Kritiker-Bündnis sammelt Unterschriften
Kritiker des dort geplanten Gewerbegebiets gehen davon aus, dass das Bürgerbegehren zulässig ist. Die Verwaltung sieht das anders.

Von Philipp Weber
Weinheim. Der Streit um die Hintere Mult geht in eine neue Runde. Kritiker der Erschließung des 11,36 Hektar großen Gebiets im Südwesten der Stadt rufen seit Donnerstag Weinheims Bürger dazu auf, sich auf Unterschriftenlisten einzutragen. Ihr Slogan dazu lautet: "Gemeinsam für die Hintere Mult – Bürgerbegehren gegen das geplante Gewerbegebiet startet!". Das Ziel besteht zunächst darin, bis zum 10. Februar 2500 Unterschriften zu sammeln. Denn die Aktiven sind davon überzeugt, dass ein Bürgerbegehren gegen den am 16. November gefassten Ratsbeschluss, an der gewerblichen Entwicklung der Hinteren Mult festzuhalten, zulässig ist.
> Die Ausgangslage: Um den heutigen Streit zu verstehen, muss man über fünf Jahre zurückgehen. Seinerzeit hatten Firmen wie der Filterhersteller B&S Erweiterungsbedarf angemeldet, und die bis dato landwirtschaftlich genutzte Hintere Mult kam prinzipiell infrage. Denn sie kann laut Flächennutzungsplan zu einem Gewerbegebiet umgewandelt werden. Der Gemeinderat beschloss am 5. April 2017 die Aufstellung eines Bebauungsplans. Das Verfahren nahm daraufhin Hürde um Hürde, um am 22. Mai 2019 in einen Satzungsbeschluss zu münden. Die Mehrheit im Gemeinderat stand, aber der Widerstand gegen die Versiegelung der Flächen war unübersehbar.
Die Kritiker des geplanten Gewerbegebiets zogen vor Gericht. Der Verwaltungsgerichtshof erklärte den Bebauungsplan am 24. Mai dieses Jahres wegen Formfehlern für unwirksam. Der Gemeinderat befasste sich daraufhin am 16. November nochmals mit der Thematik und entschied mehrheitlich, erstens an der Bebauung der Hinteren Mult festzuhalten und zweitens ein ergänzendes (Bebauungsplan-)Verfahren zu initiieren, das die Formfehler "heilt".
Der Idee einiger Stadträte, einen Bürgerentscheid herbeizuführen, erteilte OB Manuel Just eine Absage: Der einleitende Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Hintere Mult sei nach wie vor gültig, die entsprechenden Fristen damit abgelaufen. Zudem drohe B&S mit Weggang.
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> Das Ziel des Bürgerbegehrens: Das Bündnis "Gemeinsam für die Hintere Mult" wendet sich gegen den ersten der beiden Beschlüsse vom 16. November. Dieser lautete: "Der Gemeinderat hält an der Zielstellung fest, in dem Bereich Hintere Mult ein Gewerbegebiet zu entwickeln und hierfür die erforderlichen planungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen." Die Aktiven vertreten die Auffassung, dass der Gemeinderat mit seinem Ja zu diesem Satz einen neuen Grundsatzbeschluss gefasst hat. Und ein solcher kann Gegenstand eines Bürgerbegehrens und – wenn dieses Gültigkeit erlangt – eines Bürgerentscheids werden. Als Vertrauensleute für das Bürgerbegehren werden Fritz Pfrang, Vorsitzender des Bauernverbands, Thomas Bosch, Sprecher der "Schutzgemeinschaft Hintere Mult", und Stefan Mußotter genannt. Unterstützer sind die Vereine Bürgerinitiative Breitwiesen und Landerlebnis sowie die Ortsgruppen von BUND und Nabu.
> Die Rechtsauffassung von "Gemeinsam für die Hintere Mult": Die Kritiker eines Gewerbegebiets in der Hinteren Mult stützen sich auf eine rechtliche Stellungnahme, die der Landesverband von "Mehr Demokratie e. V." abgegeben hat. Unterzeichner ist Landesvorsitzender Edgar Wunder. Ihm zufolge hat sich der Weinheimer Gemeinderat mit seinem ersten Beschlusspunkt vom 16. November aus freien Stücken dazu entschlossen, "nochmals in grundsätzlicher Weise das Für und Wider einer Bebauung in diesem Bereich kontrovers zu diskutieren und auch gesondert darüber abzustimmen, bevor er über die (Wieder)Aufnahme des Bauleitplanverfahrens entschied". Der Form und dem Wortlaut nach handele es sich eindeutig um einen städtebaulichen Grundsatzbeschluss im Vorfeld eines Bauleitplanungsverfahrens. Abgesehen davon habe der Gesetzgeber 2015 die Gemeindeordnung auch noch dahingehend verändert, dass "einleitende Verfahrensbeschlüsse" nicht zwingend auf Aufstellungsbeschlüsse zu reduzieren seien, sondern damit auch andere Verfahrensschritte gemeint sein können, sofern sich diese nur auf das Ob der Bauleitplanung beziehen, nicht auf das Wie.
> Die Auffassung der Stadtverwaltung: "Die Überlegungen, den Gemeinderatsbeschluss vom 16. November mit einem Bürgerbegehren aufzuheben, kommen nicht überraschend", teilt die Verwaltung auf Nachfrage mit. Grundsätzlich gebe die Demokratie jedem die Freiheit, andere Rechtsmeinungen und bereits getroffene demokratische Entscheidungen zu hinterfragen. "Das akzeptieren wir, wenngleich wir uns gewünscht hätten, dass das demokratisch zustande gekommene Ergebnis unseres Hauptorgans auf Akzeptanz stößt." Was die rechtliche Seite betrifft, beruft sich die Verwaltung wie schon im November auf ein Gutachten eines Fachanwaltes für Verwaltungsrecht. Dieses habe sich explizit mit der Frage der Zulässigkeit eines Bürgerentscheids befasst. Demnach ist es einer Gemeinde ausdrücklich erlaubt, Rechtsmängel im Zuge eines ergänzenden Verfahrens zu beheben – auch wenn diese zur Unwirksamkeit eines Bebauungsplans geführt haben. Die Stadt habe 2017 den Aufstellungsbeschluss für das Gebiet Hintere Mult erlassen. Da dieser die Ziele der Planung nicht enthalten müsse, habe er Bestand, wenn und solange die Gemeinde nur weiterhin ernsthaft beabsichtigt, den betreffenden Bereich städtebaulich zu entwickeln oder zu ordnen. Im Rahmen des ergänzenden Verfahrens sei kein erneuter Aufstellungsbeschluss nötig. "Damit hat die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zur Folge, dass ein Bürgerentscheid unzulässig ist."
> Wie es nach der Unterschriftensammlung weitergehen könnte: "Mehr Demokratie e. V." geht davon aus, dass "ein in besonderer Weise formuliertes Bürgerbegehren bei Einreichung bis zum 16. Februar zulässig wäre, um einen Bürgerentscheid herbeizuführen." Heißt: Bis kurz vor Erreichen der Frist werden Unterschriften gesammelt, dann will man das Begehren der Stadt zustellen. Sofern 2500 Unterschriften erreicht werden, müsste sich der Gemeinderat mit dem Bürgerbegehren befassen, so "Mehr Demokratie e. V.". Würde der Rat weiter Nein sagen, käme es zur gerichtlichen Auseinandersetzung. Bei dieser würden die Kritiker von Gewerbe in der Hinteren Mult versuchen, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu erstreiten. Es sei mit einer Verfahrensdauer von zwei bis drei Jahren zu rechnen, womit ein Bürgerentscheid die Thematik eindeutig schneller klären könne.