Das Potenzial der Uniklinik-Fusion "wird unterschätzt"
Vertreter aus Heidelberg und Mannheim werben in Stuttgart eindringlich für die Klinikfusion.

Von Sören S. Sgries
Stuttgart/Heidelberg. Vielleicht ist es auch ein Hauch von Verzweiflung, der diese fünf Männer nach Stuttgart treibt: Seit Jahren kämpfen sie für ein Projekt, das aus ihrer Sicht nur Vorteile bringt – nur, dass das in der Landesregierung offenbar niemand so recht wahrzunehmen scheint.
Also haben sie sich an diesem Donnerstagmorgen auf den Weg gemacht, um noch einmal eindringlich zu werben: Die Fusion der Unikliniken in Heidelberg und Mannheim müsse kommen, so die Botschaft vor der Landespressekonferenz. Alles andere sei nicht nachvollziehbar – und für die Zukunftsfähigkeit des Landes sogar riskant.
Worum geht es? Grundsätzlich geht es um die Vision, in der Region Heidelberg/Mannheim mit zahlreichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen einen international herausragenden Gesundheitsstandort zu schaffen. Besonders im Fokus sind die beiden Universitätsklinika, die aus verschiedenen Gründen fusionieren sollen.

Hier hakt es. Besser läuft es bei den medizinischen Fakultäten, die ebenfalls zusammengeführt und so "schlagkräftiger" werden sollen, wie der Heidelberger Unirektor Bernhard Eitel sagt. "Da kann man einen Haken dran machen", so Eitel. "Wir haben unsere Hausaufgaben erfüllt."
Auch interessant
Woran hakt die Klinikfusion? Laut Eitel vor allem an einer fehlenden Grundsatzentscheidung der Landesregierung. "Alle stehen in den Startlöchern, die Voraussetzungen sind geschaffen", so der Unirektor. "Wir warten darauf, dass ganz klar gesagt wird: Jawoll, wir wollen das."
Und auch Hans-Jürgen Hennes, Medizinischer Geschäftsführer der Universitätsmedizin Mannheim, klagt: "Wir kommen momentan nicht weiter" Deswegen sei es "wirklich zwingend", dass noch Ende 2022/Anfang 2023 eine Grundsatzentscheidung falle.
Warum ist eine Klinikfusion überhaupt notwendig? Der offensichtlichste Grund: Zwei teilweise miteinander konkurrierende Standorte in unmittelbarer Nachbarschaft sind nicht sonderlich wirtschaftlich. Vor allem das Mannheimer Uniklinikum – eines von nur zweien bundesweit, das nicht vom Land getragen wird – lastet schwer auf der Stadtkasse.
"Das ist kein zukunftsfähiges Modell", sagt Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) dazu. Aber auch bei der Patientenversorgung und der klinischen Forschung würden beide Standorte profitieren, so die Überzeugung der Projektbefürworter.
Gibt es Belege dafür, dass die Fusion sich wirtschaftlich rentiert? Ja. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden verschiedene Prüfungen durchgeführt. Das Ergebnis: Bis 2030 wäre eine "schwarze Null" in den Finanzen möglich. Weitere Sparpotenziale durch Synergien seien möglich, so Kurz. Grundsätzlich seien die finanziellen Bedingungen "unter allen Aspekten geprüft" – und alles spräche für die Fusion.
Aber die Rede ist doch von über einer Milliarde Euro an Kosten? Richtig, diese Zahl steht ihm Raum. Eitel spricht aber davon, dass ein Großteil davon "Eh-da-Kosten" seien. Es gehe also um Investitionssummen, die sowieso für anstehende Modernisierungen und Neubauten fließen müssten – und das daher auch werden.
Unabhängig von einer Fusion. Er nennt etwa die "Neue Mitte" in Mannheim oder die neue Kopfklinik in Heidelberg. Auch Hans-Jürgen Hennes, medizinischer Geschäftsführer der Mannheimer Uniklinik, sagt: "Das Investment in die neuen Strukturen ist aus unserer Sicht ohnehin notwendig."
Was sind denn, jenseits der finanziellen Fragen, die weiteren Vorteile? Hier geraten die Wissenschaftler auf dem Podium – etwa Wolfgang Wick, Prodekan der Medizinischen Fakultät in Heidelberg – ins Schwärmen. "Eines der spannenden Projekte der letzten Jahrzehnte" seien die Pläne, so Wick. "Wir glauben, dass wir uns damit zu einem führenden Campus in Europa entwickeln können", mit einer Strahlkraft, die Talente weltweit anziehe.
Das bringe wissenschaftlich Vorteile, aber auch wirtschaftlich – die Gesundheitsindustrie als wichtiger Wirtschaftsfaktor werde deutlich gestärkt. Eitel spricht davon, die Region könne "als Magnet dienen, um auszustrahlen".
Gut für die Rhein-Neckar-Region – aber auch für das ganze Land? Tatsächlich ist die Hauptsorge, dass die Bedeutung der Fusion in Stuttgart unterschätzt wird. "Die Chance, die wir aktuell haben, geht weit über regionalpolitischen Proporz hinaus", sagt Hanns-Peter Knaebel, Vorsitzender des Universitätsrates Heidelberg.
Die Fusion bringe "globale Sichtbarkeit" – und zwar nicht allein für die Rhein-Neckar-Region, sondern für ganz Baden-Württemberg. Das sei kein "nordbadisches Regionalprojekt", so Knaebel. "Von dieser Bewegung wird nicht nur die Region profitieren, sondern das ganze Land. Es strahlt aus", sagt auch Eitel.
Der Mannheimer OB Kurz ergänzt, die Wahrnehmung, hier gehe es nur um die Rettung eines kommunalen Krankenhauses (und die finanzielle Entlastung seiner Stadt) sei grundfalsch. Und: Mannheim wolle sich auch nicht komplett aus der finanziellen Verantwortung stehlen – man sei selbstverständlich gesprächsbereit.
Warum geht es nicht ohne politische Grundsatzentscheidung weiter? Weil im nächsten Schritt eine kartellrechtliche Prüfung einer Fusion erfolgen müsste. Dafür muss der politische Auftrag kommen.
Eitel warnt zudem: Die anhaltende Unsicherheit schade sogar dem Renommee der Uni Heidelberg. "Die Konkurrenz schläft nicht", so Eitel. Solange unklar sei, in welche Richtung sich der Medizinstandort bewege, das System daher "labil" wirke, falle es schwer, exzellente Wissenschaftler anzuwerben.
Update: Donnerstag, 24. November 2022, 20 Uhr
Heidelberg und Mannheim fordern grünes Licht für Uniklinikum-Fusion
Von der Landesregierung wird eine Grundsatzentscheidung gefordert.
Stuttgart. (dpa) Der Fusion der Universitätsklinika Heidelberg und Mannheim als Kern eines international konkurrenzfähigen Gesundheitsstandortes steht aus Sicht der Akteure vor Ort nichts mehr entgegen.
Die Landesregierung müsse nach positiven Ergebnissen wirtschaftlicher, medizinischer und rechtlicher Prüfungen endlich eine Grundsatzentscheidung zum Zusammenschluss treffen, forderte eine Gruppe von betroffenen Wissenschaftlern, Universitätsspitzen und dem Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) am Donnerstag in Stuttgart.
Erst nach diesem Beschluss sei die kartellrechtliche Prüfung zum Verbund der bislang konkurrierenden Häuser möglich. Von besserer Versorgung und schneller Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Produkte können allein im Rhein-Neckar-Raum etwa 2,3 Millionen Menschen profitieren.
Für das bislang von der Stadt Mannheim getragene Uniklinikum stellt die Fusion einen Weg aus dem Defizit von 30 bis 40 Millionen Euro pro Jahr dar. Bis 2030 werde durch eine Fusion die schwarze Null erreicht werden können, sagte Kurz.
Die Koalition müsse sich von der Wahrnehmung lösen, es handele sich um ein nordbadisches Regionalprojekt, sagte Hanns-Peter Knaebel, Vorsitzender des Universitätsrates in Heidelberg. Das Vorhaben stärke nicht nur die bundesweite, sondern auch die internationale Konkurrenzfähigkeit des Landes.
Die im Rhein-Neckar-Raum besonders starke Gesundheitsbranche könne neben Auto- und Maschinenbau zur neuen Leitindustrie im Südwesten werden.



