinischen Ethos, der es ihr nicht erlaube, Patienten zu schädigen.
Sie führte in einem längeren Monolog aus, warum sie Masken für nutzlos und sogar gefährlich halte. Die öffentliche Verhandlung wird um 14 Uhr fortgesetzt.