Was die Gegner der Bebauung der Hinteren Mult sagen
Sie appellieren an Stadträte, die Wiederaufnahme des im Frühjahr vor Gericht gescheiterten Bebauungsplanverfahrens abzulehnen.

Weinheim. (web) Arnulf Tröscher ist sichtlich erregt: "Wer behauptet, die Gegner einer gewerblichen Bebauung der Hinteren Mult erzählen seit Jahren das Gleiche, begeht eine Frechheit", sagt der Vorsitzende des Vereins Landerlebnis Weinheim am Freitag im Generationentreffpunkt "Das Wohnzimmer". Dorthin haben auch die Naturschutzverbände BUND und Nabu, der Bauernverband, die Schutzgemeinschaft Hintere Mult und die Bürgerinitiative (BI) Breitwiesen eingeladen. Sie rufen die Stadträte dazu auf, die von der Verwaltung gewollte Wiederaufnahme des Bebauungsplanverfahrens für die Hintere Mult am Mittwoch im Gemeinderat abzulehnen. Dies tun sie vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen wie der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg.
>>>Lesen Sie hier, was die Befürworter der Bebauung der Hinteren Mult sagen<<<
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte den 2017 initiierten und 2019 beschlossenen Bebauungsplan im Frühjahr wegen formeller Mängel gekippt. Nach eingehenden juristischen Überprüfungen durch eine Anwaltskanzlei in Freiburg sowie einer schriftlichen Befragung aller Interessensvertreter hält die Verwaltung nun an dem Ziel fest, die bisherigen Ackerflächen zu entwickeln. Sie will in eine Art ergänzendes Verfahren einsteigen, das die Fehler "heilen" soll.
Dies sehen die Gegner von Gewerbe in der 11,36 Hektar großen Hinteren Mult skeptisch, sowohl inhaltlich als auch formell. Zunächst gehen sie am Freitag auf die Inhalte ein. In der Zeit der Coronakrise habe sich gezeigt, wie wichtig Naherholungsgebiete sind und wie viele Verbraucher sich von Nahrungsprodukten aus der Region begeistern ließen, sagt Tröscher. Da sich die Ausfuhr von Getreide aus Osteuropa seit Beginn der dortigen Kriegshandlungen erschwert hat, brauche man die Landwirte mehr als je zuvor. Zudem erwarte die Gesellschaft von Milchvieh haltendenden Betrieben, dass diese ihren Kühen Auslauf gewähren. Dem könne der Bauernbetrieb in der Hinteren Mult kaum nachkommen, wenn die von ihm bewirtschafteten Flächen versiegelt werden.
Thomas Bosch von der Schutzgemeinschaft Hintere Mult argumentiert mit den neuesten Prognosen des Deutschen Wetterdiensts, die deutliche Temperaturanstiege voraussagen. Komme noch eine Versiegelung unbebauter Fläche hinzu, in der Kaltluft entsteht, ändere sich die Lage für die Anwohner massiv.
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Bauernverbandschef Fritz Pfrang sieht in dem mittlerweile auf Hochtouren laufenden Beteiligungsprozess "Zukunftswerkstatt" ebenfalls eine neue Entwicklung. Zwar ist der Streit um die Hintere Mult älter als die Zukunftswerkstatt, in die das VGH-Urteil gewissermaßen hineinplatzte; doch gerade in den Arbeitsgruppen mit zufällig ausgewählten Bürgern und Interessensvertretern habe man viele Stimmen gehört, die für einen Erhalt von Ackerflächen plädierten. Natürlich erhielten Landwirte einen Ausgleich, wenn ihre Nutzflächen bebaut werden, aber: "Ersatzflächen im engeren Sinne gibt es nicht. Was weg ist, ist weg." Siegfried Demuth (Vorsitzender des BUND Weinheim) hat sich über die Urteilsbegründung des VGH gefreut. Dessen dritter Senat hatte festgestellt, dass in Weinheim der Schutz von Boden zuletzt häufig weniger schwer wog als andere Interessen. Ingrid Hagenbruch von der BI Breitwiesen geht auf die Argumente der lokalen Wirtschaft ein. Diese hatte betont, dass eine lebenswerte Stadt ohne florierendes Gewerbe kaum zu finanzieren sei – und die Gewerbelandschaft brauche einen Impuls. Das hält sie für stark übertrieben. "Keine einzige Schule wird verfallen und keine einzige Kita wird schließen, wenn die Hintere Mult frei bleibt." Für den Filterhersteller, der sich dort erweitern will, könne man andere Flächen finden, wenn man nur wolle.
"Wir sehen mit Sorge, dass die Verwaltung dabei ist, den Gemeinderat erneut in jahrelange Rechtsstreitigkeiten zu verwickeln", sagt die Juristin – und ist damit bei ihren formellen Bedenken angekommen. Mit allzu konkreten Rechtsaussagen hält sie sich zurück, nur so viel: Sie teilt "nicht unbedingt" die Auffassung der Verwaltung, dass ein ergänzendes Bebauungsplanverfahren zulässig ist. Es könnte gut sein, dass andere Juristen einen Neustart und damit einen erneuten Aufstellungsbeschluss einfordern. Die Betroffenen würden weiter alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Eine Ausnahme sieht die BI aber: Sollte es hierzu tatsächlich einen Bürgerentscheid geben, würde man sich jedem Bürgervotum beugen. Man sei ja eine Bürgerinitiative.
Hierzu hat Jörg Steinbrenner (BUND) jedoch eine Ergänzung: "Wir und der Nabu vertreten die Interessen der Natur. Die stimmt nicht ab." > siehe weiteren Bericht