Schriesheim

Eine Erklärtafel für die Hans-Pfitzner-Straße hängt jetzt

Nach fünf Monaten ist der Gemeinderatsbeschluss umgesetzt. Bisher gab es zwar eher Lob für den Text, allerdings ist eine Expertin davon irritiert.

29.11.2022 UPDATE: 29.11.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 27 Sekunden
Am gestrigen Montagmorgen brachte der Bauhof die beiden Erklärtafeln an, die nun unter den beiden Straßenschildern der Hans-Pfitzner-Straße montiert sind. Foto: pd

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Seit dem gestrigen Montag hängt die Erklärtafel an der Hans-Pfitzner-Straße – genau genommen sind es sogar zwei (weil es auch zwei Straßenschilder gibt). Ende Juni hatte der Gemeinderat nach kontroverser Sitzung mit einer eher knappen Mehrheit beschlossen, die Straße, die seit 1976 den Namen des Komponisten trägt, nicht umzubenennen, sondern mit einem Erklärschild zu versehen. Damit ist Schriesheim eher eine Ausnahme, denn in den meisten deutschen Kommunen wurden in den letzten zehn Jahren Hans-Pfitzner-Straßen umbenannt.

Lediglich in Wien blieb man beim alten Namen, versah ihn aber mit einer Erklärtafel – weswegen man in Schriesheim auch vom "Wiener Modell" sprach. Auf der Schriesheimer Erklärtafel ist zu lesen: "Hans Pfitzner (1869–1949) / Deutscher Dirigent und Komponist. Zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Anhänger des Nationalsozialismus". Direkt neben dem Text befindet sich ein QR-Code: Hält man eine Smartphone-Kamera vor diese Art Strichcode, landet man automatisch auf der Homepage der Stadt Schriesheim: Hier gibt es ausführliche weitere Informationen zur Person Pfitzners und der Historie der Straße – inklusive der jüngeren Entwicklungen, als eine RNZ-Anfrage vom letzten Herbst zur NS-Problematik Pfitzners den Stein ins Rollen gebracht hatte.

Hintergrund

Wie andere Kommunen mit Hans-Pfitzner-Straßen umgehen

In ihrer Beschlussvorlage zur Umbenennung der Hans-Pfitzner-Straße orientierte sich die Stadtverwaltung an anderen Kommunen, die vor demselben Problem standen. Dabei gibt es im Grunde vier

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Wie andere Kommunen mit Hans-Pfitzner-Straßen umgehen

In ihrer Beschlussvorlage zur Umbenennung der Hans-Pfitzner-Straße orientierte sich die Stadtverwaltung an anderen Kommunen, die vor demselben Problem standen. Dabei gibt es im Grunde vier Alternativen: gar nichts machen, Nicht-Umbenennen oder Umbenennen mit einer Erklärtafel, und Umbenennen ohne ein Extra-Schild. Dabei kamen für Bürgermeister Oeldorf nur die Optionen "Nicht-Umbenennen mit Erklärtafel" und "Umbenennen mit Erklärtafel" in Frage.

Die Mehrzahl der deutschen Kommunen, etwa 30, hat sich bis dato dazu entschieden, ihre Hans-Pfitzner-Straßen umzubenennen – und zwar ohne Erklärtafel. Nur in Lübeck gibt es im Zuge des neuen Namens auch eine Erklärtafel. Doch in Wien entschied man sich anders: Auch dort gab es, wie in Düsseldorf (siehe oben), eine Historikerkommission, die 2013 einen 350-seitigen Abschlussbericht vorstellte: Unter den 4400 untersuchten Straßen- und Plätzen fand sie 159 Personen, die eine problematische Einstellung zum Antisemitismus oder Nationalsozialismus hatten. 28 wurden als "Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf" eingestuft. Allerdings entschied man sich generell gegen eine Umbenennung: Die Geschichte der Stadt, die auch in Straßennamen dokumentiert sei, solle sichtbar gemacht werden, erklärte Ende 2016 Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Man wolle "nichts verschleiern und nichts vertuschen", sondern sich "kritisch mit den Schattenseiten von Leuten auseinandersetzen, die auch etwas für Wien geleistet" hätten.

Allein auf weiter Flur ist Wien aber nicht: Erst in diesem Monat folgte das oberbayerische Schondorf – hier hatte Pfitzner eine Zeit lang gelebt – diesem Modell: Im Mai waren die Bewohner der dortigen Hans-Pfitzner-Straße vom Bürgermeister angeschrieben und nach ihrer Meinung zur Umbenennung befragt worden: Eine Mehrheit lehnte das ab. Allerdings soll das Pfitzner-Denkmal umgestaltet werden.

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Dass es dann doch fünf Monate vom Ratsbeschluss zum Zusatzschild gedauert hat, war als erstem Kurt Büchler aufgefallen. Als regelmäßiger Besucher von Gemeinderatssitzungen hatte er am Mittwochabend in der Bürgerfragestunde moniert, er habe "noch nichts gesehen", und er frage sich, ob dieser Beschluss überhaupt umgesetzt werde. Bürgermeister Christoph Oeldorf antwortete, er rechne damit, dass die Schilder noch in dieser Woche angebracht werden – wie es ja dann geschah.

Die beiden Schilder, die für 275 Euro die Schriesheimer Firma Assion hergestellt hatte, waren nicht das Problem, sondern eine relativ aufwändige Recherche für den längeren und inhaltlich ausgewogenen Text auf der Schriesheimer Homepage. Als Autor steht "Stadtverwaltung Schriesheim" darunter, aber im Wesentlichen wurde der von Stadtarchivar Dirk Hecht verfasst, wie Bauamtsleiter Markus Dorn auf RNZ-Anfrage erklärte. Die zwei Sätze auf den Straßenschildern waren das Ergebnis mehrerer Besprechungen einer städtischen Projektgruppe, die aus Dorn als Bauamtsleiter, Stadtarchivar Hecht, Larissa Wagner von der Kommunikationsstelle sowie Bürgermeister Christoph Oeldorf bestand.

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Mit dem Ergebnis kann Büchler durchaus leben, der in der Gemeinderatssitzung befürchtet hatte, in Schriesheim könnte es ein "Wischiwaschi wie auf der Wiener Tafel" geben. Auf der steht: "Hans Pfitzner (1869–1949) / Deutscher Dirigent, Opernregisseur, Pianist und Komponist, mit Wahlheimat in Wien und Salzburg. Problematisch in seiner Biografie ist, dass er zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Verharmloser von Nazi-Verbrechen war." Für ihn ist dieses "Problematisch in seiner Biografie" ein ziemliches "Gefasel", ihm hätte diese Version besser gefallen: "Hans Pfitzner (1869–1949) / Deutscher Komponist, Dirigent und Verfasser antisemitischer Schriften zur Musik. Er war zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Verharmloser von Nazi-Verbrechen." Aber Büchler findet: "Der Text der Zusatztafel ist noch knapper und lässt die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen beiseite, ist jedoch für mich akzeptabel."

Aus anderer Perspektive sieht das Hans Rectanus, denn schließlich war er es damals, der 1976 den Anstoß dafür gab, die Straße in dem Neubaugebiet nach dem Komponisten zu benennen – wegen dessen Verbindung zu Schriesheim: Pfitzner hatte 1905 die Bühnenmusik zum Ritterschauspiel "Käthchen von Heilbronn" aus der Feder Heinrich von Kleists geschrieben, das teilweise auf der Strahlenburg spielt – und nach dem Käthchen wie nach Kleist waren vorher bereits Straßen benannt worden. Pfitzner-Experte Rectanus wurde erst viel später klar, wie sehr sich der Komponist antisemitisch geäußert hatte – auch und besonders heftig nach dem Krieg. Er sieht es ähnlich wie Sabine Busch-Frank, die vor 20 Jahren über "Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus" promoviert hatte: Pfitzner war – so heißt es ja auch in dem ausführlichen Text auf der Stadt-Homepage – "eine zutiefst gespaltene Persönlichkeit": Er war Antisemit, hatte aber jüdische Freunde; er war Nazi – aber vor allem, weil er auf eine musikalische Karriere bei ihnen hoffte. Wegen der Widersprüchlichkeit Pfitzners und zugleich seiner Bedeutung als Komponist hatten Rectanus und Busch-Frank von einer Straßenumbenennung abgeraten und eine Erklärtafel empfohlen – im Gegensatz zu Büchler, der für eine Umbenennung war (und auch bei der hitzigen Diskussion mit den Anwohnern gegen alle Widerstände diese Meinung vertrat, RNZ vom 21. Februar).

Während Rectanus wie Büchler den Schriesheimer Text dem Wiener vorzieht, ist er wie er im Großen und Ganzen einverstanden – auch wenn ihm ein bisschen fehlt, wie zerrissen am Ende Pfitzner war: "Was da steht, ist nicht falsch, zeigt aber nur eine Seite von ihm. Aber dem Ganzen gerecht zu werden, sprengt den Rahmen." Dieser Aspekt fehlt ihm auch im Langtext auf der Schriesheimer Homepage: "Sein Einsatz für jüdische Freunde ist da nur am Rande erwähnt." Vielleicht noch eine Spitzfindigkeit in Sachen Erklärschild, so Rectanus: Pfitzner war in erster Linie Komponist und weniger Dirigent.

Sabine Busch-Frank als Expertin für Pfitzner im Nationalsozialismus kann im Großen und Ganzen mit dem ausführlichen Text leben – wobei sie die Idee des QR-Codes ausdrücklich lobt –, auch wenn sie ein paar kleinere Korrekturen anzubringen hätte. Nur mit der Erklärtafel ist sie "nicht so glücklich". Ihr fiel etwas auf, was bisher keiner gemerkt hat: "Das Schild ist meiner Meinung nach unglücklich formuliert. Angenommen, ein Fremder kommt nach Schriesheim und liest das. Der wird sich dann denken: Hier wurde ein deutscher Dirigent und Komponist, der Antisemit und Nazi war, mit einer Straße geehrt." Es wäre besser gewesen, den zeitgeschichtlichen Kontext darzustellen – etwa: "Hans Pfitzner (1869–1949) / Deutscher Komponist. 1976 wurde diese Straße nach ihm benannt. Zu dieser Zeit war noch nicht bekannt und im öffentlichen Bewusstsein, dass er zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Anhänger des Nationalsozialismus war."

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