Gemeinderat hält an Bebauung der Hinteren Mult fest
Doch die Mehrheiten werden knapper. Selbst in der Verwaltung gehen die Meinungen auseinander.

Von Philipp Weber
Weinheim. Man hat in zehn Jahren Ratsberichterstattung schon einiges erlebt, aber das gab es noch nie: Zwischen Weinheims Oberbürgermeister und dem Ersten Bürgermeister ist es am Mittwoch auf offener Bühne zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Es ging um den Kompromissvorschlag zur Bebauung der Hinteren Mult, den der Erste Bürgermeister Torsten Fetzner kurz vor knapp lanciert hatte. Dies lehnte OB Manuel Just ebenso ab wie die Ratsmehrheit. Dafür steht nach wie vor die politische Mehrheit für die gewerbliche Entwicklung des 11,36 Hektar großen Gebiets: Bei 19 Ja-, 15 Nein-Stimmen und einer Enthaltung votierte der Gemeinderat dafür, in ein ergänzendes Bebauungsplanverfahren zu starten. Dieses soll die vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) gerügten Mängel in dem 2019 verabschiedeten Bebauungsplan "heilen".
Für diese Variante, die weiter eine gewerbliche Bebauung des gesamten Gebiets vorsieht, hatte sich OB Manuel Just bereits vor dem Rolf-Engelbrecht-Haus starkgemacht. Vor der Tür sprach er mit einer Gruppe von Demonstranten, die ein Ende der Gewerbepläne für die Hintere Mult und den Erhalt landwirtschaftlicher Flächen forderten. Doch auch die andere Seite hatte im Vorfeld Druck aufgebaut. Der Filterhersteller B&S hatte in einem lokalen Medium angekündigt, sich vom Standort Weinheim zu verabschieden, wenn sich weiter keine Erweiterungsmöglichkeiten in der Hinteren Mult ergäben.
Erster Bürgermeister Fetzner und die GAL-Fraktion unter der Führung von Elisabeth Kramer machten Kompromissvorschläge, die B&S auf einem Teil der heutigen Ackerflächen Erweiterungschancen eingeräumt und den anderen Teil frei gelassen hätten. Hierzu hätte es einer Vertagung des Themas sowie einer Überarbeitung der Bebauungsplanungen bedurft. OB Just hielt dem entgegen, dass in diesem Fall ein gänzlich neuer Bebauungsplan aufgestellt werden müsste. Dies wiederum werde die Tür für ein Bürgerbegehren öffnen, was weitere Verzögerungen nach sich ziehe. Und dann wäre B&S wohl weg. Außerdem bestünden bei einer Teil-Bebauung des Gebiets Bedenken im Hinblick auf den Grundstücksverkehr, so Just sinngemäß. Er bat Stadtplaner Sven-Patrick Marx, zu erläutern, warum die Kompromissidee charmant, aber kaum umsetzbar sei.
Doch ehe Marx loslegen konnte, fuhr ihm Fetzner in die Parade. Dieser bekräftige seine Bedenken gegen die sich anbahnende Entscheidung, bei der es sinnbildlich nur Schwarz oder Weiß zu geben schien. Er bat das Gremium, ihm und "meinen Leuten" (gemeint war unter anderem Marx) Zeit zu geben, die Dinge in Ruhe zu überdenken. Marx wirkte wenig beeindruckt. Vielmehr kam er der Bitte Justs nach und führte aus, warum sich der Kompromissvorschlag negativ auf die Neuzuteilung von Flächen auswirke.
Auch interessant
So gespalten wie die Verwaltung zeigte sich auch der Gemeinderat, zum Teil sogar innerhalb der Fraktionen. GAL-Fraktionschefin Kramer betonte, sie und ihre Ansprechpartner aufseiten der Gewerbekritiker in der Hinteren Mult seien bereit, "über unseren Schatten zu springen" und den Kompromiss zu suchen. Das erwarte sie auch von OB Just, der das Thema von seinem Vorgänger geerbt habe und es nun durchfechten wolle. Später beantragte sie vergebens geheime Abstimmungen, da man unter erheblichem Druck stehe.
Monika Springer (Freie Wähler) und Heiko Fändrich (CDU) stellten klar, dass man sich die Entscheidung nicht leicht mache. Für sie schlug das Pendel jedoch ebenso in Richtung Arbeitsplätze, Gewerbesteuereinnahmen und Standortimage aus wie zuvor für OB Just, zumal man zwischen 2004 und 2020 nur einen Bruchteil aller gewerblichen Potenzialflächen überplant habe. Die CDU habe bei anderer Gelegenheit die Nahrungsmittelproduktion vor Ort geschützt, erinnerte Fändrich an das Nein der Christdemokraten zur Freiflächen-Photovoltaik auf Äckern an der A 5. "Nach der Hinteren Mult wird längere Zeit kein neues Gewerbegebiet mehr kommen. Wir haben nicht die Absicht, den Bauern ständig etwas wegzunehmen."
Rudolf Large, der für vier von sechs Sozialdemokraten sprach, analysierte die Interessenkonflikte. Eine Gruppe sei dabei untergegangen: Menschen, die Tag für Tag und durch ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Diese seien auf Jobs im Gewerbe angewiesen, von dem sich wiederum eine Gruppe Privilegierter gestört fühle. Deren Kompromissvorschläge seien nur der Versuch, das Verfahren zu verzögern "und Tatsachen zu schaffen."
Die ebenfalls geteilte "Linke" schlug vor, die Bürger zu fragen. Der Gemeinderat solle einen Bürgerentscheid initiieren, der parallel zu den Kommunalwahlen 2024 stattfinden könne, so Matthias Hördt. Wolfgang Wetzel (FDP) schloss sich dem Vorschlag der GAL weitgehend an. Sollte sich dieser nicht durchsetzen, plädiere auch er für den Bürgerentscheid.
Susanne Tröscher (parteilos) brachte die Argumente von Anwohnern, Landwirten und Bodenschützern aufs Tapet. Freie Flächen seien der CO2-Speicher schlechthin, verwies sie auf den Klimawandel. Wer diesen bremsen wolle, müsse die Versiegelung von Land stoppen. "Aber wir bezichtigen lieber Brasilien des Frevels, wenn dort Regenwald gerodet wird."
OB Just unterbrach die Sitzung, um abzuklären, welche Beschlussanträge zulässig sind. Ergebnis: Das Verfahren um die Hintere Mult sei auf einem Stand angekommen, in dem ein Bürgerentscheid nicht mehr möglich sei. Der Vertagungsantrag der GAL fiel mit 15:20 Stimmen durch. Um eine Stimme knapper wurde es beim Antrag von OB Just, der sich mit 19:15 durchsetzte. Damit hat sich der jetzt amtierende Gemeinderat zum Gewerbe in der Hinteren Mult bekannt, aber knapper als im Mai 2019, als es 24:14 ausgegangen war. Dabei gab es damals mit der "Weinheimer Liste" noch eine Fraktion mehr, die eine Bauentwicklung abgelehnt hatte.

> Stellungnahme von OB Just zur Meinungsverschiedenheit mit Fetzner: "Im Laufe der Woche wurde im Rahmen der offenkundig kontroversen Diskussionen um die mögliche Entwicklung der Hinteren Mult zu einem Gewerbegebiet deutlich, dass es seitens unseres Ersten Bürgermeisters, Dr. Torsten Fetzner, und mir unterschiedliche Auffassungen gibt, welche teilweise allgemeiner inhaltlicher Natur sind und teilweise in den unterschiedlichen Auffassungen liegen, in welchen Verfahrensschritten wir in diesem Projekt vorgehen sollen. Ich halte es für einen wertvollen und unabdingbaren Grundzug einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, dass auch innerhalb einer Verwaltung unterschiedliche Meinungen auszuhalten sind. Sowohl Dr. Fetzner als auch ich sind darüber hinaus lange genug im Amt, um diesen Dissens aushalten zu können – losgelöst von der Tatsache, dass uns beiden meines Erachtens ein wertschätzender Umgang wichtig ist.
Um jedoch Missverständnisse auszuräumen, darf ich betonen, dass Beschlussvorlagen – egal aus welchem Dezernat – final immer in der Verantwortung des OBs liegen. Dieser trägt auch in Kommunen mit Beigeordneten oder Bürgermeistern die vollständige Verantwortung."