Mannheim

Neue Katzenschutz-Verordnung, altes Problem

Die Mannheimer Stadträte sind für den Katzenschutz, aber gegen die Kastrationspflicht.

02.12.2022 UPDATE: 02.12.2022 20:00 Uhr 2 Minuten, 47 Sekunden
Tierschützer schätzen, dass in Mannheim 6000 frei laufende Katzen wie die abgebildete unterwegs sind. Foto: privat

Von Wolf Goldschmitt

Mannheim. Das geflügelte Wort "Monnem vorne" steht für Spitzenleistungen, beim Tierschutz allerdings hinkt die Kommune über 1000 deutschen Städten und Gemeinden weit hinterher. Und das wird wohl noch weitere zwei Jahre so bleiben. Der Gemeinderat hätte die "Rote Laterne" abgeben können: mit einer Katzenschutzverordnung, die diesen Namen verdient. Denn Mannheim hat ein wachsendes Problem mit Streunern.

Auf Friedhöfen, in Industriebrachen oder Kleingärten kämpfen nach Schätzungen der Organisation "Politik für die Katz’" rund 6000 verwilderte Verwandte der Spezies Felis catus ums Überleben. Im Frühsommer und Herbst kommen Hunderte Kätzchen im Freien zur Welt, deren Existenz von Hunger, Krankheiten und frühem Tod gekennzeichnet ist. Viele nicht kastrierte "Stubentiger" entlaufen von zu Hause auf der Suche nach einem Geschlechtspartner und werden dann zu Vagabunden. Das Land hat den Kommunen ein geeignetes Gesetz an die Hand gegeben, dieses immense Tierleid zu verhindern: eine Katzenschutzverordnung, die die Zwangskastration aller frei laufenden Samtpfoten ermöglicht, um die Population einzudämmen.

Bürgermeister Christian Specht bekam von den Katzenfreundinnen ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Zu viele Streuner“. Foto: gol

Der Mannheimer Stadtrat Andreas Parmentier von der Tierschutzpartei stellte bereits vor drei Jahren eine solche Forderung an die Stadtverwaltung. Erst Donnerstagabend kam das Thema nun auf die Tagesordnung des Sicherheitsausschusses. Jetzt ist Mannheim zwar tatsächlich die erste Großstadt im Land mit einer Katzenschutzverordnung. Allerdings in einer "seltsamen Variante", wie die Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord es formuliert. Der Kernpunkt des Gesetzes, eine Sterilisierungspflicht für alle Freigänger, wird auf Wunsch des Rathauses und mit Zustimmung aller Gemeinderatsfraktionen erneut auf die lange Bank geschoben.

Mit Aufklärungsaktionen und dem Modell "Einfangen.Kastrieren.Aussetzen", das freilich nur für wild lebende Tiere gilt, will der zuständige Abteilungsleiter Peer-Kai Schellenberger in Abstimmung mit dem Tierschutzverein Versäumtes in den kommenden zwei Jahren nachholen. Die Zustimmung des Stadtparlaments in zwei Wochen gilt als Formsache. Dieser städtische Plan könne jedoch nicht aufgehen, weil er realitätsfern sei, sagt Tierschützerin Kristina Stumpf. "Wer soll denn die nachtaktiven, scheuen Lebewesen fangen und wer soll sie kastrieren?", fragt sie. In Mannheim gibt es lediglich einen von der Stadt beauftragten Tierarzt für Kastrationen auf Kosten der Kommune. "Und derzeit für maximal einen gefangenen Streuner im Monat", weiß Stumpf aus Erfahrung. Die Beschlussvorlage versuche ein verharmlosendes Zahlenbild zu zeichnen, doch 39 neue, wilde Katzenpopulationen sprächen eine andere Sprache. Auch das Tierheim melde steigende Aufnahmezahlen von herrenlosen und kranken Katzen.

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Noch vor wenigen Wochen hatten sich die Ratsfraktionen auf RNZ-Anfrage einhellig für eine flächendeckende Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht ausgesprochen. Woher stammt der plötzliche Sinneswandel? Die Beschlussvorlage des Sicherheitsdezernates von Bürgermeister Christian Specht (CDU) warnte vor einem Rechtsbruch, den Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) nicht mitmachen würde. Die Kastrationspflicht stelle einen unerlaubten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Besitzers dar. Eine Sterilisierung wird vom Veterinär mit 300 bis 350 Euro bei weiblichen Tieren und 150 bis 200 Euro bei männlichen Tieren berechnet.

Julia Stubenbord widerspricht der Einschätzung der Stadt. Das Tierschutzgesetz besage eindeutig, dass ein Verbot eines Eingriffs mit Amputation am Tier nicht gelte, wenn es "der Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung" dient. "Klagen sind mir in ganz Deutschland nicht bekannt", ergänzt die Landestierschutzbeauftragte. Die tierpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Christina Eberle, bewertet die Entscheidung als Teilerfolg auf dem Weg zu einer Kastrationspflicht. Mit der beschlossenen Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht werde die Unterscheidbarkeit von Halter- und wilden Katzen deutlich erleichtert. "Für aufgefundene Katzen bedeutet dies ganz praktisch eine kürzere Verweildauer im Tierheim – sowohl für Streuner- als auch für entlaufene Halterkatzen – und für die ehrenamtlichen Katzenschützer vor Ort bringt es erheblich mehr Rechtssicherheit bei ihrer Arbeit", so die Grüne.

Völlig anders sehen das etwa 70 ehrenamtliche Tierfreundinnen um Kristina Stumpf, die bislang täglich über 700 Katzen auf eigene Kosten füttern und medizinisch versorgen. Der Kampf gegen das Katzenelend wird aus ihrer Sicht nie erfolgreich sein, wenn unkastrierte, frei laufende Hauskatzen sich weiter rasant fortpflanzten.

Update: Freitag, 2. Dezember 2022, 20.02 Uhr


Einsatz für das Katzenwohl

Foto: gol

Mannheim. (gol) Tierschützerinnen haben am Donnerstag am Rande der Sitzung des Sicherheitsausschusses mit Plakaten auf das Elend mehrerer Tausend frei lebender Samtpfoten in der Stadt aufmerksam gemacht. Auf der Tagesordnung stand die Verabschiedung einer Katzenschutzverordnung. Dass die Verwaltung einen abgemilderten Entwurf ohne Kastrationspflicht für frei laufende Tiere zur Abstimmung vorlegte, enttäuschte die Frauen.

Stadtrat Andreas Parmentier von der Tierschutzpartei hatte lange für eine allgemeine Kastrations-, Chip- und Registrierungspflicht plädiert, der Beschlussvorlage zugestimmt, allerdings mit einer entscheidenden Änderung: Sie sieht nun vor, dass Halter ihre Katzen per Mikrochip oder Ohrtätowierung kennzeichnen und registrieren lassen müssen und eine Kastration binnen 48 Stunden vom Tierschutzverein vorgenommen werden kann.

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